Starker EU-Hilfsfonds wäre „in Österreichs Eigeninteresse“

1-Cent-Münzen: Für den angepeilten Betrag wären 100.000.000.000.000 Stück nötig
WIIW-Ökonom Philip Heimberger über die Erwartungen vor dem EU-Gipfel: Die Positionen der Kontrahenten nähern sich etwas an.

Das langfristige wirtschaftliche Auseinanderdriften der Staaten droht den Euro zu sprengen. Der Ökonom Philipp Heimberger vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) hat sich intensiv mit den Optionen auseinandergesetzt. 

KURIER: Welche Erwartungen haben Sie an den EU-Gipfel am Donnerstag?

Philipp Heimberger: Es ist rund um den geplanten Wiederaufbaufonds einiges in Bewegung geraten.  Nicht nur in Deutschland, auch Italien geht von seiner Coronabonds-Forderung ab und schlägt ein temporäres Pandemie-Hilfsprogramm. Hier würde die EU Geld über Anleihen aufnehmen und an die Staaten weitergeben, ohne Vergemeinschaftung nationaler Schulden. Ähnliches hat auch Spanien vorgeschlagen.

Starker EU-Hilfsfonds wäre „in Österreichs Eigeninteresse“

Wie könnte das funktionieren?

Nach den Vorschlägen würden die einzelnen Staaten zwar eine Garantie abgeben, die Haftung bliebe aber bei der EU. Das macht einen rechtlichen Unterschied, man vermeidet damit das politisch schwierige Thema der Mutualisierung, also Vergemeinschaftung, von Schulden.

Was steht auf dem Spiel? Waren die düsteren Prognosen für den Fortbestand des Euro nicht eher Drohgebärden?

Aus meiner Sicht waren das keine leeren Drohgebärden. Käme keine Einigung zustande, stünde wirklich im Raum, dass einige Länder wie Italien und Spanien Probleme bekämen und der Fortbestand der Währungsunion auf dem Spiel stünde. Deshalb ist eine starke europäische Lösung auch im Eigeninteresse von Deutschland und Österreich – sie haben von der gemeinsamen Währung am meisten profitiert.

Starker EU-Hilfsfonds wäre „in Österreichs Eigeninteresse“

Philipp Heimberger ist Ökonom am Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), zuvor hat er an der Johannes Kepler Universität in Linz zu makroökonoischen Ungleichgewichten und zur Steuerpolitik in der EU geforscht.

Welche Größenordnung wäre nötig?

Damit das tatsächlich einen spürbaren Effekt für die betroffenen Länder hat, braucht dieser Fonds eine gewisse Größe - Schätzungen reichen von 400 Milliarden bis 1,5 Billionen Euro, ich würde sagen: 1000 Milliarden sollten die Untergrenze sein. Dafür braucht die EU jedenfalls zusätzliche Mittel. Wichtig wäre, dass es sich um „neues Geld“ handelt, nicht um gehebelte Beiträge der Privatwirtschaft oder eine Umbenennung bestehender Geldtöpfe, damit größere Summen rauskommen. Eine Alternative zur EU-Schuldenaufnahme wären einmalig höhere Beitragszahlungen ins EU-Budget, aber das ist von den Nettozahlern politisch wohl noch weniger gewünscht.

Wenn keine Corona-Bonds kommen, sind dann Kosten für Österreichs Steuerzahler abgewendet?

Für den österreichischen Steuerzahler wären auch aus Corona-Bonds keine unmittelbaren Kosten entstanden, solange kein Mitgliedstand Pleite geht. Es ginge um eine gemeinsame Haftung, die EZB wäre bereit, solche Anleihen aufzukaufen. Es hakt eher daran, dass sich Politiker nicht trauen, diese Themen mit einer breiten Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Warum drängt eigentlich die Zeit so sehr?

Hätte man schon vor Wochen eine Einigung auf einen starken Wiederaufbaufonds zustande gebracht, wäre der Ausblick für 2021 deutlich besser, denn Italien ist ein wichtiger Handelspartner für viele Länder. Die Situation an den Finanzmärkten wäre stabiler und es würden somit die befürchteten Negativszenarien weniger wahrscheinlich. Wichtig wäre es, dass die EU die Anleihen schon Anfang 2021 begeben und das Geld weiterreichen kann. Wobei ich Verständnis für die politisch schwierige Debatte habe.

Geld aufstellen ist das eine, aber wofür soll es ausgegeben werden?

Mögliche Bereiche wären zum Beispiel die von den Ländern getragenen Gesundheitskosten, Ausgaben für Kurzarbeitergeld, um Menschen in Arbeit zu halten, und natürlich die notwendigen Konjunkturprogramme, wenn die Lockdown-Maßnahmen gelockert werden. Dabei könnte es auch teilweise um Investitionen gehen, die vereinbar mit den langfristigen EU-Zielvorstellungen sind und den strukturellen Wandel durch industriepolitische Programme anschieben. Ich denke da etwa an Erneuerbare Energie oder Batterieproduktion im Süden der Eurozone.

Sollte es klare Vorgaben für die Mittel-Verwendung geben? Oder würde das erst recht von den betroffenen Ländern wieder als „Konditionalität“ abgelehnt?

Man sollte sich natürlich gemeinsam überlegen, was am effizientesten wirkt, ohne dabei zu enge Vorgaben zu machen. Wo es am Arbeitsmarkt brennt, wissen die betroffenen Länder am besten.  In der Vergangenheit war die demokratische Legitimation strittig, wenn Gläubigerstaaten in nationale Rechte eingreifen wollten. Wenn aber tatsächlich gemeinsam Geld aufgenommen wird, ist klar, dass auch alle dabei mitreden.

Und wie sollen die Schulden jemals zurückgezahlt werden?

Die Idee wäre, dass die EU einmalig und für einen begrenzten Zeitraum gemeinsam Schulden aufnimmt. Diese Schulden würde sie dann in ein paar Jahrzehnten tilgen - und weil sich EU-Beiträge nach der Wirtschaftsleistung richten, würden alle mit zurückzahlen, je nachdem wie gut sie aus der Krise gekommen sind. Das ließe sich im technischen Detail ökonomisch sinnvoll und rechtlich sauber lösen. Auch ohne gemeinsame Haftung der einzelnen Mitgliedstaaten. In erster Linie geht es am Donnerstag um den politischen Willen.

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