Personalnot in 66 Berufen: Mangelberufsliste wird immer länger
Malermeister Anton Karl würde gerne die Treppenhäuser für eine Hausverwaltung sanieren, muss den lukrativen Vertrag aber ablehnen. „Ich habe zum einen nicht die Kapazitäten und zum anderen keine geeigneten Mitarbeiter“, sagte er kürzlich zum KURIER. Schon jetzt könnten seine zehn Mitarbeiter Aufträge nur mithilfe von Wochenendarbeit und Überstunden erledigen.
Sätze wie diese sind inzwischen Alltag in Österreich. Der Fachkräftemangel spitzt sich zu und wirkt sich immer stärker aus (siehe Beispiele unten). Trotz der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit gibt es in vielen Berufen einfach zu wenige Bewerber. Tausende Stellen bleiben unbesetzt.
Fachkräftebedarf bei 220.000
Hochgerechnet auf ganz Österreich habe sich der Fachkräftebedarf von 177.000 im Vorjahr auf aktuell 221.000 erhöht, sagt Helmut Dornmayr vom Österreichischen Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) mit Blick auf den neuen Fachkräfteradar. Rund 70 Prozent der Firmen geben darin an, kein geeignetes Personal zu finden. Der öffentliche Dienst ist hier gar nicht miteingerechnet.
Mangelberufsliste
Allein beim AMS sind aktuell mehr als 100.000 offene Stellen ausgeschrieben. Kommen auf eine Stelle weniger als 1,5 Arbeitssuchende, so wird das vom AMS als „Mangelberuf“ definiert. Auf dieser Basis legt das Arbeitsministerium einmal im Jahr per Verordnung die so genannte Mangelberufsliste fest. In diesen Berufen können dann Arbeitskräfte aus Drittstaaten, die die Kriterien der Rot-Weiß-Rot-Karte wie abgeschlossene Berufsausbildung erfüllen, in Österreich beschäftigt werden. Im Vorjahr waren dies coronabedingt nur 800. Menschen aus EU-Staaten haben ohnehin freien Arbeitsmarktzugang.
Neue Mangelberufe
Für das Jahr 2022 wurden bundesweit 66 Berufe als Mangelberufe definiert, so viele wie überhaupt noch nie. Zum Vergleich: Vor einem Jahr waren es 45 Berufe, im Jahr 2016 gerade einmal acht. Seit Jahren unverändert befinden sich darauf diverse Metaller-Jobs sowie technische und handwerkliche Berufe wie Elektroinstallateur, Spengler oder Schlosser.
Heuer neu hinzugekommen sind unter anderen der Arzt-Beruf als Ganzes ohne Einschränkung auf bestimmte Bereiche, Pflegeassistent/innen, Gaststättenköche, Fleischer/innen, Augenoptiker/innen sowie Wirtschaftstreuhänder/innen. Erst kürzlich berichtete der KURIER über akute Personalengpässe bei Steuerberatungskanzleien, die ob der Abwicklung der vielen Covid-Wirtschaftshilfen unter Dauerstress stehen.
Zusätzlich zu den 66 bundesweiten Mangelberufen definierte das Ministerium 60 bundesländerspezifische. Die regionale Liste hat sich die Wirtschaftskammer gewünscht. WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf ist zufrieden. „Am Arbeitsmarkt lässt sich von Wien bis Vorarlberg nicht alles über einen Kamm scheren. Die regionale Differenzierung ist zu begrüßen.“
Kritik und Forderungen
Das sozialliberale Momentum-Institut kritisiert, dass unter den Mangelberufen besonders hohe Anteile von Leiharbeit und saisonalen Kündigungen seien. Das Anwerben ausländischer Arbeitskräfte würde die Arbeitsbedingungen und damit die Attraktivität der Berufe für junge Menschen nicht verbessern.
Das Institut empfiehlt, Berufe nur dann auf die Mangelberufsliste zu setzen, wenn es in den Vorjahren überdurchschnittliche Lohnsteigerungen gab. Voraussetzung vor einer Suche in Drittstaaten sollte sein, dass in der Branche auch Lehrlinge ausgebildet werden.
BEISPIEL 1: Das Handwerk und Gewerbe
„Die Auftragsbücher sind voll, auch deshalb, weil wir derzeit nicht ausreichend Fachkräfte haben, um alles abzuarbeiten, was möglich wäre. Wir müssen die Aufträge etwas hinauszögern“, sagt Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Sparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer. Sie selbst hat jahrelang einen Elektro-Installationsbetrieb in Pöchlarn geführt.
