Schiedsgerichte: Warum die USA niemals verlieren

Kanada und Mexiko haben oft verloren, die USA nie
TTIP, CETA & Co: Die "unpolitischen" Schiedsgerichte haben eine Schlagseite, zeigt ein bizarrer Fall.

"Und am Ende gewinnen immer die Deutschen": Der britische Stürmerstar Gary Lineker hatte dabei Fußball im Sinn. Auf die strittigen Investor-Staats-Klagen gemünzt müsste es heißen: Am Ende gewinnen immer die USA.

Unglaublich, aber wahr: Obwohl die Vereinigten Staaten weltweit 50 Investitionsabkommen abgeschlossen haben und dutzendfach geklagt wurden, hatte noch kein einziger ausländischer Investor damit Erfolg. Wie ist das möglich, dass die USA als Staat nie vor einem Schiedsgericht verloren haben?

"Das ist eine sehr berechtigte Frage", sagt Professor Christoph Schreuer (zeiler.partners Rechtsanwälte) zum KURIER: "Amerikanische Leute in dem Metier sagen: Wir sind so gut, darum gewinnen wir alles." Allerdings fügt Österreichs wohl erfahrenster Schiedsrichter hinzu: "Jeder weiß‚ dass ein verlorener Fall für die USA eine sehr heftige Reaktion im Kongress auslösen würde. Davor fürchten sich alle ein bisserl." Sind die unabhängigen Schiedsgerichte, die internationale Klagen entpolitisieren sollen, womöglich selbst ein Politikum?

Eindeutige Schieflage

Es lohnt sich ein Blick auf NAFTA: Der Vertrag, den die USA, Kanada und Mexiko 1994 abgeschlossen haben, enthält Investorenschutz in klassischer Form. Bis Ende des Vorjahres wurden 77 Investorenklagen eingebracht – 35 gegen Kanada, 22 gegen Mexiko und 20 gegen die USA, etwa die Hälfte der Verfahren läuft noch. Die abgeschlossenen zeigen indes eine erstaunliche Schieflage.

"Ich will keine Konspirationstheorien aufstellen", sagt auch Jan Kleinheisterkamp, Rechtsexperte der London School of Economics: "Aber es ist frappierend, dass Kanada viele Male verloren hat, Mexiko regelmäßig, die USA hingegen nie." Die US-Behörden betonen das sogar stolz: Das liege am "hochstehenden US-Rechtssystem".

Zu Tode prozessiert

Gleich die allererste NAFTA-Klage gegen die USA (ICSID ARB(AF)/98/3) lässt freilich anderes vermuten. Der Fall liest sich wie ein Drehbuch für die TV-Serie "Six Feet Under".

Anfang der 1990er expandiert der kanadische Bestatter Loewen Group in den USA rasant. Im Süden kommt man dabei dem lokalen US-Rivalen Jeremy O’Keefe in die Quere. Nach heftigem Streit schließt man einen Vertrag, bei dem Begräbnishäuser und Versicherungsfirmen abgetauscht werden. Gesamtwert des Deals: 5,98 Millionen Dollar. O’Keefe wirft den Kanadiern bald vor, Abmachungen gebrochen zu haben. Das Ganze landet vor dem Mississippi State Court.

Ab da wird es bizarr. Gutachter sprechen später von der "Travestie eines Gerichtsprozesses". Der Anwalt der Kläger macht von Beginn an deutlich, wo die Sympathien zu liegen haben – bei der lokalen Familienfirma des US-Kriegsveteranen O’Keefe statt bei "Kanadiern". Im Prozess werde die "Rassen-Karte" gespielt, stellt der Richter fest, greift aber nicht ein. Die Jury dürfe bei der Schadensbemessung keine Scheu vor hohen Summen haben, insistiert der Kläger und stellt hohe Milliardenbeträge in den Raum. Am Ende entscheiden die Geschworenen, dass die Kanadier ihrem US-Rivalen 500 Millionen Dollar zahlen müssen – fast das Hundertfache des Streitwertes. Allein 75 Millionen sind Schmerzensgeld, 400 Millionen als Pönale gedacht.

Loewen will berufen, hat aber ein Problem: Dafür müssen in Mississippi damals noch 125 Prozent als Pfand hinterlegt werden, also unerschwingliche 625 Millionen Dollar. Ein Antrag auf Herabsetzung wird abgebügelt. Am Ende stimmt Loewen überstürzt einem Vergleich zu, wonach 175 Millionen Dollar an O’Keefe fällig sind.

