Neuer VW-Chef: Alles Müller, oder was?

Winterkorn-Nachfolge: Porsche-Chef Matthias Müller muss die Diesel-Affäre aufarbeiten.

Am Sitz von Volkswagen in Wolfsburg ging es am Freitag hoch her: Vor den Toren demonstrierte die Umweltschutzorganisation Greenpeace gegen die Missstände in der Autoindustrie. Drinnen tagte der VW-Aufsichtsrat, um einen Nachfolger des am Mittwoch zurückgetretenen Konzernchefs Martin Winterkorn zu bestimmen – und das gleich siebeneinhalb Stunden lang.

Der Name war dann freilich keine große Überraschung mehr: Wie erwartet soll Porsche-Chef Matthias Müller die Kastanien aus dem Feuer holen. Er stehe vor einer „nie da gewesenen Herausforderung“, es gelte, das enttäuschte Vertrauen der VW-Kunden zurückzugewinnen, sagte der 62-Jährige: „Sorgfalt ist noch wichtiger als Geschwindigkeit.“

Köpferollen und Sesselrücken

Bis zur Klärung der Vorwürfe seien einige weitere Mitarbeiter des Konzerns umgehend beurlaubt worden, sagte der interimistische Aufsichtsratschef Berthold Huber. Aber auch organisatorisch soll der VW-Konzern kräftig umgekrempelt werden – der Aufsichtsrat versprach eine neue, modernere Struktur. Das ändert aber nichts daran, dass am 9. November der bisherige VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch in den VW-Aufsichtsrat gehievt werden soll. Der Österreicher wird Ferdinand Piëch nachfolgen, der im April nach seinem verlorenen Machtkampf gegen Winterkorn ausgeschieden war.

Schweiz plant Zulassungsstopp

Der Skandal um gefälschte Abgaswerte bei VW-Dieselmotoren zieht indes weitere Kreise. Alleine in Deutschland sind 2,8 Millionen Autos betroffen, wie Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt im Deutschen Bundestag erklärte (mehr dazu lesen Sie hier). Wie viele es in Österreich sind, konnte Generalimporteur Porsche Holding noch nicht beziffern. Weltweit sollen es 11,5 Millionen Fahrzeuge sein, darunter leichte Nutzfahrzeuge.

Die Schweiz plant sogar einen Zulassungsstopp für manipulierte VW-Fahrzeuge. Zudem wird eine spezielle Arbeitsgruppe eingesetzt, teilte das Bundesamt für Strassen (ASTRA) am Freitagabend mit. ASTRA geht davon aus, dass in der Schweiz rund 180.000 Autos betroffen sein könnten. Bereits zugelassene Fahrzeuge sollen weiterihin fahren dürfen.

Aufstand der Kunden

Die Manipulationen rufen vermehrt Betroffene auf den Plan – etwa Zulieferer, deren Aktienkurse eingebrochen sind, Aktionäre oder Konsumentenschützer. Nicht nur in den USA werden (Sammel-)Klagen vorbereitet. In Österreich bietet der Verein für Konsumenteninformation (VKI) an, Schadenersatzansprüche zu prüfen. Möglicherweise hätten Käufer einen überhöhten Preis für ein „umweltfreundliches“ Fahrzeug gezahlt. VW-Kunden können sich kostenlos an einer Sammelaktion beteiligen. Dabei soll mit US-Anwälten zusammengearbeitet werden.

Für Aktionäre dürfte es nicht so einfach werden. Es gibt in Deutschland kein Gesetz, das Klagen wegen groben Fehlverhaltens zulässt. Auch in Österreich schließt Anlegerschützer Wilhelm Rasinger Klagen aus. „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Viele Aktionäre haben in der Vergangenheit von den Malversationen profitiert.“

EU kannte Möglichkeit zur Manipulation

Dass Labortests manipuliert werden können, ist seit Jahren bekannt. In der EU sind Defeat Devices - also Manipulationssoftware, wie VW sie einsetzte - durch ein Gesetz von 2007 verboten. In einem Bericht der Forschungsabteilung der EU-Kommission von 2013 heißt es, der Teststart könne mithilfe entsprechender Sensoren und elektronischer Komponenten im Fahrzeug erkannt werden. Straßentests, die demnächst in der EU eingeführt werden, würden solche Manipulationen erschweren.

