Felbermayr über Rekordinflation: "Man fragt nicht, man konsumiert"
Der Wirtschaftsexperte meint, der Staat darf die KV-Verhandler beim Erhalt der Kaufkraft nicht alleine lassen.
KURIER: Die Rekordinflation gilt als größte Bedrohung für den Wohlstand, den Einzelnen trifft sie hart. Aber hat die Teuerung nicht auch ihre gute Seite für das Klima? Menschen sparen Strom, lassen öfter das Auto stehen ...
Gabriel Felbermayr: Kostenwahrheit wünschen sich Ökonomen schon seit Jahren, aber davon ist jetzt nicht die Rede. Wir haben ein deutlich überschießendes Preisniveau. Der "gute" Teil der Inflation ist also sehr klein. Außerdem wird uns die Teuerung ja auch aufgezwungen.
Die Regierung plant ein zusätzliches Anti-Teuerungspaket. Wissen Sie, was kommt?
Über Konkretes kann ich nichts sagen. Wir reden laufend mit der Regierung über die vielen Möglichkeiten, die es da gibt. Momentan liegen 125 Seiten an Vorschlägen auf dem Tisch der Inflationskommission.
Was wäre sinnvoll?
Die Treffsicherheit ist ganz entscheidend, wenn man sozialpolitisch Abhilfe schaffen will – also nicht die Gießkanne, sondern die spezielle Hilfe für die wirklich bedürftigen Haushalte. Die zweite Prämisse wäre nicht laufend neue Instrumente zu erfinden, sondern die bekannten wie den Teuerungsausgleich zu nutzen und eventuell aufzustocken. Und persönlich würde mir gefallen, wenn man die aktuelle Krise zum Anlass nimmt, steuerstrukturpolitisch etwas zu machen. Stichwort: Kalte Progression abschaffen oder zumindest eindämmen. Damit würde den Menschen mehr Netto vom Brutto bleiben und es würde nachhaltig zu einem gerechteren Steuersystem führen.
Bevorzugt das Aus der kalten Progression nicht die Besserverdiener, während die Inflation vor allem die Geringverdiener trifft?
Das eine ist die soziale Hilfe für jene, die wirklich in Nöte geraten. Da könnte man überlegen, ob nicht eine Anpassung der Sozialtransfers an die Lebenserhaltungskosten sinnvoll wäre. Bei der kalten Progression sollten wir zu einer Art Automatismus kommen wie in Deutschland, der Schweiz oder in Schweden, damit die Politik nicht immer nur vor Wahlen mit einer großen Steuerreform reagiert, die vor allem die eigene Klientel berücksichtigt. Das würde das System gerechter und transparenter machen. Außerdem wäre die relative Entlastungswirkung im mittleren Einkommensbereich am größten, und nicht wie vielfach behauptet bei den hohen Einkommen.
EZB-Chefin Lagarde will die Zinsen im Kampf gegen die Inflation erhöhen. Hilft das überhaupt bei einer über die hohen Energiepreise importierten Teuerung?
Zunächst sollten die Anleihenkäufe der EZB eingestellt werden und dann die Zinsschritte kommen. Es braucht also ein Paket an geldpolitischer Straffung. Das ändert den Öl- und Gaspreis zunächst einmal nicht, aber es könnte das Abrutschen des Euro gegenüber dem Dollar zumindest zum Stillstand bringen. Das würde die Importpreise zumindest stabilisieren. Billiger wird es nur mit einem stärkeren Euro, oder wenn weltweite Zinserhöhungen die Nachfrage so schwächen, dass Öl günstiger wird.
Wie gefährlich ist eigentlich die hausgemachte Inflation? Also Preissteigerungen im Windschatten der Inflationsdebatte, sei es beim Energieversorger oder bei der Hotelübernachtung ...
