Staatliche Jobgarantie kann Langzeitarbeitslosigkeit entgegenwirken

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AMS-Modellprojekt reduzierte Langzeitarbeitslosigkeit in Gramatneusiedl um 60 Prozent. Oxford-Forscher: Jobgarantie kann Situation für viele Menschen verbessern.

Wer seine Arbeit verliert, bekommt Arbeitslosengeld, muss sich dafür aber selbst um eine neue Stelle bemühen. Die Suche kann mitunter Monate oder Jahre dauern. Anders läuft das in einem Modellprojekt im niederösterreichischen Gramatneusiedl ab. Dort testet das AMS seit Herbst 2020 eine staatliche Jobgarantie für Langzeitarbeitslose. Evaluierungen von Forschern der Universität Oxford zeigen, dass die Langzeitarbeitslosigkeit im Ort dadurch stark zurückgegangen ist.

Das Konzept einer Jobgarantie ist simpel: Alle, die arbeiten wollen, bekommen einen Job auf Staatskosten garantiert. Hier wird der Staat von sich aus aktiv und findet oder schafft öffentlich finanzierte Stellen für Arbeitslose, besonders für diejenigen, die wenig Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt haben. Eine gut ausgestaltete Jobgarantie ermöglicht es Menschen, einer sinnvollen und angemessen bezahlten Arbeit nachzugehen. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass es sich bei den Tätigkeiten um einen reinen Zeitvertreib handelt, betonte der Studienautor Lukas Lehner von der Universität Oxford bei einer Diskussionsveranstaltung des OECD Berlin Centre.

Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal

Das Arbeitsmarktservice (AMS) Niederösterreich startete vor etwa zwei Jahren das Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal. Das Ziel dabei ist, langzeitarbeitslose Personen der niederösterreichischen Gemeinde Gramatneusiedl wieder in Arbeit zu bringen. Das auf bis zu 150 Personen ausgelegte Projekt läuft noch bis April 2024 und wird wissenschaftlich von den Universitäten Oxford und Wien begleitet.

Die ersten Ergebnisse des Pilotprojekts sind vielversprechend: Mit der Jobgarantie konnte die Langzeitarbeitslosigkeit in Gramatneusiedl um 60 Prozent reduziert werden. Die gesamte Arbeitslosenquote ging um etwa 20 Prozent zurück. Die Studie zeigt außerdem erhebliche Verbesserungen bei mehreren sozialen und persönlichen Indikatoren. Die Teilnehmenden können ihren Alltag im Vergleich zu Langzeitarbeitslosen besser strukturieren, kommen besser durch die Coronapandemie und finanzielle Sorgen nehmen ab. Zudem steigt die Einbindung ins Sozialleben, die Menschen haben eher das Gefühl, einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Das allgemeine Wohlbefinden steigt nachweislich.

Soziale Identität

Keine signifikanten Auswirkungen gab es auf die körperliche Gesundheit, bei den grundlegenden Einstellungen der Teilnehmenden oder beim wahrgenommenen sozialen Status. Was sich aber verändert habe, sei die soziale Identität, merkte Lehner an. Die Menschen sehen sich demnach nicht mehr länger als Arbeitslose, sondern als Arbeitende samt gesellschaftlicher Teilhabemöglichkeit.

"Nach mehr als 600 Bewerbungen erwies sich mein Wunsch nach einer Beschäftigung als hoffnungslos", schrieb etwa ein Studienteilnehmer. "Zu alt, zu teuer, aufgrund meines Alters ohne langfristige Perspektive (...) Die Jobgarantie erwies sich für mich als äußerst wertvoll und nützlich. In Zusammenarbeit mit der Gemeinde und dem Heimatmuseum archiviere und dokumentiere ich nun den kulturellen (...) Wert des historischen Ortes Marienthal."

Das Projekt basiert auf Freiwilligkeit. Niemand ist dazu verpflichtet, ein Jobangebot anzunehmen. Dass es die meisten dennoch machen, zeige auch, dass "die Mehrheit der Menschen arbeiten möchte", sagt der Forscher der Universität Oxford. Langzeitarbeitslosigkeit resultiere nicht etwa daraus, dass Menschen unwillig wären zu arbeiten.

"Jobgarantie nicht Lösung für alles"

Die teilnehmenden Menschen arbeiten zwischen 16 und 38 Stunden pro Woche, je nach ihren Zielen, gesundheitlichen Voraussetzungen und Betreuungspflichten. Die Gehälter, die in der Regel zwischen 1.100 und 2.400 Euro pro Monat liegen, sind so festgelegt, dass jeder mindestens so viel verdient, wie er zuvor an Arbeitslosengeld erhalten hat.

Das Pilotprojekt hat ein Budget von insgesamt 7,4 Millionen Euro. Die Kosten für den Staat belaufen sich damit auf rund 29.841 Euro pro Person und pro Jahr. Schätzungen des AMS zufolge kostet ein Jahr Arbeitslosigkeit den Staat ebenfalls durchschnittlich 30.000 Euro pro Jahr. "Die Jobgarantie ist nicht die Lösung für alle Probleme und auch nicht für alle geeignet", resümiert Lehner. Aber als zusätzliches Instrument zu bestehenden Maßnahmen könne sie die Situation von vielen Menschen verbessern.

120 haben Jobgarantie erhalten

Bisher haben etwa 120 Personen die Jobgarantie erhalten. In der Oxford-Studie wurden die Ergebnisse für 62 Arbeitslose analysiert, die im Herbst 2020 ein Teilnahmeangebot erhielten. Die vorläufigen Ergebnisse würden für eine Ausweitung dieses Pilotprojekts sprechen, so Lehner.

Für Gramatneusiedl ist das nicht die erste Sozialstudie. Bereits in den 1930er-Jahren wurde in der Gemeinde, damals noch Marienthal, eine Studie durchgeführt, bei dem ein Forscher-Team rund um Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel die Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit untersuchten. Die Studie wurde weltbekannt und gehört zu den Klassikern in der empirischen Sozialforschung.

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