Softwareverbands-Chef: „AMS-Algorithmus ist desorientiert"
Coding sei ein aussterbender Beruf, der AMS-Algorithmus führe in die Irre und Jobsuchende über 50 seien in der IT-Branche zu teuer: Peter Lieber, Vorsitzender des Verbandes Österreichischer Software Industrie (VÖSI), schlägt im KURIER-Interview höchst kritische Töne an.
KURIER: Der Fachkräftemangel ist ein Branchen-Dauerthema. Wie akut ist die Lage?
Peter Lieber: Es wird schlimmer. Wir steuern wohl auf 15.000 offene IT-Stellen zu. Zugleich sind beim AMS 8.000 Arbeitslose aus der IT-Branche vorgemerkt. Das Dilemma: Was am Markt nachgefragt wird, ist nicht das, was verfügbar wäre.
Die Politik meint, dass in den Unternehmen vor allem junge Programmierer gesucht werden...
Wir haben inzwischen viele Berufe in der Software-Branche, fast schon wie in der Baubranche. Dort gibt es Architekten, Bauingenieure und am Ende den Maurer, der die Spachtel in die Hand nimmt. Bei uns sind das die Codierer (schreiben die Code-Zeilen für Computerprogramme, Anm.). Das ist aber eine aussterbender Beruf, weil den Job in Zukunft Maschinen erledigen werden. Mit dem Codieren ist es früher oder später ganz vorbei.
Geht die neu eingeführte Coding-Lehre dann nicht am Bedarf vorbei?
So neu ist die Lehre nicht. Es handelt sich hauptsächlich um eine Umbenennung des Informatik-Lehrberufes mit weniger Hardware-Anteil. Das Problem ist: Viele Betriebe können gar nicht das gesamte Lehr-Spektrum selbst ausbilden. Sie nehmen daher lieber HTL- oder FH-Absolventen. Wir bräuchten also viel mehr HTL-ler. Im höherqualifizierten Bereich bräuchten wir mehr Unternehmens-Architekten mit breitem wirtschaftlich-technischem Know-how, die die digitale Transformation im Unternehmen begleiten.
Welche IT-Qualifikationen sind also in Zukunft gefragt?
Es gibt da einen Spruch in unserer Branche: ’Lehre die Sehnsucht nach dem Mehr und nicht bloß eine Programmiersprache.’ Wir bilden leider viel zu viele Fachidioten aus, die ein paar bestimmte Programmiersprachen beherrschen, aber nicht über den Tellerrand hinausblicken können und sich daher auf nichts Neues einlassen.
Soll jeder Schüler programmieren lernen?
In einer digitalen Welt sollte zumindest jeder verstehen, was einem der Computer vorsetzt. Die Computer übernehmen irgendwann die Macht über uns, wenn wir sie nicht verstehen. Es sollten daher zumindest Grundkompetenzen unterrichtet werden, so eine Art Grammatik der Programmiersprachen. Es macht generell Sinn, sich klar strukturiert und eindeutig auszudrücken und nicht lange herumzuschwafeln. Technische Schulen sollten aber auch den Humanismus nicht zu kurz kommen lassen.
Apropos Humanismus. Beim AMS entscheidet künftig auch ein Algorithmus über die Arbeitsmarktchancen von Menschen. Was sagen Sie als Software-Entwickler dazu?
Ich finde den Algorithmus des AMS völlig desorientiert. Es werden nur statistische Kriterien herangezogen, auf den Faktor Mensch wird gar nicht eingegangen. Der statistische Mittelwert aus irgendwelchen Daten hilft niemandem, da wird man völlig fehlgeleitet. Wichtige Job-Faktoren sind ja auch Empathie, Kommunikationsfähigkeit oder ob jemand in die Unternehmenskultur passt. Die Letztentscheidung sollte daher immer der Mensch treffen. Dafür braucht es gut ausgebildete Leute beim AMS, die in der Lage sind, mutige Entscheidungen zu treffen und sich nicht aus Faulheit auf den Computer verlassen.
Auch viele Unternehmen setzen automatisierte Systeme zur Bewerber-Vorauswahl ein. Über 50-Jährige haben gerade in der IT-Branche oft schlechte Karten und werden gleich aussortiert ...
Hier geht es darum, den Aufwand zu verringern. Wer 1.000 Bewerbungen auf eine Stelle erhält, muss vorselektieren, weil nur mit wenigen Bewerbungsgespräche stattfinden können. Leider werden dadurch oft auch gute Leute aussortiert. Jobsuchende über 50 müssen bereit sein, unter ihrem bisherigen Lohnniveau wieder einzusteigen. Wer wieder neu anfangen muss, kann dies nicht mit einem Managementgehalt. Das ist dem Markt geschuldet.
Der Verband Österreichischer Software Industrie (VÖSI) vertritt 50 in Österreich tätige Software-Unternehmen, darunter Konzerne wie Microsoft, IBM oder Atos sowie kleine und mittlere IT-Firmen wie Raiffeisen Informatik oder RISE. Peter Lieber (46) ist mehrfacher Unternehmensgründer. Seine beiden größten Software-Firmen LieberLieber und SparxSystems sind im Bereich IT-Infrastruktur tätig.
Spitzengehälter gibt es also nur für 20- bis 40-jährige Jobwechsler?
Scheint so zu sein. Leider bauen viele Unternehmen Mitarbeiter über 50 ab, die für den Markt dann zu teuer sind. Wollen sie wieder einen Job, müssen sie wahrscheinlich drei Schritte zurückgehen. Dann können sie durch ihre Erfahrung wieder aufsteigen, aber zuerst müssen sie durch das Tal der Tränen.
Betriebe gehen wieder dazu über, Programmierleistungen und IT-Services ins Ausland zu verlagern. Feiert Outsourcing ein Comeback?
Ja, durchaus. Personaldienstleister werben dauernd damit, genug IT-ler zu haben, nur halt nicht in Österreich. Serbien, Montenegro, Rumänien und die Ukraine positionieren sich als Nearshoring-Länder (Outsourcing-Länder in der Nähe, Anm.) Da ist das Preisniveau auch noch ganz anders als hier. Bei ferneren Ländern wie Indien oder Indonesien sind Zeitzone und kulturelle Unterschiede das Problem.
Die Rotweißrot-Karte bietet die Möglichkeit, gut Qualifizierte nach Österreich zu holen. Warum wird sie kaum genutzt?
Weil es nicht so einfach ist. Wir haben das selbst ausprobiert und einen Inder angestellt. Nach einer Woche war schon die Fremdenpolizei da, weil er noch keine Rotweißrot-Karte hatte. Das Prozedere dauert in Wien bis zu acht Wochen und nicht vier wie angenommen. Die Qualifikation ist kein objektives Kriterium. Auch die Kriterien für das Start-up-Visum sind völlig intransparent. Da muss jedenfalls eine Reform her.
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