Notfall Krankenhaus Nord: Planer heillos überfordert

Baustelle des "Krankenhaus Nord" (Foto: Juni 2015)
Bei Wiens Prestige-Spital explodieren die Kosten und der Terminplan bröckelt. Für Experten war das absehbar.

Europas modernstes Spital, ein völlig neuer Typus eines kommunalen Krankenhauses, ein Spital für das 21. Jahrhundert – kein Großprojekt der Stadt Wien wurde derart gehypt wie das Krankenhaus Nord. Auf 111.000 Quadratmetern an der Brünner Straße entsteht ein "Wohlfühlspital" mit 800 Betten, für 250.000 Ambulanzbesuche und 17.000 Operationen im Jahr.

Das Jubeln ist der Stadt und ihrem Krankenanstaltenverbund (KAV) vergangen. Das Spital der Superlative droht zum ähnlichen Desaster zu werden wie der Terminal "Skylink" am Wiener Flughafen. Die gleichen Fehler, die selben Unternehmen am Werk. Die Baukosten fliegen davon, der Termin für die Inbetriebnahme wird ständig hinausgeschoben.

Auch wenn offiziell eifrig dementiert wird: Etliche Insider sprechen bereits von einem Vollbetrieb erst im Jahr 2020 und Gesamtkosten von bis zu 1,5 Milliarden Euro.

Notfall Krankenhaus Nord: Planer heillos überfordert
ABD0063_20150630 - WIEN - ÖSTERREICH: Blick in ein Bau befindliches Krankenzimmer des "Krankenhaus Nord" am Dienstag, 30. Juni 2015, in Wien. Das Wiener Großspital soll im Juni 2017 fertiggestellt werden. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Das Projekt stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Ursprünglich war ein Totalunternehmer ausgeschrieben – ein Generalunternehmer, der auch Finanzierung und Grundstück mitbringt. Grundsätzlich sinnvoll, wenn Projekte dieser Größenordnung an Profis ausgelagert werden. Großbaustellen sind heute derart kompliziert und riskant, dass nur noch Bauherren mit viel Know-how das Ding managen können. Ein Krankenhaus ist besonders komplex.

Als im letzten Moment die Strabag zurückzog, blieb nur ein Konsortium aus Siemens, Vamed und Porr übrig. Inklusive Finanzierungskosten offerierte die Bieter-Gemeinschaft einen auf den Netto-Barwert gerechneten Preis zwischen 800 und 850 Millionen Euro. Das Konsortium hätte ein fertiges Spital hingestellt, voll gehaftet, wäre für alle Baukosten- und Zeitüberschreitungen verantwortlich gewesen und hätte den laufenden technischen Betrieb (nicht den medizinischen) übernommen. Der KAV hätte Miete auf Quadratmeter-Basis bezahlt.

Daraus wurde nichts. "Man konnte sich nicht auf einen Fixpreis einigen", begründet Thomas Balázs, Vize-Generaldirektor des KAV.

Notfall Krankenhaus Nord: Planer heillos überfordert
ABD0064_20150630 - WIEN - ÖSTERREICH: Blick auf die Baustelle des "Krankenhaus Nord" am Dienstag, 30. Juni 2015, in Wien. Das Wiener Großspital soll im Juni 2017 fertiggestellt werden. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Damit begann die Pannenserie. Die Krankenhausverwalter glaubten tatsächlich, sie könnten die Großbaustelle selbst abwickeln. Ein Fall grober Selbstüberschätzung, ähnlich wie beim Flughafen.

Der KAV engagierte Berater für Koordination, Bauaufsicht, Projektsteuerung und begleitende Kontrolle. "Je schwächer und ahnungsloser der Bauherr, desto mehr tanzen ihm Berater und Firmen auf der Nase herum", erklärt ein Bau-Experte. Im KAV stöhnt man intern mittlerweile über "mafiose Strukturen", denen man sich ausgeliefert fühle.

Den international ausgeschriebenen Architektenwettbewerb gewann Albert Wimmer, SPÖ-naher Haus- und Hofarchitekt der Stadt Wien. Ehefrau Beate Wimmer-Puchinger, Wiener Frauengesundheitsbeauftragte, kandidierte bei den Gemeinderatswahlen für die SPÖ. Dass Wimmer, der zuvor noch nie ein Krankenhaus plante, 37 Mitbewerber als bester Spitals-Architekt aussticht, finden nicht nur Berufskollegen bemerkenswert.

Das Konsortium hatte bereits mit den Vorplanungen für die Haustechnik begonnen, dem heikelsten und wichtigsten Teil. Der KAV löste die Planungsleistungen um rund neun Millionen Euro ab, Wimmer erhielt auch noch die technische Oberleitung.

Die Planung wurde zum Riesenproblem. Die Pleite der Fassadenfirma und Rechenfehler der Statiker vergrößerten das Chaos noch. Wenn sich die Planungen verzögern und nicht abgestimmt sind, gerät der gesamte Baufortschritt durcheinander. Die Baustelle ist kaum noch unter Kontrolle zu bringen. Bei 65.000 Plänen könne es schon zu Problemen kommen, dagegen sei niemand gefeit, wiegelt Balázs ab.