Durch NAFTA gibt es für kanadische Investoren, denen in den USA Unrecht geschieht, aber ein neues Forum. Loewen verlangt vor einem unabhängigen Schiedsgericht 725 Millionen Dollar Schadenersatz vom US-Staat. Tatsächlich geißeln die drei Schiedsrichter im Juni 2003 aufs Schärfste, wie der Mississippi-Prozesse abgelaufen ist. Ja, Loewen sei Unrecht widerfahren. Abgewiesen wird die Klage trotzdem. Der Grund: Die Kanadier hätten nicht den ganzen Instanzenzug in den USA durchlaufen (wie auch?). Und weil die Kanadier inzwischen tatsächlich pleite sind, sei das Schiedsgericht gar nicht mehr zuständig.

Druck auf den Richter

Ende 2004 erzählte Abner Mikva, der von den USA in diesem Fall bestellte Schiedsrichter, offenherzig, was ihm vor dem Verfahren ein Vertreter aus dem US-Justizministerium erklärt habe: "Sie wissen schon, Richter – geht dieser Fall verloren, könnten wir auch NAFTA verlieren."

Seine Antwort habe gelautet: "Wenn Sie mich unter Druck setzen wollten, dann ist Ihnen das gelungen." Damals sei in der US-Öffentlichkeit kaum jemandem bewusst gewesen, dass solche Klagen unter NAFTA überhaupt möglich sind, so Mikva.

Rechtsprofessor David Schneiderman von der Universität Toronto vermutet somit strategisches Kalkül: Ein Urteil gegen die USA hätte die Schiedsgerichtsbarkeit unter NAFTA insgesamt gefährdet.

Das Tribunal habe bei Loewen "vermutlich falsch entschieden", sagt Schreuer. Der Fall zeige aber, dass "das Rechtssystem in den USA natürlich seine Defizite hat. Was in gleicher Weise für Europa gilt." Würden EU-Investoren unter TTIP ebenfalls immer den Kürzeren ziehen? "Das kann im Verhältnis zu Europa ganz anders aussehen als unter NAFTA", sagt Schreuer. Er glaubt aber, dass TTIP ohnehin "längst tot" sei. Es diene den Politikern nur noch dazu, darauf einzudreschen.

Es hat seinen Grund, dass Schiedsrichter nie die Spiele ihrer heimischen Nationalmannschaft leiten dürfen. Offenkundig traut die FIFA nicht einmal ihren allerbesten Referees zu, völlig unparteiisch zu pfeifen.

Ähnlich ist es vor Gericht: Leider dürfen sich Unternehmen keineswegs immer faire Prozesse erwarten, wenn sie im Ausland gegen ungerechte Behandlung vorgehen – nicht einmal in fortschrittlichen Rechtssystemen wie den USA (oder der EU). Bizarre Rechtsfälle widerlegen das Argument der CETA- und TTIP-Kritiker, dass es unter Industriestaaten keine Sonderklagsrechte für Investoren braucht.

Allerdings liegen die CETA- und TTIP-Befürworter auch falsch, wenn sie die bestehenden Schiedsgerichte als Lösung verkaufen. Diese sind keineswegs unpolitisch; schon gar nicht, wenn die USA auf der Anklagebank sitzen. Abhilfe würde nur ein unabhängiger, supranationaler Gerichtshof bieten, idealerweise vor der Welthandelsorganisation WTO. Dem würden die USA freilich nie zustimmen.

CETA-Kritiker warnen, die im Abkommen eingeräumten Investorenrechte könnten eine Klagsflut gegen EU-Staaten auslösen. So hätten Kanadas Steuerzahler laut einer aktuellen Studie bereits 153 Millionen Euro an ausländische Investoren gezahlt – besonders viele Klagen kamen von US-Firmen unter dem nordamerikanischen Handelsabkommen NAFTA.

„Wir sollten von diesen Erfahrungen Kanadas lernen“, fordert CETA-Expertin Elisabeth Beer von der Arbeiterkammer Wien. Die von der EU im Kanada-Pakt durchgesetzte Reform, die ein dauerhaftes Schiedsgerichtssystem (ICS) vorsieht, bringe zwar punktuell Vorteile. So müssen die Verfahren transparent ablaufen; die Richter werden aus einem Pool erfahrener Experten bestimmt; und wer verliert, muss die Kosten tragen. Zudem gibt es ein Berufungsgericht.

Finanzsektor inklusive

Das ändere aber nichts am Grundprinzip, das den multinationalen Konzernen Sonderklagerechte einräumt, kritisiert Beer. Diese Rechte gingen in CETA sogar noch weiter als bei NAFTA, weil dort der große Bereich der Finanzdienstleistungen ausgeklammert sei.

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