Pharmig-Chef: "Impfen ist Bürgerpflicht"
Der Generalsekretär des Pharmaverbandes Pharmig will Impfunwillige lieber überzeugen als zwingen und verteidigt die Impfstoffpreise. Diese seien nichts im Vergleich zum Preis eines Lockdowns.
KURIER: Die Impfbereitschaft sinkt, was die Debatte um eine Impfpflicht anheizt. Vor einem Jahr waren Sie dagegen, hat sich daran was geändert?
Alexander Herzog: Nein. Druck erzeugt nur Gegendruck. Die Impfung ist der einzige Weg, der uns nachhaltig aus der Pandemie rausführt. Die Impfstoffe wirken gegen die bisher bekannten Mutationen sehr gut. Jetzt geht’s darum, die Bevölkerung rasch durchzuimpfen. Ich würde sagen, Impfen ist Bürgerpflicht.
Also doch eine Pflicht?
Ich empfinde es als eine persönliche Pflicht, die ich habe, um mich selbst zu schützen und meinen Teil dazu beizutragen, auch die Gesellschaft zu schützen.
Das sehen aber nicht alle so. Was tun mit den Impfunwilligen?
Wir als Pharmabranche stellen die Impfstoffe zur Verfügung. Es steht uns nicht zu, der Politik vorzuschreiben, was sie zu tun hat. Es gibt hier ohnehin Bestrebungen, etwa die Impfpflicht im Gesundheitswesen. Ich bin ein Verfechter der Aufklärung. Man muss mit Mythen aufräumen und die Menschen überzeugen.
Der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) vertritt 120 forschende und produzierende Pharmaunternehmen in Österreich mit rund 18.000 Mitarbeitern, darunter Branchenriesen wie Novartis, Pfizer, Sanofi oder Boehringer Ingelheim.
Alexander Herzog (57) ist seit 2018 Generalsekretär der Pharmig. Zuvor war er in der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft
Anders als etwa beim Zeckenimpfstoff halten sich die Hersteller mit Aufklärungskampagnen beim Covid-Impfstoff auffällig zurück. Warum?
Da muss ich widersprechen, die Hersteller klären natürlich auf. Der Informationsstand ist, glaub ich schon sehr hoch, da muss man als Hersteller nicht auch noch irgendwelche Plakate aufhängen.
Die Kosten für die Impfstoffe sind da im Vergleich zum volkswirtschaftlichen Nutzen vernachlässigbar.
Die Impfrate kann mit Anreizen erhöht werden. Haben Sie hier Vorschläge?
Wir wollen der Politik auch hier keine Vorschläge machen. Da geschieht von der Bratwurst bis zum Gutschein ohnehin einiges. Alle diese Anreize sind jedenfalls billiger als ein weiterer Lockdown mit allen dramatischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen. Auch die Kosten für die Impfstoffe sind da im Vergleich zum volkswirtschaftlichen Nutzen vernachlässigbar.
Apropos Preis: Pfizer und Moderna haben laut Medienberichten kürzlich die Impfstoff-Preise angehoben, was für Kritik sorgt. Warum wird Impfstoff mitten in der Pandemie teurer?
Das sind Gerüchte, die Hersteller haben noch nicht dazu Stellung genommen. Die EU-Kommission hat hier sicher sehr gut mit den Herstellern verhandelt und eine Balance zwischen Lieferfähigkeit und Preis gefunden. Klar ist: Es wird viel Geld in die Produktion, Distribution und Weiterentwicklung des Impfstoffes investiert. Noch einmal: Der Preis eines Impfstoffes ist nichts im Vergleich zum Preis eines Lockdowns.
Kritiker verweisen auf die hohen Gewinne, die die Pharmafirmen mit dem Covid-Impfstoff machen. Gerechtfertigt?
Jedes Unternehmen, das ein Produkt auf den Markt bringt, egal ob Würstelstand-Besitzer, IT-Unternehmen oder Baufirma, muss Gewinne machen, um zu überleben. Nur weil die Pharmaindustrie in der Vergangenheit Gewinne gemacht hat, konnte sie Geld in Forschung und Entwicklung investieren. Hätten wir alles zum Selbstkostenpreis abgegeben, würden uns jetzt die Mittel für die Covid-Forschung fehlen.
