Vor fast vier Jahren wurden diese brisanten Musterverfahren vom Prozessfinanzierer AdvoFin gestartet. Jetzt ist es fix: Die Einhebung der Mehrwertsteuer (zehn Prozent) auf die ORF-Gebühren wird am 15. Februar 2023 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg verhandelt. Das Gericht wird in einem Vorabverfahren über die Kernfrage entscheiden, ob auf das sogenannte ORF-Programmentgelt Mehrwertsteuer eingehoben werden darf oder nicht. In weiterer Folge wird der österreichische Verwaltungsgerichtshof ein Urteil fällen.
Der Prozessfinanzierer führt für rund 34.000 Österreicher hundert Sammelklage-Musterverfahren zwecks Rückerstattung der Mehrwertsteuer, die auf die ORF-Gebühren eingehoben werden. Pro Kopf geht es um die Rückforderung von rund 100 Euro für die vergangenen fünf Jahre. Unterm Strich macht das bei 3,3 Millionen GIS-Gebührenzahlern maximal 330 Millionen Euro. Fakt ist auch: Jeder Gebührenzahler kann im Falle eines positiven Urteils die 100 Euro von der GIS zurückfordern.
Von der Gebührenbehörde Gebühren Info Service GmbH (GIS), eine ORF-Tochter, werden verschiedene Abgaben (Rundfunkgebühr, Landesabgaben, Kunstförderbeitrag) im Zusammenhang mit dem Besitz eines TV- oder Radiogerätes eingehoben. Nur das sogenannte ORF-Programmentgelt unterliegt der Mehrwertsteuer. Die MWSt fließt dem Staat zu. Die Höhe des Programmentgelts bestimmt der ORF-Stiftungsrat.
„Wenn ich ein TV-Gerät besitze und terrestrischen Empfang habe, bin ich verpflichtet, das Programmentgelt zu zahlen“, sagt AdvoFin-Chef Gerhard Wüest. Egal ob ORF-Programme konsumiert werden oder nicht. Das sei eine Zwangsgebühr.
Laut AdvoFin ist die Grundfrage, ob das Programmentgelt eine steuerbare Leistung ist oder nicht. Der Prozessfinanzierer ist der Ansicht, dass die Verpflichtung, das Programmentgelt zu zahlen, kein fairer Austausch von Leistung und Gegenleistung ist. Eine Leistung ist nur dann steuerbar, wenn sie freiwillig sei.
Indes kann sich AdvoFin-Anwältin Fiona List auf eine frühere EuGH-Entscheidung C-11/15, Cesky rozhlas in Sachen tschechischen Rundfunk stützen. So kam der EuGH bereits im Juni 2016 zum Schluss, „dass die Tätigkeit der tschechischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt durch eine gesetzlich vorgesehene obligatorische Gebühr finanziert wird. Sie stelle keine Dienstleistung gegen Entgelt dar und sei daher auch nicht als steuerbarer Umsatz zu qualifizieren“. Die Gebührenzahler bekamen also recht.
In der aktuellen Ladung für den 15. Februar 2023 hat der Europäische Gerichtshof festgehalten, worauf sich die mündlichen Ausführungen in der Verhandlung beziehen sollen. Nämlich auf zwei Punkte der EuGH-Entscheidung C-11/15 in Sachen tschechischen Rundfunk.
„Das ist auch deshalb äußerst positiv, weil wir in unserem Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 3. November 2022 explizit auf diese zwei Randnummern des Urteils aus der Rechtssache des tschechischen Rundfunks verwiesen haben“, sagt Anwältin Fiona List. „Die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie der EU muss erfüllt werden, damit ein steuerbarer Umsatz vorliegt. Wenn der nicht vorliegt, hilft auch eine Ausnahmebestimmung nichts. Der Anwendungsbereich der Richtlinie soll durch eine Ausnahmebestimmung nicht erweitert werden.“
In einem früheren Schriftsatz hält die Gebührenbehörde GIS fest, dass sie Anwendung des Unionsrechts richtig sei, es gebe keinen Raum für einen vernünftigen Zweifel. Die GIS beruft sich nämlich darauf, „dass sich Österreich im Zuge der EU-Beitrittsakte eine Ausnahmebestimmung für die Zulässigkeit der weiteren Besteuerung des lange vor dem EU-Beitritts eingeführten ORF-Programmentgelts gewähren ließ“. Diese Ausnahmeregelung sei dann in die neue Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie der EU übernommen worden, die im November 2006 beschlossen wurde.
Indes ist der ORF in einer früheren Stellungnahme gegenüber dem KURIER der Ansicht, dass die Einhebung der Umsatzsteuer auf das Programmentgelt den österreichischen Gesetzen entspricht.
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