Semperit-Chef: „Haben einfach zu viele Standorte“

Martin Füllenbach ist nach eigenen Worten "kein Typ für ein Start-up"
Vorstandsvorsitzender Martin Füllenbach verrät, wie er den Turnaround beim Gummikonzern schaffen will.

Martin Füllenbach (50) leitet seit 15 Monaten die Restrukturierung des angeschlagenen heimischen Kautschuk- und Gummikonzerns Semperit. Der ehemalige Offizier der deutschen Bundeswehr verrät im KURIER-Interview, wie er den Turnaround schaffen will.

KURIER: Sie wurden geholt, um Semperit wieder flott zu kriegen. Sehen Sie sich als Sanierer?

Martin Füllenbach: Nein. Ich komme aus einer ganz alten Soldatenfamilie mit einem bestimmten Wertesystem. Schon in meiner bisherigen Karriere habe ich mich daher immer für Industrieunternehmen mit langer Historie entschieden, egal ob Oerlikon, Voith oder Airbus. Ich bin kein Typ für ein Start-up. Ich will langfristig etwas bewirken. Das kann man nicht, wenn man als Sanierer nach zwei oder drei Jahren Restrukturierung wieder draußen ist. Das ist ein anderer Menschentyp als ich es bin.

Was lief bei Semperit zuletzt schief? Ist der Konzern zu schnell gewachsen?

Ich schaue lieber nach vorne, nicht nach hinten. In der Analyse könnte ich nicht sagen, dass Semperit zu schnell gewachsen wäre. Wir müssen uns aber mit einer zu großen Fertigungskomplexität auseinandersetzen.

Zu sehr Bauchladen?

Das ist ein Begriff aus dem Portfolio – wir haben nicht zu viele Produkte, sondern einfach zu viele Standorte.

Die Restrukturierung läuft bis 2020. Was sind die nächsten Schritte?

Wir arbeiten an vielen Baustellen, bei vier verschiedenen Segmenten ist das ein komplexes Programm. Wir haben es auf mehr als 600 Initiativen runtergebrochen. Da geht es etwa um die Frage, wie wir weniger Ausschuss in der Fertigung produzieren oder die Maschinen mehr Output liefern. Wir schauen uns die Preis-Mengen-Steuerung an und die Effizienz im Overhead. Wo es nicht so richtig läuft, werden wir nachschärfen...

Semperit-Chef: „Haben einfach zu viele Standorte“

CEO Füllenbach mit Gummiring für Seilbahnen

Alle Ihre 15 Fabriken stehen auf dem Prüfstand, einige Schließungen sind bereits erfolgt. Sind weitere geplant?

Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Wir setzen sozusagen Kernbohrungen an und da bohren wir immer tiefer. Dadurch wird auch das Messergebnis immer präziser.

Wie sicher ist der Hauptstandort Wimpassing (NÖ)?

Das ist das Herz und die Seele von Semperit, da kommen wir her, da sind wir zu Hause. Es gibt überhaupt keine Veranlassung, über eine Auflassung des Standortes nachzudenken. Aber auch hier müssen wir uns mit Effizienzprogrammen in der Fertigung beschäftigten, das ist Teil der normalen Managementaufgabe.

Größte Problemsparte ist Sempermed (Untersuchungshandschuhe) mit dem Werk in Malaysia. Wie geht es hier weiter?

Wir gehören zu den zehn größten Anbietern der Welt, unser Werk in Malaysia ist als Hauptproduktionsstandort für Untersuchungshandschuhe absolut gesetzt. Wir beschäftigen dort 2800 hochmotivierte Mitarbeiter. Aber wir müssen die Hausaufgaben machen und restrukturieren. Da klemm ich mich persönlich dahinter.

Sie haben ein Fördergurt-Werk in China geschlossen. Lohnt sich China nicht mehr?

Wir haben noch einen Produktionsstandort für Semperform und Semperflex in Schanghai. Kostenmäßig ist da kein großer Unterschied mehr zu diversen Regionen in Zentral- und Osteuropa. Heute würde ich vorsichtig sein mit Investitionen in China. Wir haben da noch den Vorteil, dass der Personalkostenanteil gering ist.

Semperit-Chef: „Haben einfach zu viele Standorte“

Mit dem Semperit-Logo im Vordergrund

Wie wird Semperit 2020 aussehen? Werden alle vier Segmente bestehen bleiben?

Die Frage steht jetzt nicht an. Wir sind mitten in der Restrukturierung und arbeiten daran, Semperit ertragsstärker zu machen. Nach Abschluss des Prozesses wollen wir eine EBITDA-Marge von zehn Prozent erzielen. Damit einher gehen immer wieder auch Standortveränderungen oder -schließungen.

Wurde in der Vergangenheit zu wenig in die Modernisierung der Fabriken investiert?

Wir haben hier hohen Investitionsbedarf. Es gab daher Phasen, wo die Firma unterinvestiert war. Auch bei der Digitalisierung stehen wir noch ganz am Anfang, da ist noch viel zu tun. Ein Gummi hat an sich eher wenig Intelligenz, aber auch hier müssen wir ran.

Gibt es Veränderungen in der regionalen Ausrichtung, etwa wieder mehr Fokus auf Europa?

Im Gegenteil, wir sind zu stark in Europa unterwegs gewesen und haben die Welt zu schlecht beleuchtet. Unser Anteil in Asien oder Afrika ist marginal. Nach der Restrukturierung sehe ich die Chance, mit einem Nischenprodukt neue Geschäfte zu erschließen. Das ist quasi meine Kerndisziplin. Aber momentan haben wir andere Pflichten. Zuerst die Pflicht, dann die Kür...

Das heißt, es wird auch neue Produkte von Semperit geben?

Klar, ich will hier ja auch gestalten.

Stört es Sie eigentlich, dass viele Semperit noch immer mit Reifen in Verbindung bringen?

Überhaupt nicht, im Gegenteil. Der Name ist eben der Name. Und ob Semperit jetzt für Reifen oder Medizinhandschuhe steht, ist nachrangig, die Marke zählt. Wir haben kürzlich sogar auf Instagram aufgerufen, uns Bilder früherer Semperit-Produkte für Postings zu senden. Da kommen sogar alte Luftmatratzen und natürlich die Reifen. Das gefällt mir, weil es die Markenbindung unserer Mitarbeiter unterstreicht. Ein 195-jähriges Unternehmen hat eine Seele. Wir versuchen, der Marke neue Konturen zu verleihen.

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Semperit-Gruppe
Der  Kautschuk- und Gummikonzern produziert an 15 Standorten weltweit v.a. Untersuchungs- und Operationshandschuhe, Hydraulik- und Industrieschläuche, Fördergurte, Rolltreppen-Handläufe, Bauprofile und Seilbahnringe. Die Historie reicht bis 1824 zurück, 1985 wurde die Reifenproduktion an Continental verkauft. Semperit beschäftigt 6900 Mitarbeiter, davon rund 900 in Österreich.  Im ersten Halbjahr 2018 fuhr Semperit einen Verlust von 67 Millionen Euro ein.

Martin Füllenbach
Der 50-jährige Deutsche löste im Juni 2017 Thomas Fahnemann an der Spitze ab. Zuvor war der ehemalige Offizier der Bundeswehr CEO der Oerlikon Leybold Vakuum. Frühere Stationen waren Voith Antriebstechnik und Airbus.

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