Notfall Krankenhaus Nord: Planer heillos überfordert
ABD0057_20150630 - WIEN - ÖSTERREICH: Blick auf die Baustelle des "Krankenhaus Nord" am Dienstag, 30. Juni 2015, in Wien. Das Wiener Großspital soll im Juni 2017 fertiggestellt werden. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Im Dezember 2013 schlugen die Haustechnik-Firmen (Ortner, Elin, Bacon, Cofely etc.) beim KAV Alarm. Das 16 Seiten lange Schreiben samt Beilage liest sich wie ein Bau-Tagebuch des Schreckens:

Planungsverzug mehr als sechs Monate, fehlende Koordination der Planungsprozesse durch den Auftraggeber, mangelhafte Planungsqualität, kein tauglicher Terminplan, weder zeitgerechte Beauftragungen noch zeitnahe Entscheidungen. Beispiel: Alleine die Überarbeitung eines Lüftungsplans dauerte fünf Monate. Das Gesamtbauvorhaben befinde sich "in einer sehr kritischen Phase", das Projekt müsse unbedingt neu ausgerichtet werden.

Wenige Tage nach Erhalt der brisanten Post flüchtete sich der damalige KAV-Chef, der Gynäkologe Wilhelm Marhold, in die Pension. Neuer Boss über Europas größtes Spitalsunternehmen mit 30.000 Mitarbeitern und drei Milliarden Budget wurde sein Vize Udo Janßen – der Spitzenverdiener mit der Billig-Wohnung (370 Euro für 90 Quadratmeter) in einem KAV-Haus für einkommensschwache Mitarbeiter.

In Ärztekreisen wird außerdem kritisiert, dass Janßen im Aufsichtsrat einer Einkaufsgemeinschaft kommunaler Krankenhäuser in Deutschland sitzt. Laut Rechtsgutachten vereinbar, Janßen beziehe dafür kein Entgelt und vertrete die Interessen des KAV, wird erklärt.

Die Haustechnik-Firmen hatten aus dem Skylink gelernt und beantragten eine gerichtliche Beweissicherung. Sie fürchteten, für das Chaos finanziell verantwortlich gemacht zu werden. Am Flughafen mussten die (teils selben) Unternehmen 16,7 Millionen Euro zurückzahlen.

Notfall Krankenhaus Nord: Planer heillos überfordert
Baustellenansicht des Krankenhaus Nord am 14.01.2015 in Wien Floridsdorf.
Nach langen Streitereien, über die vor der Wiener Wahl nichts nach außen dringen durfte (bei den Firmen und im KAV wurde das Motto ausgegeben: "Gosch’n halten"), einigten sich die Kontrahenten im November auf ein Clearingverfahren. Man vereinbarte einen verbindlichen Terminplan.

Der aktuelle Stand laut KAV: Baukosten 1,050 Milliarden Euro (70 Millionen, die regressiert werden, sind schon abgezogen). Die Fertigstellung wird Ende 2017 garantiert. Das bedeutet natürlich noch lange nicht die Inbetriebnahme. Die Übersiedlung der anderen Spitäler ins Krankenhaus Nord sei "für 2018 eingetaktet" (Balázs).

Etliche Experten sind skeptisch. Zu oft schon wurden die Prognosen korrigiert.

2013 kündigte der KAV 825 Millionen Baukosten und den Vollbetrieb für 2016 an.

Im Vorjahr war von 958 Millionen und Vollbetrieb 2017 die Rede.

Heuer im Sommer wurde der Start auf Juni 2017 verschoben. Genervt von der lästig nachbohrenden Opposition, weigerte sich die zuständige Stadträtin Sonja Wehsely, SPÖ, zuletzt im Gemeinderat, "sich an einem Wettlauf um die Einhaltung bestimmter Stichtage zu beteiligen".

Die Finanzierungskosten sind in allen Angaben nicht enthalten. Der KAV denkt nicht daran, diese bekannt zu geben. Solche "Details" haben die Steuerzahler gefälligst nicht zu interessieren.

Notfall Krankenhaus Nord: Planer heillos überfordert
ABD0061_20150630 - WIEN - ÖSTERREICH: Blick auf die Baustelle des "Krankenhaus Nord" am Dienstag, 30. Juni 2015, in Wien. Das Wiener Großspital soll im Juni 2017 fertiggestellt werden. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Im Medizinbereich droht möglicherweise auch ein gröberes Problem. Da direkt am Spital Geleise der ÖBB vorbei führen, könnten die Mess- und Überwachungsgeräte die Toleranzschwellen überschreiten. Etwa bei Narkosemaschinen. Die getroffenen Vorsorgemaßnahmen reichen aus, beteuert Balázs und beruft sich auf Gutachten mehrerer Experten. Hoffentlich, im Interesse der Patienten. Es soll andere Experten gegeben haben, denen das Gutachter-Risiko zu hoch war.

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