Die Handschuhe sind ausgezogen: Der im Dezember finalisierte Verkauf der Medizinsparte Sempermed, immerhin ein Drittel des gesamten Geschäfts, läutet eine neue Ära beim Gummiverarbeiter Semperit ein. Der KURIER sprach mit Vorstandschef Karl Haider über die Folgen des Deals, Schärfen der Identität und Zukunft des Industrie-Standortes.
KURIER: Die Pandemie sorgte für Rekordumsätze bei OP- und Schutzhandschuhen. Warum wird die Sparte jetzt trotzdem verkauft?
Karl Haider: Man kann eine Konzernstrategie ja nicht auf einer Pandemie aufbauen. Der Fokus auf das Industriesegment stand schon früher fest. Es hat dann etwas länger gedauert, aber mit Harps Global aus Malaysia haben wir nun den idealen Käufer gefunden.
Das Unternehmen aus Malaysia mit Headquarter in Singapur hat eine lange Tradition in der Handschuhproduktion. Der Vater des jetzigen Besitzers hatte schon damit begonnen, der Sohn baute 2015 eine eigene Produktion auf. Die Kapazität liegt bei mehr als 11 Milliarden Stück Handschuhe. Was ihnen bisher gefehlt hat, waren der weltweite Vertrieb, das Branding und das Know-how bei OP-Handschuhen.
Mit dem Verkauf geht eine Ära zu Ende, die Semperit zuletzt Verluste brachte. War es im Nachhinein gesehen ein Fehler, eine Fabrik in Malaysia zu kaufen?
Ich würde nicht von einem Fehler sprechen. Wir haben bei Semperit schon viele Sachen gemacht und uns wieder davon getrennt: Gummiboote, Reifen... jetzt eben die Handschuhe. Nun bricht die Ära der Industriesegmente an, also eine Verfeinerung der Strategie, mit der wir erfolgreich sein werden.
Welche Auswirkungen hat der Deal auf den Standort Wimpassing/NÖ, wo derzeit OP-Handschuhe produziert werden?
Wir erwarten den Abschluss des Deals bis Jahresmitte. Dann übernimmt Harps das Werk in Malaysia und den Vertrieb. Die OP-Handschuhproduktion in Wimpassing samt der Verpackung in Sopron laufen als Lohnfertigung für Harps noch bis zu fünf Jahre weiter.
Je nachdem, wo das Werk dann gebaut wird, können die Mitarbeiter dorthin wechseln
von Karl Haider
Und danach?
Dann gehen die Maschinen und die rund 80 Mitarbeiter hier in Wimpassing an Harps über. Harps will im Bereich OP-Handschuhe weltweit Fuß fassen und sucht einen eigenen Produktionsstandort dafür. Sie sind daher hochinteressiert an unserem Know-how. Je nachdem, wo das Werk dann gebaut wird, können die Mitarbeiter dorthin wechseln. Der Rest könnte bei uns im Werk in Wimpassing in einem anderen Bereich unterkommen. Der Standort bleibt ein wichtiger Teil unserer Gesamtstrategie.
Was wird dann weiter in Niederösterreich produziert?
Wir produzieren hier weiterhin z.B. Handläufe, Hydraulikschläuche und Seilbahnringe, die wir weltweit verkaufen. Unsere Förderbänder produzieren wir in Polen und in Indien.
Gummiverarbeiter
Die Geschichte des Kautschuk- und Gummiverarbeiters reicht bis 1824 zurück. Heute fertigt er an 16 Standorten u.a. Hydraulik- und Industrieschläuche, Fördergurte, Rolltreppen-Handläufe, Bauprofile und Seilbahnringe. Aktuell sind 6.700 Mitarbeiter beschäftigt, davon 800 in Österreich. Nach dem Verkauf werden es 4.200 sein.
Karl Haider
Der 57-jährige Oberösterreicher und promovierte Chemiker folgte im Sept. 2022 Martin Füllenbach an der Konzernspitze. Zuvor war er jahrelang in der Stahlindustrie tätig, zuletzt bei Tata Steel
Werden Sie neue strategische Schwerpunkte setzen?
Unsere Kernkompetenz sind und bleiben engineered elastomers, also technisch komplexe Industrieanwendungen...
... das müssen Sie erklären...
Stimmt, wir haben tolle Produkte, müssen aber wohl noch unsere Identität schärfen. Ich selbst werde immer noch auf die Reifen angesprochen, obwohl wir die Reifensparte ja schon lange (1985, Anm.) verkauft haben. Aber keiner weiß, dass in jedem Ski und jedem Snowboard eine Folie von uns drinnen ist. Oder denken Sie an die Skilifte, die mit unseren Gummiseilbahnringen ausgestattet sind. Oder die Hydraulikschläuche für Kräne sowie Handläufe für Rolltreppen.
Der Trend zur De-Globalisierung ist noch nicht sichtbar
von Karl Haider
Weil Sie immer noch auf Reifen angesprochen werden: Gibt es vielleicht irgendwann ein Comeback der Reifen-Produktion?
(lacht) Nein, das haben wir nicht vor, der Zug ist abgefahren. Über den Trend zur De-Globalisierung wird gerne gesprochen, aber sichtbar ist er noch nicht.
Wie Gas-abhängig ist die Fertigung und wie reagieren Sie auf die hohen Energiepreise?
In Europa nutzen wir zu 12 bis 15 Prozent Gas für die Produktion, die stärkste Abhängigkeit ist hier in Wimpassing, in Tschechien und in Deutschland. Wir können jetzt unsere Brenner mit Öl und Gas betreiben und sind bis dato gut durch die Krise gekommen, aber natürlich mit höheren Kosten. Da haben wir schon einen enormen Wettbewerbsnachteil gegenüber den USA oder Asien.
Ich habe keine Angst, in Österreich zu produzieren.
von Karl Haider
Wegen der teuren Energie geht das Gespenst der De-Industrialisierung um. Sind Sie auch so pessimistisch?
Nein, ich bin nicht so pessimistisch. Mit Digitalisierung, Automatisierung und Innovationskraft ist in Europa viel zu schaffen. Damit können die Nachteile sicher ausgeglichen werden. Ich habe keine Angst, in Österreich zu produzieren. Wir sollten viel mehr Stolz sein, in Europa produzieren zu können. Es liegt ganz an uns.
Es herrscht Konjunkturflaute in der Industrie. Spüren Sie das bei den Aufträgen?
Unterschiedlich. Wie es ausschaut, wird es nicht ganz so düster wie Experten früher prognostiziert haben. Aufgrund der Energiekrise spürt die Rohstoff- und Minen-Industrie Rückenwind, das spüren wir bei den Förderbändern. Weniger gut läuft es in der Bauindustrie, da schlägt die flaue Konjunktur auf unsere Profile für Fenster und Fassaden durch.
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