Man muss trennen zwischen den Margen, die ansteigen, und dem Kostendruck, der auch zunimmt. Wir haben etwa in der Gastronomie einen Kostendruck, weil man die Arbeitskräfte, die man über viele Jahre relativ günstig gekriegt hat, jetzt nicht mehr bekommt. Da muss jetzt teils deutlich über Kollektivvertrag bezahlt werden, der Wettbewerb zwischen Restaurants, zum Beispiel um Köche, ist stark gestiegen, was am Ende auch zu höheren Löhnen führen muss.
Und die Nachfrage ist teils enorm nach der Pandemie ...
Ja, die Österreicher haben in der Pandemie zwei Jahre lang gespart, da ist im Durchschnitt – nicht zwingend bei jedem Einzelnen – relativ viel Geld da und da fragt man nicht, ob die Melange vier oder fünf Euro kostet, man konsumiert einfach. Ähnlich wie beim Autofahren. Trotz der hohen Spritpreise steht man im Stau. In Deutschland hat man mehr Reaktion gesehen. Das hat sicherlich damit zu tun, dass es sich der Durchschnittsösterreicher eben leisten kann.
Werden die absehbar höheren Zinsen die schwächer werdende Konjunktur endgültig abwürgen?
Die Gefahr ist natürlich da, denn eine Zinserhöhung soll ja genau die Nachfrage und damit die Preisdynamik dämpfen. Wir haben in vielen Segmenten wie am Bau eine Konjunktur, die heiß läuft. Entscheidend ist, wie geschickt die EZB die Zinsschritte anlegt. Eine Notbremsung würde die Rezessionsgefahr deutlich erhöhen. Aktuell sind die Signale für die Eurozone eher verhalten optimistisch. Die Eurozone überrascht gerade positiv. Wenn nichts Schlimmes wie ein Gas-Lieferstopp passiert und die EZB die Zinsanhebung handwerklich gut macht, werden wir heuer ein recht auskömmliches Wachstum haben.
Als Wachstumshoffnung gilt der Tourismus. Aber woher kommt dieser Optimismus? Hotels gehen pleite, Investoren ziehen sich zurück, der Arbeits- und Fachkräftemangel ist eklatant. Verschläft die Branche den nötigen Strukturwandel?
Man muss sehen, aus welchem Tal der Tränen der Tourismus kommt. Trotz der aktuellen Buchungslage sind wir noch immer unter Vorkrisenniveau. Aber das reicht aus, um bei seinem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 7,6 Prozent dem Wachstum in Österreich einen ordentlichen Boost zu geben. Die Strukturbereinigung, die jetzt stattfindet, kann dem Tourismus in Summe durchaus guttun, denn sie erleichtert die Professionalisierung. Manche Orte haben tatsächlich Überkapazitäten und müssen sich an neue klimatische Bedingungen anpassen. Die Wintersaison wird kürzer und so weiter. Bei einer Neuausrichtung kann man möglicherweise mit weniger Betten mehr Umsatz erzielen. Zum Beispiel mit mehr Mountainbike, weniger Ski und das ganze im Hochpreissegment.
Angesichts der Rekordinflation: Wie scharf könnten die Lohnverhandlungen im Herbst ausgefochten werden? Erwarten Sie Streiks?
Nein, wir haben in Österreich sehr gut eingespielte, konsensorientierte Strukturen. Das ist anderswo nicht so, beispielsweise in Frankreich. Bei uns gibt es in der Gewerkschaft auch ein ausgeprägtes volkswirtschaftliches Verständnis und Verantwortungsbewusstsein. Wichtig wäre auch, dass der Staat seinen Beitrag leistet und den Erhalt der Kaufkraft nicht nur den beiden Tarifparteien überlässt. Etwa durch das besprochene Eindämmen der kalten Progression oder im Sozialbereich, wenn man die Notstandshilfe aus der Arbeitslosenversicherung herausnimmt und aus Steuermitteln bezahlt. Dann kann man die Beiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber halbieren und allen wäre geholfen.
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