Pakt mit China: Ein größerer Handelsdeal als TTIP

Mitarbeiter der Dongbei Special Steel Group in Dalian
Heikler EU-Spagat: Was zählt mehr, der Schutz der Stahlindustrie oder ein Abkommen mit China?

Die Wirtschaftspolitik der EU steht vor einer brisanten Entscheidung: Was nach einem Leckerbissen für Juristen klingt, könnte die Handelsbeziehungen zu China auf Jahrzehnte hinaus prägen.

Wie es aussieht, wird Brüssel ein vorweihnachtliches Geschenk schnüren und den Chinesen ab 11. Dezember 2016 den begehrten Status als Marktwirtschaft zusprechen. So, wie es vor fünfzehn Jahre beim Beitritt der Asiaten zur Welthandelsorganisation (WTO) ausverhandelt wurde. Offiziell ist diese Entscheidung noch nicht gefallen. „Wir haben gar keine Wahl, wenn wir keinen Handelskrieg wollen“, sagte EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska aber kürzlich.

Stahlbranche protestiert

Gar nicht einverstanden ist damit Europas Stahlindustrie. Sie steckt schon jetzt in einem Handelskrieg, weil China seine gewaltigen Überkapazitäten zu Dumpingpreisen auf den Markt wirft. "Die weltweite Überproduktion beträgt 700 Millionen Tonnen. Davon kommen 400 Millionen allein aus China", sagte Geert Van Poelvoorde, Chef der EU-Stahllobby Eurofer, am Donnerstag. Der Stahlindustrie geht es momentan wie dem Ölkartell OPEC: Ein Treffen, das die Überproduktion eindämmen sollte, endete Anfang der Woche ohne Ergebnis.

Pakt mit China: Ein größerer Handelsdeal als TTIP
China produziert mit 823 Millionen Tonnen ziemlich exakt die Hälfte des weltweiten Stahls. Auf Platz zwei folgt mit Respektabstand die EU – 170 Millionen Tonnen bedeuten zehn Prozent Weltmarktanteil. Damit sind die Anlagen aber längst nicht ausgelastet.

328.000 Jobs in der Stahlbranche

Viel zu viel Stahl, viel zu wenig Nachfrage: Dadurch sind die Preise am Boden. Die Branche, an der EU-weit 328.000 gut bezahlte Jobs in 520 Werken hängen, leidet. Sie ist durch Chinas Billigstahl besonders gefährdet, weil sich die USA mit hohen Strafzöllen abschotten. Die EU ist uneins, wie sie reagieren soll. Die Metall verarbeitende Industrie freut sich nämlich über günstigeren Stahl. Deshalb sind einige EU-Länder (darunter Österreich) dagegen, die große Keule auszupacken. Und akzeptiert die EU China als Marktwirtschaft, würde es ab Dezember ohnehin noch viel schwieriger, Strafzölle zu verhängen.

Im Hintergrund schwebt die Frage, was die schlauere Strategie ist: Soll die EU der Stahlindustrie kurzfristig helfen, indem sie staatliche Beihilfen erlaubt und Strafzölle gegen die Konkurrenz aus Fernost verhängt? Damit würde die fällige Marktbereinigung aufgeschoben; China würde wohl mit Gegenmaßnahmen kontern. Oder verspricht man sich mehr von freundschaftlichen Handelsbeziehungen? Immerhin verhandelt Brüssel mit China seit 2012 über ein Investitionsabkommen. Das wäre andernfalls für lange Zeit vom Tisch.

Größerer Deal als TTIP

Dabei gehen die Überlegungen ohnehin schon viel, viel weiter: Am Mittwoch veröffentlichte die einflussreiche Brüsseler Denkfabrik CEPS eine 324-Seiten-Studie. Die sieht das Investitionsabkommen als eine Vorstufe für ein "echtes" Freihandelsabkommen mit China.

Das könnte in zehn Jahren realistisch sein, sagt Studienautor Jacques Pelkmans zum KURIER: "Ja, China müsste tief greifende Wirtschaftsreformen umsetzen. Unüberwindbar wäre das nicht, die Chinesen haben diese selbst angekündigt."

Groß wären freilich wohl auch die zu erwartenden Wiederstände in Europa. Wenn schon TTIP, ein EU-Abkommen quasi auf Augenhöhe mit den USA, Massenproteste hervorruft, was wäre dann erst bei einem Deal mit China, das es mit Umweltauflagen und Sicherheitsstandards oft nicht so genau nimmt?

Höhere Wirtschaftsleistung

Das wirtschaftliche Potenzial eines solchen Handelsabkommens würde den umstrittenen TTIP-Deal mit den USA jedenfalls sogar übertreffen, rechnen die CEPS-Ökonomen vor: Ein ambitioniertes China-Abkommen könnte laut CEPS die EU-Wirtschaftsleistung 2030 um 83 Milliarden Euro erhöhen; Österreichs Wachstumsgewinn wären 2,2 Milliarden Euro. China würde im Gegenzug 89 Milliarden Euro dazugewinnen.

Pakt mit China: Ein größerer Handelsdeal als TTIP
Chief Executive of Voestalpine Wolfgang Eder takes part in an interview with Reuters in Linz, Austria, August 25, 2015. Austrian high-end steel maker Voestalpine might not stick to its plan to start building a specialised steel plant in China this year but still wants to expand there in the long term, its chief executive told Reuters in an interview. Picture taken August 25, 2015. REUTERS/Heinz-Peter Bader
Im „Nebenjob“ ist Voestalpine-Chef Wolfgang Eder derzeit Präsident des Weltstahlverbandes - und macht sich als solcher für einen Kapazitätsabbau in der europäischen Stahlindustrie stark. Der KURIER sprach mit ihm über ...

Konsolidierung durch weitere Fusionen

Es hat ja schon eine Konsolidierung gegeben. 1994 gab es in Europa 26 Stahlunternehmen, in den vergangenen zehn Jahren sind daraus sechs oder sieben größere Unternehmen geworden. Die Strukturbereinigung war aber nur auf rechtlicher Basis, die Produktionsstandorte wurden fast alle weitergeführt.

Lösung für die europäische Stahlindustrie

Es gibt meiner Meinung nach nur einen Weg. Wir müssen die Kapazitäten in Europa nachhaltig reduzieren. Von über 200 auf 150 bis 160 Millionen Tonnen. Die überzähligen Standorte müssen geordnet heruntergefahren werden. Die verbleibenden Standorte müssen sich auf höherwertigen Stahl konzentrieren. Man kann nicht überleben, indem man in Hochlohnländern billigen Baustahl produziert. Parallel dazu würde eine etwas moderatere Umweltpolitik helfen.

Subventionen

Das Subventionsverbot in der EU muss bleiben. Man kann nicht den eigenen Markt mit Antidumping-Maßnahmen abschotten und gleichzeitig einen Subventionswettlauf starten.

Expansionspläne der voestalpine

Wir wollen bis 2020 den Umsatz in Nordamerika auf drei Milliarden Euro verdreifachen. In Mexiko planen wir ein neues Werk für Autokomponenten. Wie groß dieses werden soll und wo wir investieren, werden wir 2016 entscheiden.

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