Fachkräftemangel: Fünf Unternehmer erzählen, wie sie damit umgehen

Fachkräftemangel: Fünf Unternehmer erzählen, wie sie damit umgehen
Vom kleinen Betrieb bis hin zum großen Konzern – zahlreiche Firmen klagen darüber, offene Stellen nicht besetzen zu können. Wo es mangelt und was man dagegen tun könnte.

„Die Auftragslage ist gut, aber es fehlen die Mitarbeiter um sie abzuarbeiten.“ Aussagen, die derzeit aus vielen Branchen ertönen. Nachdem es lange Zeit keinen Bedarf gab, die Arbeitslosenzahlen auf Rekordhöhe schnellten und die Wirtschaft am Boden lag, kehrt mit der Erholung der Wirtschaft ein neues, wenn auch bekanntes Thema zurück: der Fachkräftemangel.

Pensionierungswellen, fehlende Absolventen, veraltete Lehrberufe, Geschlechterstereotype, unattraktive Arbeitsbedingungen, demografischer Wandel – diese und weitere Ursachen sind bekannt. Sie sind aber weiterhin ungelöst.

„Hochgerechnet auf ganz Österreich hat sich der Fachkräftebedarf von 177.000 im Vorjahr auf aktuell 221.000 erhöht – den öffentlichen Dienst nicht mitgerechnet“, sagt Helmut Dornmayr vom Österreichischen Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw), mit Blick auf den neuen Fachkräfteradar. Rund 70 Prozent der Firmen geben darin an, kein geeignetes Personal zu finden. Ein Rundruf in fünf Branchen:

Handel

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Laut Handelsverband sind  rund 20.000 Stellen  unbesetzt, allein 10.000 im Lebensmittelhandel

„Früher konnten wir aus dem Vollen schöpfen. Wir haben Zeugnisse aussortiert und den besten Bewerber genommen. Das spielt es heute nicht mehr“, sagt Thomas Saliger, Mitglied der Geschäftsführung der Möbelgruppe XXXL. Gute, qualifizierte Verkäufer zu finden sei schwer, vor allem in der Warengruppe Küche – ein Bereich, der in den vergangenen Jahren enorm gewachsen sei. „Der beste Weg, um den Mangel zu mildern, ist die Lehrlingsausbildung. Für die Talentsuche wenden wir viel Energie auf, trotzdem können wir den Bedarf nicht zur Gänze decken.“ Von den jährlich rund 600 offenen Lehrstellen könne man rund 500 besetzen.

So viele fehlen der Branche: Laut Handelsverband ist der Personalbedarf um 20 Prozent höher als vor der Pandemie. Rund 20.000 Stellen sind aktuell offen.

Lösungsansätze: Um den Mangel abzufedern, setzt die Branche stark auf die Ausbildung der Jungen, sowie auf die kontinuierliche Überarbeitung der Lehrberufe. Doch die Krise hat zu einem enormen Rückgang an Bewerbungen geführt. Eine der Ursachen aus Sicht des Handelsverbands: Die „Quantität und Qualität der Bewerbungen“ sei „dramatisch eingebrochen.“ Die Gewerkschaft hingegen führt als Lösung an: höhere Gehälter, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Vollzeitstellen.

Pflege

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Aktuell arbeiten 127.000 Menschen in Österreich in der Pflege und Betreuung. Bis 2030 werden 76.000 zusätzliche Pflegefachkräfte gebraucht

Dass die Zahl der Pflegebedürftigen wächst und der Sektor auf einen Engpass zusteuert, spüren auch die mobilen Pfleger der Volkshilfe Wien. Die Auslastung sei „sehr dicht, es darf niemand ausfallen“, sagt Bernhard Peter. Er ist für die Personalentwicklung zuständig und arbeitet auch selbst als Pfleger. Schon der aktuelle Personalstand arbeite „an der Grenze“, so Peter. „Jetzt können wir noch für eine Entlastung in der Hausbetreuung sorgen. Aber wir werden in Zukunft Aufträge ablehnen müssen, wenn wir nicht mehr Personal finden. Mitarbeiterinnen müssen auch entlastet werden. Fällt kurzfristig jemand aus, oder eine Stelle wird frei, müssen bestehende Teams oft einspringen.“

So viele fehlen der Branche: Laut einer Studie der Gesundheit Österreich GmbH arbeiten rund 127.000 Menschen in der Pflege. Bis 2030 werden rund 75.500 zusätzliche Vollzeit-Pflegekräfte gebraucht. Der Studie zufolge kann aber spätestens ab 2024 der Personalbedarf über die Ausbildungen nicht mehr gedeckt werden.

