Kritik am Standort Österreich: "Wir fahren mit 200 km/h an die Wand"

Stephan Zöchling geht mit dem Wirtschaftsstandort hart ins Gericht. Im Interview mit dem KURIER kritisiert er, Europa habe alles falsch gemacht, was man falsch machen könne.
KURIER: Die Regierungsklausur Anfang September sollte neuen Schwung bringen. Ist das gelungen?
Stephan Zöchling: Die Klausur wurde deswegen so eine Enttäuschung, weil diese Dreierkoalition wirklich gar nichts auf die Reihe gebracht hat. Es wäre Zeit, große Reformen anzugehen.
Was ist am wichtigsten?
Wir haben ein großes Problem mit den Frühpensionen. Die durchschnittlichen Beitragsjahre sind nicht 40 oder 45 Jahre, sondern 32,6. Die Diskussion über ein Antrittsalter von 65, 67 oder 70 Jahren ist vertrottelt. Wir müssen aufhören, Menschen in Frühpension zu schicken, die nach ihrem Studium mit 25 zu arbeiten begonnen haben und mit 58 Jahren aufhören. Darüber, dass Menschen mit 15 in das Berufsleben eingetreten sind und nach 40 Jahren das Recht haben, in Pension zu gehen, sollten wir nicht diskutieren. Genauso haben wir ein Problem mit Krankenständen und Strukturkosten.
Welche Strukturkosten?
Ein Aufnahmestopp für Bürojobs in den großen Verwaltungsbereichen wäre ein Gebot der Stunde im Zeitalter der Digitalisierung – mehr digital ist weniger analog. Mehr Personal bei Polizei, Justiz, Gesundheit und Pflege. Aber ich könnte beispielsweise dem ORF vorgeben, dass er nicht mehr neun Landesstudios haben darf, sondern nur noch drei, und dass er jedes Jahr seine Kostenstruktur um fünf Prozent reduzieren muss. Oder – die 67.000 Mitarbeiter der Stadt Wien fahren gratis mit den Öffis. Wenn die nur 200 Euro für die Jahreskarte bezahlen, sind das 13 Millionen Einnahmen.
Zuletzt haben sich Negativmeldungen gemehrt. Aber wie steht das Land als Wirtschaftsstandort wirklich da? Mit welchen Herausforderungen haben Firmen zu kämpfen und welche Lösungsvorschläge haben sie? In Interviews mit heimischen Unternehmerinnen und Unternehmern beleuchtet der KURIER die Lage. Am Sonntag stand Post-Chef Walter Oblin Rede und Antwort, am Dienstag folgt der Quantenphysiker und Firmengründer Rupert Ursin.
KURIER-Leser sind gefragt!
Haben Sie Vorschläge, wie der Wirtschaftsstandort Österreich wieder zu alter Stärke zurückfinden kann? Dann mailen Sie an
standortoesterreich@kurier.at . Wir sammeln die besten Ideen und werden sie mit den Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft erörtern.
Sie sind ein Vielarbeiter und haben sich Ihr Studium im Partyservice bei DO&CO und im Straßenbau verdient. Was sagen Sie dazu, dass immer mehr Menschen nur noch Teilzeit arbeiten wollen?
Wir sind eine liberale Gesellschaft, jeder arbeitet so viel er will, muss aber zur Kenntnis nehmen, dass ich nicht 50 Prozent einzahle und 100 Prozent Leistung aus dem Sozial- und Gesundheitssystem bekommen kann. Aber asozial ist, dass wir Menschen, die an Krebs erkranken und aus dem Arbeitsprozess fallen, nur noch 55 Prozent ihres Letztbezugs bezahlen. Zur Sorge um die Gesundheit kommt auch noch die Sorge um die finanzielle Stabilität für Miete, Leasing-Auto, Kinder im schulfähigen Alter, Medikamente etc. Und die anderen gehen ins Burnout und verlängern sich auf Kosten der Allgemeinheit den Sommerurlaub. Jeder mit Burnout sollte sofort Führerschein und Jagdschein abgeben.

Warum?
Wer psychisch krank ist, kann eigentlich nicht Auto fahren oder mit einer Waffe hantieren und jagen gehen. Ich hatte Mitarbeiter, die sind ins Burnout gegangen und waren die ganze Saison jagen. Wir haben Ärzte, die per Anruf Krankenstände verordnen. Wo ist da die Kontrolle durch die ÖGK? Wesentlich wäre auch die Abschaffung der Feiertage. Wir sind volkswirtschaftlich in Europa absolute Underperformer, aber wir sind richtig gut bei den Urlaubs- und Feiertagen.
Ist unser Sozialsystem ungerecht?
Ja, weil es jene, die es brauchen wie z.B. Alleinerziehende, Behinderte etc., nicht ausreichend schützt. Wir haben oft Anfragen für Gehbehelfe für behinderte Kinder, die schnell Tausende Euro kosten und nicht von der ÖGK bezahlt werden. Das übernehmen wir natürlich. Remus verteilt zu Schulbeginn Libro-Gutscheine um 60 Euro pro Kind unserer Mitarbeiter. Gutverdiener bekommen ebenso hohe Kinderbeihilfe wie Geringverdiener. Warum keine soziale Staffelung? Alleinerzieherinnen, die nicht wissen, wie sie den Schulausflug bezahlen sollen, bräuchten aber die doppelte Kinderbeihilfe. Wir haben die teuersten Schulsysteme und das ineffizienteste Gesundheitssystem.

