Immer mehr Menschen können sich das Leben nicht mehr leisten

Immer mehr Menschen können sich das Leben nicht mehr leisten
Die Schuldnerberatungen haben alle Hände voll zu tun, viele Arbeitslose in der Armutsfalle.

Die Armutsgefährdung vieler Österreicher ist gestiegen. 2021 erhielten 53.000 Menschen Unterstützung von einer der zehn staatlich anerkannten Schuldenberatungen in Österreich. 7.200 Privatkonkurse wurden eröffnet, 68 Prozent davon von einer Schuldenberatung begleitet. Durch die Corona-Pandemie sind die Privatkonkurse in den letzten beiden Jahren stark zurückgegangen: In beiden Jahren gab es rund 1.300 weniger Eröffnungen als im Zehnjahresschnitt.

"Von den Teuerungsmaßnahmen sind Menschen mit sehr geringem Einkommen noch viel stärker betroffen, weil sie einen viel höheren Prozentanteil für lebensnotwendige Dinge aufbringen müssen“, sagt Schuldnerberater Clemens Mitterlehner zum KURIER. „Die Mindestpension und das Existenzminimum für eine alleinstehende Person liegt derzeit bei 1.030 Euro. Bei sieben Prozent Teuerung werden 70 Euro weggeknabbert. Wenn man 500, 600 Euro für eine kleine Mietwohnung zahlen muss, dann wird völlig klar, das kann sich nicht ausgehen.“

Haben die Menschen auch noch Schulden, können sie diese oft nicht einmal mehr in einem Privatkonkurs regeln. „Voraussetzung für einen Privatkonkurs ist, dass man keine neuen Schulden macht, und dass man die Ausgaben des täglichen Lebens bezahlt – ohne Rückstände“, sagt Mitterlehner. Das gelingt vielen Menschen nicht. Geschätzte 300.000 Personen gelten  als überschuldet. Etwa 53.000 Personen nutzen jährlich Schuldnerberatungen, um ihr Leben finanziell wieder in den Griff zu bekommen. 37 Prozent der Betroffenen sind arbeitslos und haben im Schnitt 57.500 Euro Schulden.

Die Pandemie hat auch die Schuldnerberater ausgebremst, weil persönliche Gespräche während der Lockdowns nicht durchgeführt werden konnten. „Viele Schuldner haben auch Covid-Maßnahmen wie Kreditstundungen in Anspruch genommen. Das war  nur eine Problemverschiebung“, sagt Mitterlehner. „Wir hatten in den Pandemiejahren  je 2.000 Konkurse weniger als zuvor und glauben, dass diese Konkurse mit einem Nachholeffekt stattfinden werden.“

Zahlungsprobleme verschleppt

Eine gute Nachricht ist das nicht. Zahlungsprobleme wurden in der Pandemie nicht behoben, sondern verschleppt. Zuletzt haben sich die Privatkonkurs-Zahlen wieder nach oben bewegt", heißt es in einer Aussendung der Schuldnerberatung. Die vom Sozialministerium geförderte Informationsoffensive „Gemeinsam gegen Überschuldung“ soll helfen, heißt es weiter, die Möglichkeiten einer Schuldenregulierung weiter bekannt zu machen.

„Mir ist es ein großes Anliegen, entsprechende Unterstützungsleistungen anzubieten, sodass Zahlungsschwierigkeiten nicht in eine dauerhafte Überschuldung ausarten. Mit den Gesetzesnovellen zur Insolvenzordnung und Exekutionsordnung sind im Sommer 2021 schuldnerinnenfreundliche Regelungen in Kraft getreten, von denen ich hoffe, dass Betroffene sie auch in Anspruch nehmen“, sagt Sozial- und Konsumentenschutzminister Johannes Rauch. Demnach sei eine Entschuldung in bestimmten Fällen bereits nach drei Jahren und somit in überschaubarer Zeit möglich.

Des Weiteren kommt es durch die Gesamtvollstreckung zu einem Exekutions- und Zinsenstopp für betroffene Personen, sodass die Schulden nicht mehr weiterwachsen können. Da die Gesamtvollstreckung nicht zur Restschuldbefreiung führt, ist die Kontaktaufnahme zu den staatlich anerkannten Schuldenberatungen dringend anzuraten, damit diesen Neuregelungen in der Praxis zum Durchbruch verholfen werden kann. Rauch: „Mir ist diese Informationsoffensive wichtig, weil wir damit jene Menschen erreichen, die tief in der Schuldenfalle stecken.“

Existenzminimum anheben

Im Schuldenreport 2022 werden die Zahlen aus den Schuldenberatungen im Jahr 2021 aufbereitet. Deutlich sichtbar wird, dass sich Lebenssituationen zunehmend verschärfen. Fast 30 Prozent der Klientinnen der Schuldenberatungen haben ein Einkommen unter dem Existenzminimum (2021 lag es bei 1.000 Euro). Bei den jungen Klientinnen unter 30 Jahren sind es sogar mehr als 35 Prozent. Zum Vergleich: Die Armutsgefährdungsschwelle liegt derzeit bei 1.371 Euro.

"Das Existenzminimum, also jener Betrag, der bei Schuldnerinnen nicht gepfändet werden darf, muss dringend zumindest an die Armutsgefährdungsschwelle angehoben werden. Diese jahrelange Forderung der Schuldenberatungen wird bei den steigenden Lebenskosten immer brisanter. Es braucht schnelle und wirksame Maßnahmen, um Menschen im unteren Einkommenssegment zu helfen“, sagt Clemens Mitterlehner, Geschäftsführer der ASB Schuldnerberatungen GmbH, Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen in Österreich. „Auch einen Privatkonkurs muss man sich erst einmal leisten können. Dafür ist es nötig, die Lebenskosten bestreiten und zusätzliche Zahlungen für die Schuldenregelung tätigen zu können.“ 
 

Der seit Jahren mit Abstand häufigste Überschuldungsgrund ist Arbeitslosigkeit. Fast 37 Prozent der Klienten und Klientinnen gaben bei der Erstberatung an, arbeitslos zu sein, das sind 4,5 Mal so viele wie in der Gesamtbevölkerung. Bei den jungen Klient*innen bis 30 Jahren waren es 43 Prozent. Klient*innen der Schuldenberatungen haben häufig eine unzureichende Ausbildung: Fast 45 Prozent der Klient*innen haben als höchste abgeschlossene Schulbildung die Pflichtschule abgeschlossen, bei der Klientel unter 30 sind es 51 Prozent. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung sind es 25 Prozent, deren höchste abgeschlossene Schulbildung die Pflichtschule ist.

Seit den frühen 1990er Jahren sind Schuldenberatungen auch in der Finanzbildung tätig. 16.300 großteils junge Menschen wurden 2021 damit erreicht, mehr als 5.300 Finanzführerscheine vergeben. Finanzbildung und Informationen sind wesentliche Bausteine, um spätere Überschuldung zu vermeiden oder aus der Überschuldung herauszukommen.

Neu ist: Die Schuldnerberatungen schulen künftig AMS-Mitarbeiter, damit sie Arbeitslosen-Geldbezieher, die mit Lohnpfändungen kämpfen, zum Gang zur Schuldnerberatung  animieren. 

Kommentare