Shrinkflation: Die Tricks der Lebensmittelhersteller
von Vitus Ortner
In Zeiten von steigenden Preisen wird auch die Produktion von Gütern des täglichen Lebens immer teurer. Die Hersteller müssen ihre höheren Kosten also weitergeben. Doch anstatt einfach den Preis zu erhöhen, greifen viele zu einem perfideren Mittel – Shrinkflation.
Das Schuljahr beginnt und in ganz Österreich werden wieder allmorgendlich Jausenboxen gefüllt. Ein bei Kindern besonders beliebter Snack ist das an jeder Kasse erhältliche Knabber Nossi-Brühwürstchen, das es praktischerweise im 12er-Familienpack zu kaufen gibt. Pardon, zu kaufen gab. Denn der Hersteller Maresi hat die Packung bei gleichbleibendem Preis verkleinert, statt zwölf finden sich nun elf Würstchen darin. Und wo vorher groß „12x“ prangte, steht nun der kleine Hinweis „11x einzeln verpackt“.
Dieses Phänomen bezeichnet man als Shrinkflation, was aus dem englischen „shrink“ für „schrumpfen“ und Inflation besteht. Shrinkflation nennt man die versteckte Teuerung, wenn Hersteller den Inhalt eines Produktes reduzieren aber den Preis nicht oder nur minimal anpassen. In unserem Würstchen-Beispiel kommt man so auf eine effektive Preissteigerung von satten 9%. Maresi erklärt dazu ehrlich, dass sie lieber die Menge senken, als den Preis zu erhöhen: „Für viele ist es einfacher, etwas weniger zu kaufen, als mehr zu bezahlen.“
Wachsendes Phänomen
„In letzter Zeit häufen sich bei uns die Meldungen wegen reduzierter Füllmengen. Offenbar wird damit aktuell versucht, die Preissteigerung zu verschleiern“, erklärt Teresa Bauer von Verein für Konsumenteninformation (VKI). Der Begriff Shrinkflation wurde 2009 von der britischen Ökonomin Pippa Malgrem geprägt und erfreut sich seitdem anhaltender Beliebtheit – wohl auch, weil das beschriebene Phänomen anhaltend genutzt wird.
So sorgte etwa letztes Jahr der Nahrungsmittelhersteller Upfiel Schweiz GmbH für Aufregung. Er ließ den Margarine-Füllstand seiner Rama Original Packungen von 500 auf 450 Gramm dahinschmelzen. Der Hersteller begründet die Änderung mit einer neuen Rezeptur, und tatsächlich befindet sich nun kein Palmöl mehr in dem Streichfett. Der VKI ortet dennoch eine versteckte Preissteigerung. Aufgedeckt hat die Trickserei übrigens eine Schulklasse, die an einem „Konsument“-Projekt teilgenommen hat.
Müllproblem
Das Rama-Beispiel verdeutlicht ein zweites Problem der Shrinkflation. Denn trotz der kleineren Produktmenge blieb die Verpackung gleich groß. Das täuscht nicht nur die Kunden, sondern erzeugt auch mehr Müll pro Produkt. Die deutsche Verbraucherzentrale hat ausgerechnet, dass durch übergroße Packungen in Deutschland jährlich 1,4 Millionen Mülltonnen à 240 Liter an zusätzlichem Abfall entstehen. Damit schadet die Praktik also nicht nur dem Geldbörserl, sondern auch der Umwelt.
Wissenschaftliche Erklärung
Wie kann Shrinkflation also trotz dieser Probleme ein so beliebtes Werkzeug sein? Zwei nordamerikanische Forscher von den Universitäten Saskatchewan und Purdue haben sich 2014 damit beschäftigt, wie Kunden auf verkleinerten Packungen reagieren. Und ihre Ergebnisse sind eindeutig: Konsumenten sind bei Preisveränderungen circa vier Mal so sensibel wie bei Veränderungen der Packungsgröße.
Deshalb versuchen Produzenten, den Preis zu halten, was oft auf Kosten der Füllmenge geht. So sind im Haribo Goldbären Sackerl plötzlich elf Gummibärchen weniger, wie es gerade in Deutschland geschieht, die psychologisch wichtigen 99 Cent bleiben dafür bestehen.
Wie schützt man sich?
Diese Tricks fallen vielen gar nicht auf, genau so wollen es die Hersteller auch. „Kaum jemand kennt die Füllmengen aller Produkte, vor allem wenn diese nur selten im Einkaufswagen landen“, so VKI-Expertin Bauer. Deshalb kann es schwierig sein, sich vor Shrinkflation zu schützen. Wer nicht in die Falle tappen möchte, sollte sich angewöhnen, auf die Kilo- beziehungsweise Literpreise zu achten. Denn hier kann nicht geschummelt werden und der Preis bleibt ehrlich und vergleichbar.
Außerdem sollte man bei bestimmten Produktgruppen besonders vorsichtig sein. Abgepackte Lebensmittel und alkoholfreie Getränke sind der Klassiker. Ein zum Kilopreis gehandelter Apfel auf der anderen Seite ist gegen Verpackungsspielchen immun.
Aber auch Hygiene- oder Reinigungsartikel sind gefährdet. Im April 2021 kor der deutsche Verbraucherschutz eine Nivea Handcreme wegen versteckter Preiserhöhung von 33% zur Mogelpackung des Monats, im März des selben Jahres war es ein Geschirrspülmittel von Pril mit 11%.
Wenn den Kunden eine solche Veränderung auffällt, ist der Unmut oft groß. „Konsumenten nehmen so etwas als Vertrauensbruch wahr“, sagt Bauer. „Preissteigerungen sind vor allem jetzt natürlich verständlich, aber sie sollten nicht durch die Hintertür geschehen.“ Die Kunden würden höhere Preise gegenüber der empfundenen Täuschung bevorzugen.
Doch ein Ende der Praktik erwartet die Expertin nicht, im Gegenteil komme die größte Welle erst auf uns zu. Denn es dauert einige Monate, bis alle Verpackungen, Etiketten und ähnliches, auf denen noch alte Füllmengen stehen und die entsprechend bestückt sein müssen, ausgetauscht sind.
Kaum staatlicher Beistand
Der Staat steht den Konsumenten bei dieser Masche nur wenig zur Seite. Während in Deutschland die Eichämter maximal 30 % Luft in der Packung erlauben, sucht man eine vergleichbare Regelung in Österreich vergeblich.
Sie könnte aber eine Möglichkeit sein, die Hersteller dazu zu zwingen, mit sinkender Produktmenge auch die Verpackungen zu verkleinern und damit die Konsumenten auf die Veränderung hinzuweisen. Doch bis ein solches Gesetz erlassen ist, heißt es weiter aufmerksam sein und sich keinen Bären aufbinden lassen - auch keinen Goldbären.
HINWEIS der Redaktion: Haben Sie konkrete Beispiele für Shrinkflation (Produkt vorher, Produkt nachher)? Dann schicken Sie diese an wirtschaft@kurier.at
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