Billig statt Bio: Teuerung verändert Konsumverhalten beim Fleisch
"Billig statt Bio – so verändert die Inflation unseren Fleischkonsum", titelte die deutsche Tageszeitung Die Welt Anfang Mai. Infolge der Teuerungswelle würden viele Deutsche beim Einkauf im Supermarkt und Diskonter auf Tierwohl-Programme pfeifen. Und lieber zu jenen Schnitzel-Packungen greifen, auf denen der kleinste Preis pickt.
Die Vermutung, dass die "Geiz ist geil"-Mentalität ein Revival feiert, liegt also nahe. Nicht nur bei den deutschen Nachbarn, wie eine aktuelle Umfrage der Agrarmarkt Austria (AMA) Marketing vermuten lässt. Demnach gaben 41,9 Prozent der Befragten an, dass sie derzeit bei Produkten des täglichen Bedarfs viel stärker auf den Preis und Aktionen achten (47,8 Prozent "etwas stärker", lediglich 10,3 Prozent geben sich von der Inflation unbeeindruckt).
Grillparty war gestern
Bis Ostern gehörte Fleisch, insbesondere Schweinefleisch, übrigens zu den Inflationsbremsern. Mit der Mai-Inflation wird sich das gravierend ändern, wissen die Experten. "Normales Fleisch ist im Supermarkt um durchschnittlich zwei Euro pro Kilo teurer geworden", weiß Johann Schlederer, Geschäftsführer der Österreichischen Schweinebörse. Anders formuliert: "Je nach Teilstück sind die Preise seit Ostern um 20 bis 40 Prozent gestiegen."
Eine Entwicklung, die im Konsumverhalten bereits Spuren hinterlassen hat. "Die Supermärkte melden bereits zehn bis 20 Prozent weniger Umsatz", erläutert Schlederer. Der übliche Nachfrageschub zum Start in die Grillsaison sei heuer ausgeblieben. Die Leute sparen. Schlederer: "Wenn die Inflation in Richtung zehn Prozent geht, kann das auch niemanden sonderlich verwundern."
Qualitätsstandards
Nicht nur der Konsum wird runtergefahren, auch die Ansprüche an die Qualitätsstandards. Und das ist aus Sicht der Branche eine mittlere Katastrophe. Das von der AMA angepeilte Ziel, bis 2030 eine Million Schweine zu vermarkten, die nicht auf Vollspaltenböden gehalten werden, rückt nun in weite Ferne. Schlicht, weil an der Ladentheke scheinbar kein Hahn mehr nach den Tierwohlstandards kräht. Was zählt, ist der Preis. Frei nach einem Sager der ehemaligen Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger: "Wir haben Griller um 800 Euro im Garten stehen und legen eine Bratwurst um 80 Cent drauf. Das ist pervers."
Die Ukraine warnt, dass die Zeit für den Getreide-Export knapp werde. Rund 22 Millionen Tonnen Getreide müssten vor Anfang der Erntezeit aus der Ukraine geschafft werden, sagt die Abgeordnete Jewhenija Krawtschuk beim Weltwirtschaftsforum in Davos (Schweiz). "Wir haben etwa anderthalb Monate Zeit". Ansonsten seien die Lagerkapazitäten ausgeschöpft. Durch die russische Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhafen, kann das Getreide nicht ins Ausland verschifft werden. Die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte die russische Blockade diese Woche als "beschämend" bezeichnet. Gleichzeitig wirft von der Leyen dem russischen Präsident Wladimir Putin vor, Lebensmittel als eine Waffe mit weltweiten Auswirkungen zu missbrauchen. Die Ukraine gilt als Kornkammer Europas. Vor dem Krieg war das Land auf dem besten Weg, der drittgrößte Exporteur von Weizen zu werden.
Toxische Mischung
Den Schweinebauern stinkt die Gemengelage am Markt längst. Zwar haben sie zuletzt mehr für ihre Schweine bekommen, aber die Kosten sind in noch größerem Ausmaß gestiegen. Sprich, unter dem Strich bleibt weniger Verdienst. "Dazu kommt die Begleitmusik aus Politik und Medien, die Schweinebauern dauernd ins Eck der Tierquäler stellen. Dieses Zusammenspiel wird zum stärksten Aderlass führen, den die Branche jemals gesehen hat", fürchtet Schlederer.
Jeder Dritte vor dem Aus
Er schätzt, dass jeder dritte Betrieb in Österreich binnen zwei Jahren zusperren wird. Grund dafür ist auch die aktuelle Konstellation am Futtermittelmarkt, die angesichts der ausbleibenden Lieferungen aus der Kornkammer Ukraine mindestens zwei Jahre angespannt bleiben wird. Schlederer: "Es ist lukrativer, das Getreide vom Feld weg zu verkaufen, als die Ernte an Schweine zu verfüttern und dann auch noch für die Mastbedingungen am Pranger zu stehen."
Heimische Produktion
94 Prozent der Schweine in Österreich werden auf Höfen in Oberösterreich, Niederösterreich und der Steiermark gehalten. Die Zahl der Betriebe ist seit dem Jahr 2010 von 30.800 auf 21.000 gesunken.
Weniger Schwein am Teller
Laut den Daten der Statistik Austria /Ama Marketing lag der Pro-Kopf-Verbrauch von Schweinefleisch 1995 bei rund 41 Kilo im Jahr und ist zuletzt auf 35 Kilo gesunken. 5 Millionen Schweine werden jährlich in Österreich geschlachtet. Zur Größenordnung: In Deutschland sind es 55 Millionen im Jahr
Aktuell gibt es noch bis zu 6.000 wirtschaftlich relevante Schweinehalter in Österreich, bald könnten es nur noch 4.000 sein. Damit würde die Selbstversorgung im Land sinken, die heute noch zu 100 Prozent besteht. "Dann kommt das Fleisch aus dem Ausland, wo die Haltungsbedingungen deutlich schlechter sind. Aber darüber denken jene, die Österreichs Bauern kritisieren, offenbar nicht nach. 90 Prozent jener, die jetzt gescheit daher reden, waren ohnehin noch nie in einem Schweinestall", wettert Schlederer.
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