Milliarden-Business: So läuft Putins Geschäft mit Blutdiamanten ab
Rund 50 Kilometer von Brüssel entfernt wurde vergangene Woche mit Unruhe der EU-Gipfel in der belgischen Hauptstadt erwartet. Für Antwerpen sind die kommenden Beschlüsse im Zuge des zehnten Sanktionspakets gegen Russland von höchstem Interesse.
Denn die Hafenstadt in Flandern sieht sich seit rund einem Jahr mit Vorwürfen konfrontiert, Putins Invasion in der Ukraine indirekt zu unterstützen: Jene Edelsteine, die in dem drei unscheinbare Straßen umfassenden Diamantviertel in die ganze Welt verkauft werden, stammen unter anderem aus Russland. Die an Diamantvorkommen äußerst reiche Region Jakutien hat Russland zum weltweit größten Exporteur für Rohdiamanten gemacht (siehe Infokasten).
Geschürft werden diese fast ausschließlich vom Bergbauunternehmen Alrosa – das in enger Beziehung zum Kreml steht. Ein Drittel der Firma gehört der russischen Regierung. Der Vater von Alrosa-CEO Sergej Iwanow Jr. ist einer von Präsident Putins engsten Vertrauten. Jeder verkaufte Stein füttert auch dessen Kriegskasse.
Schlupfloch in den USA
Auf keiner der vorangegangenen Sanktionslisten tauchte der Name Alrosa bisher auf. Bereits kurz nach Beginn des Kriegs hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij an die Abgeordneten im belgischen Parlament appelliert, russische Edelsteine zu sanktionieren: "Ich denke, Friede ist kostbarer als Diamanten." Passiert ist seitdem jedoch wenig.
Die US-Regierung hingegen handelte zumindest auf den ersten Blick rasch. Bereits im März 2022 verbot Washington den Import von russischen Diamanten. Ließ jedoch ein gewaltiges Schlupfloch: die "substanzielle Veränderung". Diese besagt, dass wenn Waren einer grundlegenden Veränderung der Form und des Aussehens unterzogen werden, das durchführende Land zum Ursprungsland wird. Das Schleifen eines Diamanten gilt als wesentliche Bearbeitung.
Wird ein Rohdiamant also nach Indien geschickt, um dort geschliffen zu werden, stuft der US-Zoll den russischen Stein als indischen Ursprungs ein – und er kann auf legalem Wege in den Vitrinen der Juweliere landen. In Anbetracht dessen, dass über 90 Prozent der weltweiten Diamanten in der indischen Metropole Surat geschliffen werden, erscheinen die US-Sanktionen somit als zahnlos.
Exportschlager
Indien mag anhand des Gesamtwertes der exportierten Diamanten (2021: 24,7 Mrd. US-Dollar) weltweit führend sein, wenn es um den Verkauf von Rohdiamanten geht, hat Russland die Nase vorn
48,6 Millionen Karat
exportierte Russland im Jahr 2021 – das höchste Volumen seit Beginn des Beobachtungszeitraums 2007
Auch in Afrika präsent
Belgien gerät zunehmend in Erklärungsnot, warum es nach wie vor nicht aktiv mit der Europäischen Kommission an Maßnahmen gegen russische Diamanten zusammenarbeitet. Mit Antwerpen als einer der weltweiten Hauptumschlagplätze für Diamanten wäre das Land so gut wie ausschließlich von einer EU-Sanktion betroffen. Während die Sozialisten in der belgischen Regierung auf ein Importverbot pochen, ist die flämische Regierung schwerer zu überzeugen. Die Regionen haben bei Entscheidungen wie dieser in Belgien das Recht mitzureden. Belgiens Premierminister Alexander De Croo wirbt nun für ein international abgesprochenes Vorgehen, um Blutdiamanten aus Russland aufzuspüren, damit sein Land nicht weiter als Hindernis für Maßnahmen angesehen wird.
Ein wasserdichtes System, das sich De Croo wünscht, ist ein äußerst komplexes Großprojekt. Denn die Diamantbranche tut sich seit jeher sehr schwer, ihre Ware rückverfolgbar zu machen. Viele Mittelsmänner zwischen Mine und fertigem Ring sind einer der vielen Gründe.
