Staatsschulden "weginflationieren": Die gute Seite der bösen Inflation
Des einen Leid, des anderen Freud.
Die auf mehr als sieben Prozent hochgeschnellte Inflation bereitet vielen Menschen Kummer. Die Teuerung ist ein soziales Problem, denn sie belastet vor allem Einkommensschwache, ob beim täglichen Einkauf oder bei der monatlichen Stromrechnung.
Die Inflation kostet auch insgesamt Kaufkraft und sorgt so für Zurückhaltung bei Konsumenten. Nicht zuletzt frisst die Teuerung Ersparnisse auf, denn auf der Bank gibt es schon lange keine Zinsen mehr. Doch die Inflation hat eine zweite Seite: Wird das Geld Jahr für Jahr weniger wert, werden auch Schulden weniger wert. Und je höher die Inflation ist, desto markanter ist dieser Effekt.
Ihn gibt es bei den Schulden, die der Einzelne als Kredit aufgenommen hat sowie bei Staatsschulden – wobei es nicht selten um gigantische Summen geht.
Nicht in Macau, Hongkong oder Brunei. Die beiden chinesischen Sonderverwaltungszonen sowie das ölreiche Sultanat kennen de facto keine Schulden.
Extreme Schuldenstände
Anders ist die Lage in Portugal, wo der Schuldenstand 127 Prozent beträgt oder in Italien mit 150 oder in Griechenland mit Schulden von sogar 193 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) des Landes.
Kreditnehmer wie auch hoch verschuldete Staaten hoffen deshalb darauf, dass die Zinsen im Keller bleiben und die Inflation noch lange auf dem hohen Niveau verharrt oder sogar weiter steigt. Denn dann verschwindet ein Teil des Schuldenberges quasi von selbst. Man sagt: Die Schulden werden „weginflationiert“.
Ökonom Marcell Göttert vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria hat jetzt für den KURIER berechnet, was das für Österreich heißt. Wie viel sich die Republik also aufgrund der Inflation beim Schuldendienst erspart.
Ausgangsbasis ist Österreichs Schuldenberg zum Jahresende 2021. 334 Milliarden Euro oder 83 Prozent des BIP sind da über die vielen Jahre zusammengekommen. Jahre, in denen selbst bei Hochkonjunktur keine Budget-Überschüsse erzielt wurden.
Götterts Berechnungen zeigen, dass bei einer Inflation von sechs Prozent heuer und vier Prozent 2023 der „Wertverlust“ des Schuldenberges rund 30 Milliarden Euro ausmacht. Liegt die Inflation in beiden Jahren um je einen Prozentpunkt höher – also sieben Prozent heuer und fünf Prozent 2023 (in etwa aktuelle Prognosen) – beträgt der Wertverlust des Schuldenberges 34 Milliarden Euro.
Außerdem zeigt der Experte: Wenn die Schuldenlast weiterhin bei 334 Mrd. Euro bliebe, würde sich die Schuldenquote bei einer Inflationsrate von 7% heuer zum Jahresende auf 77% reduzieren. Wenn die Inflation im nächsten Jahr 5% beträgt, sinkt die Schuldenquote weiter auf 74%.
Jedoch wird in dieser Rechnung unterstellt, dass sich die reale Wirtschaftsleistung nicht verändert. Falls es heuer zu einer Rezession käme, würde die Quote also nicht so stark sinken.
Aus 100 werden 80
Das sind komplexe Sachverhalte, keine Frage. Doch dahinter steckt eine sehr simple Logik.
Ein Beispiel: Wer Schulden von 100 hat, muss 10 Jahre später noch immer 100 zurückzahlen. Doch die ursprünglichen 100 sind dann nicht mehr 100 wert, sondern real vielleicht noch 80 (wenn die Inflation in diesem Zeitraum 20 Prozent betragen hat).
Was die Sache verkompliziert, sind die Zinsen.
Wer als Privater einen Fixzinskredit hat, dem können steigende Zinsen egal sein. Hier profitiert man von der Geldentwertung durch die Inflation (solange das Einkommen Schritt hält). Bei variabel verzinsten Krediten muss der Kreditnehmer hoffen, dass die Zinsen nicht zu kräftig steigen.
Die Schulden steigen und steigen, weil fast jedes Jahr ein Fehlbetrag (Defizit) im Staatshaushalt aufscheint, der durch immer neue Schulden ausgeglichen werden muss
Lange Historie
Ein Blick zurück zeigt: Im Jahr 1995, also ein paar Jahre vor der Euro-Einführung, betrug der österreichische Schuldenstand umgerechnet rund
120 Milliarden Euro, das waren 68,3 Prozent vom BIP. Bis Ende 2021 ist der Schuldenberg der Republik bereits auf 82,8 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt angewachsen. In
absoluten Zahlen waren das rund 334 Milliarden Euro
Wettlauf gegen die Zeit
Bei Staaten ist das anders, sie bekommen keine Fixzinskredite. Ihre Anleihen „verzinsen“ sich stets neu, je nach Zeitpunkt, Bonität, Zins- und Marktumfeld etc. Das heißt: Hat sich ein Land langfristig in der Niedrigzinsphase verschuldet, ist es wie Österreich relativ gut geschützt. Länder, die sich kurzfristiger verschulden, müssen bald neue Anleihen begeben, um die alten zu refinanzieren und zahlen dann vielleicht schon höhere Zinsen.
Um Schulden also weginflationieren zu können, müssen die Zinsen unten und die Inflation hoch bleiben, sonst heben sich die Effekte gegenseitig auf. Daraus ergibt sich ein „Wettlauf gegen die Zeit“, sagt die deutsche DZ Bank.
Das ist einer der Gründe dafür, warum die Europäische Zentralbank zumindest bisher gegen höhere Zinsen zur Bekämpfung der Inflation ist. Höhere Zinsen schaden meist der Konjunktur. Und Italiener wie Griechen könnten in eine neue Schuldenfalle laufen.
Kommentare