Die Covid-Impfstoff-Entwicklung wurde zum Teil mit Staatsgeld überhaupt erst ermöglicht. Wird da der Staat jetzt doppelt zur Kasse gebeten?
Das Argument höre ich immer wieder, aber es ist schlicht falsch. Die Grundlagenforschung auf Universitäten hat ja das Ziel, aus einer Idee einmal Produkt zu machen, das letztlich verkauft werden soll. Von 10.000 Ideen kommt vielleicht ein Produkt auf den Markt. Das gesamte Risikokapital von der Idee zur Marktreife, also etwa die vielen klinischen Studien, trägt das Pharmaunternehmen. Es gibt zig Beispiele von Entwicklungen, die niemals zu einem Produkt werden. Die Risiken bleiben beim Unternehmen.
Bald beginnen die Auffrischungsimpfungen. Wird es genug Impfstoff geben oder ist mit Engpässen wie im Frühjahr zu rechnen?
Wir erwarten aus jetziger Sicht keine Engpässe. Die Kapazitäten stehen. Die EU hat für die dritte Welle bei Biontech/Pfizer rechtzeitig bestellt, auch Österreich hat vorgesorgt. Die USA hat das noch nicht getan. Die Durchimpfungsrate wird ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein.
Während Europa schon auffrischt, beginnen große Teile der Welt erst jetzt mit den Erstimpfungen. Sind da Material-Knappheiten nicht vorprogrammiert?
Es gibt langfristige Verträge mit Rohstoff-, Nadel- oder Glasherstellern, aber es stimmt: Es muss nicht nur Europa, es muss die ganze Welt durchgeimpft werden, um die Pandemie erfolgreich zu bekämpfen. Da stehen wir vor enormen Herausforderungen.
Für die Pharmaindustrie ist das Virus jedenfalls ein nachhaltiges Geschäft ...
Aus jetziger Sicht wird uns das Thema noch einige Zeit lang begleiten, ja. Ob es dauerhaft wird, kann derzeit niemand sagen.
Warum lässt die Anti-Corona-Pille, also der Wirkstoff gegen das Virus, so lange auf sich warten?
Es wird viele Wirkstoffe geben, da werden wir sicher nächstes Jahr schon welche sehen. Aber es geht nicht so rasch wie bei den Impfstoffen. Diese sind unbedingt nötig, um die Ausdämmung der Pandemie in den Griff zu bekommen, daher gab es hier unglaubliche Anstrengungen und es floss sehr viel Geld in die Entwicklung.
Die vier bisher in der EU zugelassenen Vakzine von Astra Zeneca, Biontech/Pfizer, Johnson & Johnson sowie Moderna dürften schon bald Konkurrenz bekommen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO befinden sich derzeit 291 Impfstoffkandidaten in der Entwicklung. Davon werden bereits 107 in der klinischen Phase und damit unter Einbindung von Testpersonen erprobt, 184 befinden sich noch in der sogenannten präklinischen Testphase.
Impfspray
Drei Impfstoffkandidaten sollen mittels Impfspray verabreicht werden, was die Impfbereitschaft deutlich erhöhen könnte. Bei 15 Vakzinen ist eine Einmaldosis in Erprobung, bei 70 eine zweimalige und bei einem Impfstoffkandidaten eine dreimalige Dosis. Neben den bereits bekannten Vektor- und RNA-Technologie werden auch völlig neue erprobt, darunter Impfungen, die auf Protein Subunits oder auf DNA basieren.
Wegen der Corona-Impf- und Schutzmaßnahmen werden deutlich weniger Grippe- und Erkältungsmittel verkauft. Wie verändert sich der Medikamentenmarkt?
Fast kein Mensch kauft mehr Schnupfenspray. Der ganze Markt ist stark im Umbruch, die Prognostizier- und Planbarkeit für Hersteller und Sozialversicherung eine riesige Herausforderung.
Es gibt nach wie vor Lieferschwierigkeiten bei manchen Medikamenten. Angeblich weil die Logistik mit Corona-Themen überlastet ist. Stimmt das?
Nein, Engpässe lassen sich leider nie ganz verhindern, aber das hat nichts mit Covid zu tun. Das im Vorjahr eingeführte Export-Verbot hat gewirkt, die Engpass-Situation hat sich entspannt.
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