Die EU-Kommission verteidigte sich am Freitag: Festzustellen, ob betrügerische Software zum Einsatz kam, sei „niemals Teil dieser Studien“ gewesen, erklärte eine Sprecherin. Zudem sei die EU-Kommission nicht für die Durchsetzung des Verbots zuständig. „Dies tun die Mitgliedsstaaten vor Ort.“

Derzeit werden die Schadstoff-Emissionen von Fahrzeugen in Europa im Labor gemessen. Ab 2016 müssen parallel auch Straßentests (Fachbegriff RDE für Real Driving Emissions) stattfinden. Vorerst dienen diese aber nur der Information. Ab Herbst 2017 soll das neue Testverfahren relevant für die Genehmigung neuer Fahrzeugtypen werden, ein Jahr später für alle Neuwagen.

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Chronologie des Skandals

FREITAG, 18. September: Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren.

SAMSTAG, 19. September: Die Deutsche Umwelthilfe fordert angesichts der VW-Manipulationsvorwürfe ein Fahrverbot für Dieselautos. Das Problem bestehe nicht nur in den USA, sondern noch stärker in Europa.

SONNTAG, 20. September: Winterkorn kündigt eine umfassende Aufklärung an. „Ich persönlich bedauere zutiefst, dass wir das Vertrauen unserer Kunden und der Öffentlichkeit enttäuscht haben“, teilte er mit und erklärt das Thema zur „höchsten Priorität“. Später räumt ein Konzernsprecher ein, dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist.

MONTAG, 21. September: Volkswagen stoppt den Verkauf von Dieselwagen mit Vierzylinder-Motoren in den USA. Betroffen sind dort Modelle der Kernmarke VW und der Tochter Audi. Die Vorzugsaktie von VW bricht zeitweise um mehr als ein Fünftel ein. In den USA entschuldigt sich VW-Regionalchef Michael Horn: „Wir haben Mist gebaut.“

DIENSTAG, 22. September: Auch in Absatzmärkten außerhalb der USA gibt es Forderungen, Klarheit über das Ausmaß der Affäre zu schaffen. VW gibt eine Gewinnwarnung heraus und kündigt Milliarden-Rückstellungen an. In einem Video bittet Winterkorn um Entschuldigung.

MITTWOCH, 23. September: Winterkorn tritt zurück. „Ich bin bestürzt über das, was in den vergangenen Tagen geschehen ist. Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren“, erklärt er seinen Schritt. Der Aufsichtsrat kündigt eine Entscheidung über die Nachfolge an.

DONNERSTAG, 24. September: Die Affäre bringt die gesamte Industrie in Bedrängnis. Vorwürfe werden laut, auch andere Hersteller könnten manipuliert haben. Viele dementieren das. Daneben gibt es etliche Personalspekulationen rund um VW. Medien berichten, Porsche-Chef Matthias Müller habe die besten Chancen, Winterkorn zu beerben.

Der 1953 in Limbach-Oberfrohna geborene Matthias Müller hat von der Pike auf im Konzern gelernt. Bei der Audi AG schloss er 1972 seine Ausbildung zum Werkzeugmacher ab, danach studierte er Informatik in München (mit Abschluss als Diplom-Informatiker). 1978 kehrte er zurück zu Audi, leitete zunächst die Abteilung für System-Analyse, absolvierte zwischendurch ein Volontariat am japanischen Ministerium für Internationalen Handel und Transport in Tokio und war ab 1993 der zuständige Projektmanager für den Audi A3.

