Quantenphysiker Rupert Ursin: "Es gibt keine Industriestrategie"

Am Rand von Wien, am Wienerberg im zehnten Wiener Gemeindebezirk, arbeiten die Firmen Quantum Technology Laboratories und Zerothird an den Kommunikationslösungen der Zukunft. Im sechsten Stock eines Bürogebäudes werden Quantensender- und -empfänger zusammengeschraubt. Zwei davon warten gerade auf die Auslieferung, wie Firmengründer Rupert Ursin dem KURIER erzählt.
Der Quantenphysiker, der u. a. mit dem Physik-Nobelpreisträger Anton Zeilinger Experimente zur Teleportation durchführte, wechselte vor einigen Jahren ins Unternehmertum.
KURIER: Sie waren Forscher an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Jetzt betreiben Sie zwei Firmen im Bereich der Quantentechnologie. Was machen Sie genau?
Rupert Ursin: Wir beschäftigen uns mit der Quantenkryptografie. Das ist die Kunst einen Schlüssel so zur Verfügung zu stellen, dass man eine Nachricht verschlüsseln kann, die unabhörbar ist. Also auch von einem Quantencomputer nicht dechiffrierbar ist. Das kann über Satelliten passieren oder über Glasfaser.
Wer sind Ihre Kunden?
Im Satellitenbereich sind es die großen Hersteller, denen wir Komponenten zuliefern. Bei der Kommunikation über Glasfaser sind es Betreiber kritischer Infrastruktur. Telekommunikationsunternehmen, Kraftwerke, Banken, Verkehrsbetriebe, der Gesundheitsbereich, das sind potenzielle Kunden. Viele setzen die Technologie bereits ein oder testen sie.
Wie viel kosten solche Geräte?
So viel wie ein Einfamilienhaus.
Wie groß ist der Markt bereits?
Der Weltmarkt ohne China ist vier Milliarden Euro schwer, also Tausende Geräte. In Europa ist der Markt schon viele Hundert Geräte im Jahr groß.
Zuletzt haben sich Negativmeldungen gemehrt. Aber wie steht das Land als Wirtschaftsstandort wirklich da? Mit welchen Herausforderungen haben Firmen zu kämpfen und welche Lösungsvorschläge haben sie? In Interviews mit heimischen Unternehmerinnen und Unternehmern beleuchtet der KURIER die Lage. Am Sonntag stand Post-Chef Walter Oblin und Remus-Chef Stephan Zöchling Rede und Antwort, am Mittwoch folgt Schlumberger-Chef Florian Czink.
KURIER-Leser sind gefragt!
Haben Sie Vorschläge, wie der Wirtschaftsstandort Österreich wieder zu alter Stärke zurückfinden kann? Dann mailen Sie an
standortoesterreich@kurier.at . Wir sammeln die besten Ideen und werden sie mit den Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft erörtern.

Als kleine Firma können Sie mitspielen?
Ja, das können wir. Cisco kann das noch nicht.
Warum nicht?
Nicht weil sie es technisch nicht können. Da arbeiten gute Leute. Aber eine so große Firma geht dieses massive Risiko nicht ein. Wir sind in einer Situation, in der alle noch mit der Kutsche fahren, wir aber ein Auto entwickeln. Es gibt aber auch noch keine Straßenverkehrsordnung. Für große Firmen ist das zu viel Risiko. Deswegen lässt man das den Risikokapitalmarkt, Entrepreneuren und junge Firmen machen.
Wie wichtig ist es, dass die Produktion in Europa stattfindet?
Noch muss man dort produzieren, wo die guten Leute zu finden sind. Das österreichische Ökosystem ist ausgezeichnet. Allein in Wien gibt es fast so viele Quantenphysiker wie am gesamten nordamerikanischen Kontinent. Wir sind in Österreich in einer außergewöhnlichen Situation.
An Abwanderung haben Sie auch deshalb nicht gedacht?
Mein Steuerberater sagt, wir sollen unbedingt gehen. Österreich ist tatsächlich nicht der ideale Ort für die Produktion. Wir sind zum Beispiel nicht in der NATO. Wenn man an Cybersicherheitseinrichtungen verkauft, kann das ein Problem sein. Aber wir sind technologisch vorne. Die Wirtschaftskrise führt auch dazu, dass hoch qualifizierte Arbeitskräfte verfügbar sind.

