So wird es mit Russlands Wirtschaft weitergehen
Der 24. Februar 2022 ist der Tag, an dem der groß angelegte Angriff Russlands gegen die Ukraine begonnen hat. Seither ist auch wirtschaftlich viel passiert: Insgesamt haben die EU-Ländern seit Kriegsbeginn sechs Sanktionspakete beschlossen. Darunter befinden sich ein Kohle- und Ölembargo und der Ausschluss eines Großteils der russischen Banken vom internationalen Zahlungssystem Swift. Russland hat die Sanktionen seinerseits mit Sanktionen gegen mehrere Länder beantwortet.
Mit fortwährender Dauer des Kriegs mehren sich die Zweifel an der Wirksamkeit der Sanktionen. Die Österreicherinnen und Österreicher sehen diese sehr differenziert, wie eine aktuelle Umfrage von APA und ATV zeigt. Rund ein Viertel der Befragten will ein Ende der Sanktionen, ein Fünftel spricht sich für Verschärfungen aus, ein weiteres Fünftel will die Sanktionen wie bisher beibehalten. Auch politisch wird das Thema immer wieder aufgegriffen, zuletzt hat FPÖ-Chef Herbert Kickl eine Volksbefragung zu den Russland-Sanktionen gefordert. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer und Tirols Parteichef Anton Mattle (beide ÖVP) diskutierten in den vergangenen Tagen laut über die Frage, wie treffsicher die Sanktionen gegen Russland seien. Ähnliche Töne hörte man bereits von Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat bei der Eröffnung des „Europäischen Forum Alpbach“ am Montag klar gestellt, dass die Sanktionen aufrecht zu erhalten sind. Dies sei eine wichtige Frage und er gebe eine klare Antwort: „Wir haben das zu tun.“ Berechtigt sei nach Ansicht des Regierungschefs die Frage, ob die Sanktionen Russland auch mehr treffen als die EU. Dass es aber entsprechende Maßnahmen brauche, stehe für ihn außer Diskussion, so Nehammer.
Die Frage, die sich tatsächlich viele Österreicherinnen und Österreicher stellen, ist: Was passiert jetzt mit Russlands Wirtschaft? Wie nachhaltig ist der Schaden, der entsteht? Und wer braucht wen eigentlich mehr - Russland den Westen, oder der Westen Russland? Der KURIER hat darüber mit vier Expertinnen und Experten gesprochen.
- Wie umfangreich ist der Brain Drain, der Verlust der klugen Köpfe, in Russland durch den Krieg?
„Es gibt unterschiedliche Schätzungen, wie viele russische Bürger das Land seit Beginn dieses Krieges verlassen haben. Die reichen von etwa 150.000 bis 400.000“, sagt Politikwissenschafter und Russland-Experte Gerhard Mangott. Die meisten seien Bürgerinnen und Bürger mit hoher Qualifikation und Bildung. Das potenziert ein ohnehin vorhandenes Problem, sagt er: „Für Russland ist es ein erheblicher Schaden, weil angesichts der Geburtenentwicklung seit Mitte der 80er Jahre ohnehin weniger junge Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.“
- Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Menschen nach Russland zurückkehren?
Mangott vermutet, dass diese Schlüsselkräfte im Großen und Ganzen verloren sind. Außer, es gebe bald – also in den kommenden Jahren – einen Wechsel hin zu einem westlich orientierten Regime. Das sei aber aus heutiger Sicht „sehr, sehr unwahrscheinlich“, denn Anzeichen dafür gebe es keine. Dass der Brain Drain ein großes Thema für Russland ist, sieht auch Barbara Stelzl-Marx so. Stelzl-Marz ist Historikerin und Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung. „Es gibt viele, die jetzt etwa in Istanbul oder im Kaukasus sind. Von Russland aus kommt man dort relativ leicht hin, und die Menschen könnten auch wieder relativ leicht zurückkehren.“ Diese Personen würden aktuell wohl abwarten. Aus der Migrationsforschung wisse man, dass der Rückkehrwille zunächst sehr groß sei. „Nach zwei Jahren ist es aber so, dass sehr viele nicht mehr zurückkehren möchten, weil sie sich gut eingelebt haben. “
- Wirken die Sanktionen des Westens überhaupt?
Ja, sagt Olga Pindyuk, Wirtschaftsexpertin am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche mit ukrainischen Wurzeln. Auch, wenn die Sanktionen nicht eine sofortige Katastrophe für die russische Wirtschaft bedeuten. Sie könnten aber nicht die militärischen Aktionen Russlands stoppen, dafür seien sie nicht geeignet. Die Geschlossenheit des Westens sei außerordentlich wichtig und würde die russische Wirtschaft langfristig immer weniger wettbewerbsfähig machen. Wenn der Westen nicht nur kein Öl und Gas kauft, sondern auch keine High-Tech-Produkte nach Russland liefert, dann ist das ein schwerer Schlag für die russische Wirtschaft und das Militär, sagt Pindyuk. Denn Letzteres brauche hoch entwickelte Komponenten für seine Ausrüstung. „Chips sind überall drinnen, von Waschmaschinen bis hin zu militärischer Ausrüstung.“ Russland versuche, diese Produkte illegal zu bekommen, das sei sehr schwierig, vor allem in erheblichem Umfang.
- Wie schnell könnten sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und dem Westen nach einem Kriegsende normalisieren?
Das käme darauf an, wie dieser Krieg zu Ende geht, sagt Politikwissenschafter Gerhard Mangott. Bei einem Sieg Russlands würden die Sanktionen „ganz sicher“ bleiben. Bei einem Sieg der Ukraine und einem Eingeständnis Russlands könnte es „zu einem langsamen Sanktionsabbau“ kommen.
