Offen für höheres EU-Budget: Merkel überschreitet rote Linien
Wie kann hoch verschuldeten Ländern wie Italien und Spanien in der Coronakrise geholfen werden? Im EU-Dauerstreit öffnet Deutschland ein Schlupfloch für Kompromisse.
Sie könne sich eine deutliche Anhebung des EU-Haushalts vorstellen sowie Anleihen, die durch Garantien der Mitgliedstaaten abgesichert seien, sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Montag. Der EU-Etat müsse in den ersten Jahren nach der Pandemie womöglich „ganz andere finanzielle Möglichkeiten haben“.
Ein beachtlicher Schwenk, kurz vor dem Videogipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag. In den harten Verhandlungen für das EU-Budget bis 2027 war Deutschland auf der Seite jener gestanden, die forderten, den Geldtopf bei einem Prozent der Wirtschaftsleistung zu deckeln. Darauf pochten besonders die „frugal four“, die sparsamen Vier unter den Nettozahlern: Österreich, Dänemark, Niederlande und Schweden.
Diese Allianz besteht noch, droht aber unter Zugzwang zu geraten. Am Mittwoch habe Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) eine Videokonferenz mit der Kollegin und den Kollegen aus den drei Ländern, um sich abzustimmen, hieß es aus dem Kanzleramt.
Corona-Bonds nicht machbar
Wie ist Merkels Schwenk zu werten? „Das ist Geschmackssache, ob man das als Kehrtwende sehen will oder als Weiterentwicklung“, sagt Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts in München, im KURIER-Gespräch über die deutsche Position. Zunächst sei durch den Brief von neun EU-Staaten, die sich für gemeinsam ausgegebene Krisenanleihen, sogenannte Corona-Bonds, aussprachen, Druck aufgebaut worden. Was von Deutschland, Österreich und den Niederlanden abgelehnt wurde.
Daran hat sich auch nichts geändert: „Eine rote Linie bleibt für uns die Vergemeinschaftlichung von Schulden, wie es etwa das Modell von Corona-Bonds vorsieht“, sagte Finanzminister Gernot Blümel auf KURIER-Nachfrage. Auch Merkel schloss das erneut dezidiert aus.
In Deutschland wurde aber hinter den Kulissen diskutiert, welchen Verlauf die Krise nehmen könnte. „Daraus entstand die Überlegung, Verschuldungsspielräume im EU-Haushalt zu nutzen“, sagt Fuest. Aus deutscher Sicht werde damit eine ehedem rote Linie überschritten. „Es wäre davor unvorstellbar gewesen.“
Österreich massiv betroffen
Weil die EU keine bedeutsamen eigenen Steuereinnahmen hat und es – ohne eine viele Jahre dauernde Vertragsänderung – keine Institution gibt, die gesamteuropäische Schuldtitel auflegen könnte, müsse eine EU-Schuldenaufnahme derzeit jedenfalls auf Garantien der Mitgliedstaaten beruhen, erklärt Fuest. So eine Konstruktion gibt es schon zur Finanzierung des EU-Kurzarbeistgeldes, auf das sich die Eurogruppe geeinigt hat.
Der Ökonom hält ein „politisches Signal der Solidarität“ grundsätzlich für richtig. Der Teufel liege im Detail: Entscheidend sei die Kontrolle, dass das Geld sinnvoll investiert ist und kein Strohfeuer entfacht oder in Kanälen versickert.
Mobilisieren ließen sich namhafte Beträge: „Das ist Verhandlungssache.“ Gerade jetzt suchten Investoren sichere Anlagen. Und ringsum seien Rivalen wie USA und Japan noch weit höher verschuldet. Nur solle man sich keiner Illusion hingeben, sagt der Ökonom: „Wir werden nach dieser Krise ärmer sein.“
Warum sollten Deutschland und Österreich so etwas mittragen? „Es ist noch gar nicht klar, wer nach der Krise der größte Verlierer sein wird“, so Fuest. Im Moment sehe es aus, als wären das Italien und Spanien. Aber Export- und Tourismusländer wie Österreich könnten langfristig massiv betroffen sein. Man sollte also die Maßnahme und den Wiederaufbaufonds „wie eine Art Versicherung betrachten und auch so konstruieren“.
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