Zöchling in seinem Headquarter am Wiener Ring beim KURIER-Interview mit Andrea Hodoschek.
Die Deckelung der Mieten?
Wenn Herr Babler in die freien Mieten eingreift, ist das intellektuell völlig falsch. Nicht die Mieten, sondern die Betriebskosten sind gestiegen. Und die ÖVP fällt um. Mit Stocker und Babler haben wir ein Politpersonal, das den intellektuellen Tiefpunkt erreicht hat und noch nie für eine Bilanz oder das Verdienen und Bezahlen von Löhnen verantwortlich war. Herr Brunner, der unfähigste Finanzminister aller Zeiten, wird nach Brüssel befördert. Oder denken Sie an Vizekanzler Werner Kogler, der uns noch die Lohnerhöhung für die Beamten eingebrockt hat.
Sie fordern eine Null-Lohnrunde?
Absolut. Wir hatten in der Metallindustrie in den letzten vier Jahren über 28 Prozent Lohnerhöhungen. Dabei wurde nie berücksichtigt, dass die Republik großzügigst Boni an die Bevölkerung verteilt hat. Auf diesem Ohr ist der ÖGB natürlich taub. Die KV-Verhandlungen der letzten Jahre waren immer Erpressungen, entweder kommt man den ÖGB-Forderungen nach oder es wird gestreikt. ÖGB und AK sind die Totengräber dieses Standortes. Sie sind wie die Musikanten auf der Titanic, der ÖGB spielt munter weiter das Lied der Inflationsabgeltung. Das wird sich auf Dauer nicht ausgehen.
Wie schlecht geht es Österreichs Industrie?
Sehr, aber ich will gar nicht die österreichische Industrie so hervorheben, sondern es geht um Europa. Wir haben uns um eine völlig falsch verstandene Klimaschutzhysterie gekümmert, um Wokeness und um Orchideenthemen wie 72 Geschlechter, fahren aber gleichzeitig mit 200 km/h an die Wand.

Der 53-jährige studierte Betriebswirt und Historiker ist Miteigentümer und Chef des Auspuffherstellers Remus und der Vorarlberger Erne Group. Sein Partner ist der Bauindustrielle Hans Peter Haselsteiner. Remus macht an sechs Standorten mit 1.500 Mitarbeitern rund 210 Mio. Euro Umsatz. Der ehemalige Investmentbanker Zöchling war vorübergehend Aufsichtsratsvorsitzender der KTM-Mutter Pierer Mobility und brachte die Sanierung auf Schiene.
Er arbeitete mit dem Russland-Unternehmer Siegfried Wolf zusammen, unter dem er schon bei Magna jobbte, und dem Oligarchen Oleg Deripaska bei Bauprojekten für die Olympia-Stadt Sotschi. Zöchling kaufte das Restvermögen der Sberbank Europe mit Sitz in Wien. Der Versuch, die Anteile von Deripaska an der Strabag auf die RBI zu übertragen, scheiterte am politischen Widerstand.
In Diskussionssendungen wie „Wild umstritten“ teilt der Vater dreier Töchter als streitbarer Kapitalist hart aus. Als Unternehmer wird er von den Mitarbeitern trotz Auseinandersetzungen mit Betriebsräten und AK sehr geschätzt. Vor der letzten Nationalratswahl gründete er die überparteiliche Initiative von Unternehmern #Zusammenstärker, die sich gegen „politische Brandstifter“ wendet.
Investieren Sie noch in Österreich?
Nein, überall, nur hier nicht mehr. Nicht bei dieser Regierung. Mit einem Peter Hanke als Vizekanzler hätten wir eine positive Perspektive, Herr Babler hasst die Unternehmer und wir richten uns danach.
Bleibt Remus in Österreich?
Wir verlagern Schritt für Schritt weg aus Österreich. Die Automobilindustrie zahlt die österreichischen Stundensätze nicht. Ohne Zurückhaltung bei den Löhnen und eine Senkung der Energie- und der Lohnnebenkosten ist der Industrie- und Gewerbestandort Österreich nicht zu halten. Österreich und Europa sind zum Freiluftmuseum verkommen. Danke an die Grünen und die linkslinke Schickeria!
Stichwort Aus für Verbrenner-Motoren – hat Remus überhaupt noch eine Zukunft?
Wir sind grundsätzlich ein Metallverarbeiter. Wir produzieren Auspuffe, aber wir machen viele andere Komponenten für die Mobilitätsindustrie. Europa hat sich den energieeffizienten Verbrennungsmotor ausreden lassen, das war ein Fehler. Ein E-Auto ist ein völlig anderes Konzept, das ist ein fahrendes iPhone. Europas OEMs haben die Software nicht in den Griff bekommen, sind aus der Verbrenner-Technologie ausgestiegen und in der gleichen Zeit haben die Chinesen alle großen Motorenhersteller aufgekauft und sind weltweit der größte Anbieter von Verbrennungsmotoren geworden. Wir haben als Europa so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann, und das ist jetzt das Ergebnis. Und Frau Van der Leyen ist leider zu dumm, um das angerichtete Fiasko zu erkennen und zurückzutreten.
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