- In welchen Branchen würden sich die Handelsbeziehungen zwischen Russland und Europa am schleppendesten erholen?
„Exportkontrollen von Elektronik und Hochtechnologie würden sicherlich am längsten dauern, weil vieles davon auch im militärischen Sektor eingesetzt wird“, ist Mangott sicher. Vorzeitiger würde wohl der Handel mit anderen, nicht militärisch verwendeten Produkten aufgenommen werden. Das sind Produkte des täglichen Konsums sowie der Konsumgüterindustrie, „zum Teil auch des Maschinenbaus“.
- Wer braucht wen mehr – Russland Europa, oder Europa Russland?
Der Westen brauche Russland wesentlich weniger als umgekehrt, sagt Artem Kochnev, Wirtschaftswissenschafter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche und russischer Staatsbürger. 50 Prozent der russischen Export- und Importtätigkeiten fanden mit Europa statt. „Die europäische Abhängigkeit von Russland im Öl- und Gasbereich ist eher kurzfristig.“
- Welche alternativen Handelspartner hat Russland? Ist auf die Verlass?
Neben China ist Indien ein wichtiger Handelspartner für Russland. „Dort ist der Handel auch gewachsen, vor allem von Erdöl, das nach Indien verschifft wird, zu deutlich niedrigeren Preisen als der Weltmarktpreis für Rohöl“, erklärt Gerhard Mangott. „Auch südostasiatische Staaten sind Märkte, der arabische Raum insbesondere, einige lateinamerikanische Staaten und einige afrikanische Staaten. Das sind wohl die wichtigsten alternativen Partner für Russland, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch.“ Mangott ist sicher, dass Russland jetzt stärker in die Arme Chinas getrieben wird. China aber ist nicht völlig bereit, sanktionierte Güter an Russland zu liefern. Auch Barbara Stelzl-Marx vermutet, dass sich China weiter nicht klar prorussisch positionieren wird. „China ist dabei, sich durchzulavieren. China sind die wirtschaftlichen Beziehungen mit Europa und den USA wichtig.“
- Was macht das alles langfristig mit Russlands Wirtschaft?
„Langfristig ist die russische Wirtschaft eine Wirtschaft ohne Zukunft“, sagt der russische Wirtschaftsexperte Artem Kochnev. Sie werde stark von asiatischen Ländern abhängig sein, doch seien jene, zu denen Russland gute Beziehungen habe, selbst keine Technologieführer – sogar China nur zum Teil. Die Isolation gegenüber dem Westen wird dafür größer werden. Zu spüren wird das die Bevölkerung bekommen. Die Preise für Produkte werden steigen, deren Qualität aber sinken. An Emigration werden nur Top-Ausgebildete denken können, denn nur diese haben die Erfahrung, Fremdsprachenkenntnisse und Netzwerke, um es im Ausland zu schaffen, sagt Kochnev. Dennoch würde Russland gerade seine „Zukunft verlieren“, glaubt der Experte. Auch Historikerin Barbara Stelzl-Marx vermutet, dass die Folgen des Kriegs vor allem den russischen Mittelstand stark treffen werden. Bei Lebensmitteln, Sprit etc. hätten die Preise bereits stark angezogen. „Der beginnende Wohlstand der Mittelschicht wird wohl zurückgehen.“
- Wie stark wird die russische Wirtschaft heuer und 2023 einbrechen?
Westliche Institutionen seien sich nicht ganz einig, wie weit die Rezession gehen wird, sagt Gerhard Mangott: „Die höchsten Schätzungen laufen aber auf einen Wirtschaftseinbruch von 14 Prozent in diesem Jahr hinaus.“ Wachse die Weltwirtschaft weiter, werde Russland noch mehr an Boden verlieren – und das nicht nur gegenüber hoch entwickelten, sondern auch Schwellenländern wie Brasilien oder Südafrika, so die Einschätzung von Artem Kochnev. Und: Russlands Abhängigkeit von China wird größer werden, glaubt Kochnev. Russland werde aufgrund Chinas wirtschaftlicher Stärke nur der Juniorpartner sein und politische Konzessionen machen müssen.
- Wie wird die wirtschaftliche Bedeutung Russlands in Zukunft aussehen?
Die Finanzierung des Staatshaushaltes wird für Russland immer schwieriger, da Russland als „Outlaw“ auf den Finanzmärkten gilt und dort nur schwer Geld bekommt, sagt Ökonom Artem Kochnev. Die Fiskalreserven werde noch bis Ende nächsten Jahres reichen, dann könne die Regierung noch Kredite von Inlandsbanken aufnehmen, das alles reiche aber nicht für große Zukunftsperspektiven. Auch wenn Russland durch sein Atomarsenal weiter eine geopolitische Bedeutung haben werde, werde seine Rolle in der Welt eine immer kleinere werden.
- Und wie kann es in der Ukraine nach Kriegsende weitergehen?
„Sollte die Ukraine ganz oder zumindest in großen Teilen bestehen bleiben, sieht deren Perspektive viel besser aus. Denn dann sei mit Geld aus dem Westen für den Wiederaufbau der Infrastruktur zu rechnen – und da gebe es genug zu tun. Die bisherigen Schäden durch den Krieg sollen bei rund 100 Milliarden Euro liegen, mehr als das halbe BIP der Ukraine. Der Wiederaufbau könne mit neuen Technologien schnell und besser gelingen, es wäre eine „schmerzhafte, aber rasche Modernisierung“, meint Expertin Olga Pindyuk. Aber auch die Ukraine müsse ihre Aufgaben machen, allen voran eine stärkere Bekämpfung der Korruption. Im besten Fall werde die Ukraine näher an den Westen rücken und eine stärkere Wirtschaft als vor dem Krieg haben“, sagt Pindyuk.
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