Selbst wenn man es schaffen würde, direkt aus Russland kommende Steine herauszufiltern, zeigt ein Blick nach Afrika, dass Putin auch im dortigen Diamantabbau äußerst präsent ist: Alrosa hält an der Catoca-Mine in Angola 32,8 Prozent der Anteile, in Simbabwe darf der Bergbau-Gigant ebenfalls an zwei neuen Fundorten schürfen. In der Zentralafrikanischen Republik schließt sich der Kreis zum Krieg: Gewaltsam zwingt dort die russische Söldnertruppe Wagner die verarmten Minenarbeiter im Kleinbergbau, ihre Edelsteine abzugeben oder sie ausschließlich an die russische Scheinfirma Diamville zu verkaufen.
Über Umwege
Ohne Beschluss eines internationalen Vorgehens, das auch Länder wie Indien, Afrika und die Vereinigten Arabischen Emirate inkludieren müsste, wird es für Diamanthändler aus Belgien im Falle von EU-Sanktionen wohl trotz Hindernissen weiterhin möglich sein, Steine aus Russland zu beziehen. "Wir bezahlen Firmen in Dubai, die wiederum Firmen in Indien bezahlen", erklärt ein Antwerpener Diamanthändler, der anonym bleiben will, im KURIER-Gespräch. "Die Ware wird über Indien oder Dubai zu uns gelangen, wenn diese Handelszentren keinen Sanktionen ausgesetzt sind."
"Hoffentlich handelt es sich nicht um einen Blutdiamanten?" – mit dieser Frage werden Juweliere regelmäßig von Kundschaft konfrontiert. Erstere beziehen sich oft auf den Kimberley-Prozess (KP), ein Herkunftszertifikat, das den Handel mit ebendiesen unterbinden soll. Die im Jahr 2003 in Kraft getretene freiwillige Initiative, der 56 Länder beigetreten sind, will verhindern, dass bewaffnete Gruppen Rohdiamanten aus jenen Gebieten verkaufen, die sie kontrollieren, um damit Waffen zu finanzieren. In den vergangenen zwanzig Jahren lag der Fokus per definitionem auf der Zentralafrikanischen Republik, die seit 2013 aufgrund des Bürgerkriegs in Gewalt versinkt.
Hier zeigen sich erste Lücken des Kimberley-Prozesses: Das Embargo mag zwar auf Papier existieren, zwingt den Handel mit Rohdiamanten, von deren Abbau dort bis zu 300.000 Menschen leben, jedoch nur in den Untergrund. 80 bis 95 Prozent der in der Zentralafrikanischen Republik geschürften Steine – jährlich rund 245.000 Karat – werden laut den Vereinten Nationen von dort geschmuggelt. Die kleinen Kostbarkeiten gelangen in Nachbarländer (u.a. Kongo), die am Kimberley-Prozess teilnehmen – und von dort auf legalem Weg in die Welt.
Vor einem Jahr wurde die Kritik noch lauter: Russland müsse mit dem Einmarsch in die Ukraine von den KP-Mitgliedsstaaten ausgeschlossen werden, hieß es von vielen in der Diamantbranche. Mit dem Verkauf der Rohdiamanten von Produzent Alrosa, werde auch der Krieg finanziert. Der Versuch mehrerer Mitgliedsländer, Russland auf der Plenarsitzung des Kimberley-Prozesses im November 2022 zu erörtern, scheiterte. "Unabhängig davon, was ich oder meine Kollegen persönlich über die schrecklichen Ereignisse in Mitteleuropa denken, fällt ein Krieg zwischen zwei souveränen Staaten eindeutig nicht unter das derzeitige Mandat des KP", sagte Edward Asscher, Präsident des Weltdiamantrats. Es sei offensichtlich, dass das Zertifizierungssystem "wahrscheinlich keine konstruktive Rolle bei der Lösung des Krieges spielen werde." Kurz: An einer Reform besteht kein Interesse.
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