Von 1995 bis 2007 war er Produktmanager für Audi, Seat und Lamborghini, danach für den Volkswagen-Konzern und die Marke VW.

2010 wurde er zum Vorstandsvorsitzenden der Dr.Ing. h.c. F.Porsche AG berufen, seit März ist er Mitglied des Volkswagen Konzernvorstandes. Sein Vertrag als Porsche- Vorstandsvorsitzender wurde erst letztes Jahr verlängert und läuft bis zum Jahr 2020.

Unter Matthias Müller fuhr der Sportwagen-Hersteller aus Stuttgart zu neuen Rekorden. In den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres 2015 lieferte Porsche 113.984 Neufahrzeuge aus, das waren 30 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Der Umsatz nahm um 33 Prozent auf 10,85 Milliarden Euro zu. Das operative Ergebnis übertraf den Vorjahreswert um 21 Prozent und erreichte 1,70 Milliarden Euro. Auch die Zahl der Beschäftigten stieg um zehn Prozent auf 23.477 Mitarbeiter.

Droht nun ein Handelskrieg? Der Skandal könnte sich jedenfalls negativ auf die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und den USA auswirken.

In der Diskussion um manipulierte Abgastests bei Volkswagen hat der Chef des Münchner Ifo Instituts, Hans-Werner Sinn, die US-Automobilindustrie scharf kritisiert. Über Jahrzehnte hätten die Amerikaner versucht, "die kleinen und effizienten Dieselmotoren für Pkw durch immer weiter verschärfte Stickoxid-Grenzen vom Markt fernzuhalten, weil man selbst die Technologie nicht beherrschte", sagte Sinn

Das berichtet das deutsche "Handelsblatt". Gegen die "Stickoxid-Schleuderei der eigenen Trucks" wiederum habe man in den USA nichts, so der Ifo-Präsident. "Nun hat sie endlich den gewünschten Erfolg. Der Diesel-Motor ist wieder weg. Meinen herzlichen Glückwunsch."

Nun rächt sich die "Baukastenstrategie", mit der Volkswagen Kosten sparen wollte: Die von der Manipulation betroffenen Dieselmotoren sind nämlich in etlichen Marken des Konzerns verbaut. Von den weltweit elf Millionen Fahrzeugen mit manipulierten Abgas-Systemen stammen nur rund fünf Millionen von VW. Auch Töchter wie Audi, Skoda und Seat sind betroffen. Eine vollständige Liste der betroffenen Modelle gibt es noch nicht, nach und nach werden aber immer mehr Details bekannt.

Golf, Passat, Tiguan

Nach einer internen Überprüfung teilte VW am Freitag mit, dass unterschiedliche Fahrzeugmodelle aus mehreren Baujahren betroffen sind - etwa der Golf der sechsten Generation, der Passat der siebten Generation und die erste Generation des Tiguan mit einem bestimmten Dieselmotor (Typ EA 189). Weitere Angaben machte das Unternehmen nicht.

Keine aktuellen Modelle

„Wir arbeiten mit Hochdruck an einer technischen Lösung, die wir so rasch wie möglich dem Handel, unseren Kunden und der Öffentlichkeit präsentieren werden“, sagte VW-Markenchef Herbert Diess. Unabhängig von den genannten Modellen älterer Bauart seien aber alle VW-Neuwagen, die über die europaweit gültige Euro-6-Norm verfügen, nicht von den Manipulationen betroffen. Dazu gehörten unter anderem die aktuellen Modelle des Golf, Passat und Touran.

Volkswagen informiere alle Märkte weltweit über die jeweils lokale Anzahl an Fahrzeugen, hieß es weiter. Es werde zudem an „in intensivem Austausch und in enger Abstimmung mit den Zulassungsbehörden“ an einer Abhilfemaßnahme gearbeitet. „Die Fahrzeuge sind weiterhin technisch sicher und fahrbereit.“

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