Untätig sei man aber nicht: „Wenn die Auftragslage stabil ist, investieren die Unternehmen auch in die Qualifizierung der Mitarbeiter. In meinem Betrieb könnten wir sofort einige neue Arbeitskräfte aufnehmen, wir suchen neue Fachkräfte, und sind dabei nicht alleine.“
Öko-Energie
Elektrounternehmen sind alleine deshalb gefragt, weil sie etwa Fotovoltaik-Module installieren können. En Markt mit viel Potenzial, etwa wegen des 1-Million-Dächerprogramm der Regierung. Rund ein Viertel der Kosten für PV wird gefördert. „Es muss sich halt rechnen, vor allem im Privatbereich.“ Die aktuell hohen Energiepreise helfen, weil sich die Vorhaben schneller amortisieren. „Und mit den Förderungen wird das eine Win-win-Situation für alle, für den Betrieb und für den Auftraggeber, der sich Geld einspart.“
Was der Unternehmerin aber wichtig sei, zu betonen: „Die Fachkräfte sind gesucht und verdienen gut.“ Inzwischen seien die Meister seit 2018 als Akademiker eingestuft und dem Bachelor gleichgestellt, die Berufsausbildung also gleichwertig. „Aber das dauert, bis das in den Köpfen der Menschen angekommen ist.“
BEISPIEL 2: Bauen und Sanieren
Bevor ein Heizungstausch ökonomisch und ökologisch Sinn macht, müssen Gebäude thermisch saniert werden. Laut EU-Kommission sind Gebäude der größte Energiefresser in Europa: 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen sind auf den Gebäudesektor zurückzuführen. Die neue EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie sieht ohnehin vor, dass ab 2030 alle neuen Gebäude emissionsfrei sein müssen. Österreich geht noch einen Schritt weiter, und will bis 2040 klimaneutral sein.
„Die Auftragslage ist sehr gut, bedingt durch hohe Bau- und Rohstoffpreise sowie Lieferengpässe ist aktuell jedoch eine leicht rückläufige Tendenz bei neuen Aufträgen feststellbar“, heißt es vonseiten der Bauinnung Wien. Aber: „Eine der größten Herausforderungen ist der Fachkräftemangel.
Die Ausbildung von Jugendlichen und Qualifizierung und Weiterbildung von bestehenden Fachkräften hat höchste Priorität.“ Konkret würden junge Menschen angesprochen, um ihnen „attraktive, zukunftssichere Karrierechancen“ aufzuzeigen. Zudem gebe es Kooperationen, etwa mit der Bauakademie Wien. Neue Ideen für Anreize würden aber „laufend erarbeitet, evaluiert und angepasst“.
BEISPIEL 3: Gesundheitsberufe
Lange im Verborgenen, machte Corona den akuten Personalmangel in Spitälern und Pflegeeinrichtungen sichtbar. Immer mehr Häuser melden Leerstände, weil sie einfach nicht genügend Personal für die Versorgung von kranken oder älteren Menschen zur Verfügung haben. Allein in Oberösterreich stehen 600 von 12.650 Pflegebetten leer, in Niederösterreich 240 von 10.800 und in Salzburg 123 von 5.142.
Die Gewerkschaft schlägt Alarm und fordert angesichts der sich ausbreitenden Omikron-Variante als Sofortmaßnahme den vermehrten Einsatz von Zivil- und Grundwehrdienern, „sonst schließen bald die ersten Heime mangels Personals“. Zur immer größeren Herausforderung besonders am Land wird der Ärztemangel. In zehn Jahren sind rund 75 Prozent der heutigen Ärztinnen und Ärzte im pensionsreifen Alter, viele Hausarzt-Stellen können schon jetzt nicht mehr nachbesetzt werden. Im Spitalsbereich sind die Abwanderungen in andere Länder ein Problem.
BEISPIEL 4: Tourismus
Lange Wartezeiten im Restaurant, Dauerstress und Überstunden beim Stammpersonal: Die Personalnot in der Gastronomie- und Hotellerie ist ein Dauerthema, das durch die Corona-Pandemie neue Dimensionen erreicht hat. Wegen der im Lockdown verordneten Schließungen kehrten je nach Region zwischen 10 bis 20 Prozent des Personals der Branche den Rücken und wechselten den Beruf.
Laut WKÖ Bundessparte Tourismus fehlen in der Branche „mindestens 10.000 bis 15.000 Arbeitskräfte“. Die größte Nachfrage herrscht schon seit Jahren nach Köchen. Der Beruf wurde heuer erstmals bundesweit in die Mangelberufsliste aufgenommen, es können daher auch Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern aufgenommen werden. Das ist umstritten, zumal es auch viele Arbeitslose – insbesondere in Wien – gibt.
Der Mangel besteht daher oft nur zur Hochsaison in bestimmten Regionen.
Um die Personalnot zu lindern, erhöht die Regierung 2022 das Kontingent für Saisoniers im Tourismus um 60 Prozent auf rund 2.000. In der Hochsaison sollen sogar bis zu 3.000 Saisonarbeiter die Branche verstärken. Die Ausländer-Quote im Tourismus hat heuer die 50-Prozent-Quote überschritten.
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