Sie haben zuletzt zehn Millionen Dollar an Investitionen bekommen. Wie schwierig ist es, in Europa an Risikokapital zu kommen?
Es ist ein unglaublicher Knochenjob. Sie müssen sich vorstellen, dass Ihnen jeden Tag Leute sagen, wie schlecht es ist, was Sie machen und das es niemals funktionieren wird. Das muss man einmal ein Jahr lang psychisch aushalten. Also wenn mir irgendwer erzählt, er hätte harte Zeiten im Leben, dann soll er mal Risikokapital einsammeln gehen. Der Kapitalmarkt in Europa ist quasi nicht existent.
Wenn Unternehmen richtig groß werden wollen, braucht es weit höhere Summen. Werden Sie das Geld auch noch von europäischen Investoren bekommen?
Das ist das, was wir uns wünschen. Ja, es wird wohl auch ausländisches, amerikanisches Geld dabei sein. Unser Kapitalmarkt gibt es nicht her, dass wir die Technologie selbst haben können. Dem müssen wir ins Auge sehen. Willkommen in der Realität.
Was braucht es, um die Situation zu verbessern?
Ich würde fast sagen, es ist hoffnungslos.
Es gibt viele Vorschläge. Staatliche Fonds, Co-Investitionsprogramme, Garantien. Das bringt nichts?
Ich könnte auch sofort 50 Sachen sagen, die jeder weiß, aber die niemand macht. Das ist komplett irrelevant.
Vom Staat kommt zu wenig Unterstützung?
In jedem zivilisierten Land beschafft das Heimatland bei seiner eigenen Industrie. Die Deutschen, die Niederländer und die Franzosen kaufen bei ihren eigenen Start-ups ein. In Österreich passiert das nicht. Auch staatsnahe Betriebe tun das nicht. Sie kaufen Quantenkryptografie nicht einmal in der EU, weil sie woanders billiger ist. Unsere hohe Exportquote von 97 Prozent ist ein bisschen ein Skandal. In den USA wäre es undenkbar, dass das State Department in Spanien einkauft.
„Quantentechnologie besteht aus einem ganzen Blumenstrauß an Technologien“, sagt Rupert Ursin. Neben Quantencomputern und Quantensensoren gehört auch Quantenkryptografie dazu. Sie soll Kommunikation auch in Zukunft abhörsicher machen. Denn Künstliche Intelligenz (KI) und Quantenrechner setzen herkömmlicher Verschlüsselung zunehmend zu. Staaten und Unternehmen müssen sich dafür rüsten.
Ursins Firmen Quantum Technology Laboratories (qtlabs) und Zerothird (davor Quantum Industries) haben Lösungen zum Erstellen von Quantenschlüssel entwickelt und bauen auch die Hardware dafür: Bodenstationen und Ausrüstung für Satelliten sowie Geräte für die Quantum Key Distribution (QKD) über Glasfasernetze.
Zuletzt erhielt Zerothird ein zweistelliges Millioneninvestment, ausschließlich von europäischen Investoren.
Die Marktaussichten für den Bereich sind blendend. Die Berater von McKinsey gehen in einer aktuellen Studie davon aus, dass der gesamte Quantentechnologiemarkt in zehn Jahren bis zu 72 Mrd. Dollar schwer sein könnte. Bis zu 15 Mrd. Dollar davon könnten auf die Quantenkommunikation entfallen.

Die Quantentechnologie schreibt man sich gerne auf die Fahnen. Im Regierungsprogramm ist von einem Stärkefeld die Rede.
Ein Industrie muss man fördern, die wächst nicht von alleine. In Österreich gibt es aber keine Industriestrategie, die wirkliche Stärken fördert. Es sterben gerade Industrien, etwa die Zulieferer für Verbrennungsmotoren. Wir müssten jetzt eigentlich schauen, dass wir die Arbeitsplätze kompensieren. Es gibt nicht so viele Wachstumssektoren. Der Wintertourismus wird sich wahrscheinlich nicht mehr verdoppeln. Es gibt aber 20 Firmen oder mehr in Österreich, die wirklich eine Chance haben, sich in den nächsten zehn Jahren zu vervielfachen.
Was braucht es neben Aufträgen vom Staat noch?
Das Forschungsförderungssystem in Österreich ist mühsam, aber es funktioniert. Im Vergleich zum Ausland ist aber viel zu wenig Geld drinnen. Es wird nicht investiert. Auch die Inflation tut massiv weh. Ich kann nicht verstehen, warum man nichts unternimmt. Das kann dazu führen, dass die Produktion ins Ausland verlegt wird. Dann findet die Wertschöpfung auch dort statt.
Die geopolitischen Rahmenbedingungen haben sich geändert. Wie wirkt sich das auf Ihr Geschäft aus?
Vor zehn oder 15 Jahren haben wir in einer globalisierten Welt gelebt in der jeder seine Stärken ausspielen und die Produkte, die er gut und billig herstellen konnte, am globalen Markt angeboten hat. Das ist nicht mehr der Fall. Die Welt hat sich wieder auseinanderdividiert und dividiert sich weiter auseinander. Cybersicherheit ist in einem solchen Zusammenhang nicht unwichtig. Wir sind Profiteure der neuen Weltordnung.

Kommentare