Lösungsansätze: Große Hoffnungen wird auf Quereinsteiger gesetzt – „dafür müssen Ausbildungsformen durchlässiger werden“, sagt Wifo-Ökonomin Ulrike Famira-Mühlberger. Zudem müsse die Umqualifizierung durch finanzielle Anreize erleichtert werden. Dabei: „Umfragen zeigen, dass es den Pflegekräften weniger um höhere Löhne geht, sondern vor allem um die Arbeitsbedingungen.“ Kündigungen und Krankenstände würden zu kaum planbarer Mehrarbeit führen, Corona hätte die Arbeitsbelastung zusätzlich erhöht. Die Wifo-Expertin sieht daher einen wichtigen Hebel in der Ausbildungsschiene: „Je mehr neue Pflegekräfte nachkommen, desto mehr werden sie entlastet.“

Gastronomie und Hotellerie

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Laut  der Unternehmensberatung mrp fehlen in der Gastronomie und Hotellerie allein in der Wintersaison rund 50.000 Mitarbeiter

Katharina Gössweiner betreibt mit ihrer Familie in Windischgarsten das Hotel Lavendel, ein Familienbetrieb mit 34 Zimmern. Die Sommersaison war gut, dem Winter sieht sie besorgt entgegen – es kamen bereits erste Stornierungen. Die fehlende Planbarkeit mache die Personalsuche schwer, die schon vor Corona nicht einfach gewesen sei, so Gössweiner. „Viele wechseln die Branche. In Oberösterreich gehen viele in die Industrie. Feste Dienstzeiten, freie Wochenenden und Feiertage – da können wir nicht mithalten. Durch den Sommer haben wir uns mit Praktikanten gerettet, den Rest haben wir als Familie gestemmt.“ Ihr Personal finde sie fast nur noch im EU-Ausland – auch das sei mit Kosten verbunden, wegen der Finanzierung der Mitarbeiterunterkünfte.

So viele fehlen der Branche: Laut AMS gab es 2019 etwa 230.000 Beschäftigte in heimischen Tourismusbetrieben. Mit Corona stand die Branche still, viele sattelten um. Die Zahl der Beschäftigten sank auf 132.000, seit den Öffnungsschritten hat sich die Personalsuche daher erschwert. Allein für die Wintersaison fehlen rund 50.000 Mitarbeiter.

Lösungsansätze: Der Tourismus sei schon vor Corona eine „Fluchtbranche“ gewesen, sagt Berend Tusch von der Gewerkschaft vida. Um das Branchenimage zu verbessern, müssten Betriebe auf bessere Gehälter, flexiblere Arbeitszeiten, mehr Ruhetage, sowie für Aufstiegs- und Weiterbildungsmaßnahmen sorgen.

IT

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Die Auftragsbücher sind voll – allein im vierten Quartal 2021 würden österreichische Betriebe bis zu 35.000  neue Fachkräfte benötigen

Die IT-Security Firma Certitude hat aufgrund der steigenden Zahl an Hackerangriffen alle Hände voll zu tun. „Aber wir mussten bereits Aufträge ablehnen, weil wir die Kapazitäten nicht haben, oder spezifische Skills nicht abdecken können“, sagt Managing Partner Marc Nimmerrichter. „Jobs zu besetzen dauert bei uns in der Regel bis zu sechs Monate, denn gerade im IT-Security-Bereich fehlt es an Spezialisten. Wir finden unsere Leute auch nicht über reguläre Ausschreibungen, sondern über das Netzwerk unserer Mitarbeiter und über Headhunter.“

So viele fehlen der Branche: Der aktuelle Infrastrukturreport der Future Business Austria beziffert den Mangel mit rund 24.000 Fachkräften – was den Sektor von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt gemacht hat. Die Folge: Die Gehälter gehen steil nach oben.

Lösungsansätze: Der Fachverband Unternehmensberatung/IT (UBIT) in der Wirtschaftskammer fordert aufgrund der langjährigen Ausbildung und es akuten Mangels erleichterte Zuwanderung aus Drittstaaten, da bereits Fachkräfte aus dem EU-Ausland den Bedarf nicht decken könnten. Die Gewerkschaft hingegen plädiert für einen Ausbau der IT-Ausbildung. Weiters sei es wichtig, mehr Frauen für eine Ausbildung in der Mint-Branche zu begeistern, so Wifo-Experte Helmut Mahringer.

Handwerk

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Die Branche hat vor allem ein Nachwuchsproblem: 24.000 Fachkräfte fehlen, Hochschulabsolventen und Lehrlinge können den Bedarf nicht decken

Mehrere Privatwohnungen und Treppenhäuser für eine Hausverwaltung zu sanieren – zwei lukrative Aufträge, die Malermeister Anton Karl ablehnen musste. „Ich habe zum einen nicht die Kapazitäten und zum anderen keine geeigneten Mitarbeiter.“ Schon jetzt könnten seine zehn Mitarbeiter Aufträge nur mithilfe von Wochenendarbeit und Überstunden erledigen. Der Maler bildet auch aus – doch oft sei der Wille, das Handwerk zu erlernen, nicht gegeben. „Manche wollen einfach nur irgendeinen Beruf erlernen.“

So viele fehlen der Branche: Laut KMU-Forschung Austria ist die Auftragslage gut und der Personalbedarf im Gewerbe und Handwerk um fünf Prozent gestiegen – was rund 35.000 zusätzlichen Jobs entspricht.

Lösungsansätze: „Manuelle Arbeit muss gesellschaftlich mehr Anerkennung bekommen“, findet Anton Karl. Dann würden sich auch mehr Bewerber finden. „Es braucht eine breitere Ausbildungsbasis für Lehrlinge, mehr Weiterbildungsoptionen und neue Ausbildungsmodelle“, ergänzt Wifo-Experte Helmut Mahringer. „Jugendliche möchten sich nicht mehr so früh für einen spezifischen Beruf entscheiden. Wenn man merkt, dass sich die Nachfrage ändert, muss man das Angebot anpassen.“

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