Es ist ein kleiner Satz in vielen Mietverträgen, der demnächst große Wirkung entfalten könnte: „Der Mietzins wird auf den Verbraucherpreisindex 1976 wertbezogen. Sollte dieser Index nicht verlautbart werden, gilt jener als Grundlage für die Wertsicherung, der ihm am meisten entspricht.“ Das klingt harmlos, doch die schwammige Formulierung,die Vermietern eine einseitige Festlegung ermöglicht, ist mit dem Konsumentenschutzgesetz nicht vereinbar, stellte der Oberste Gerichtshof im März nach einer Verbandsklage der Arbeiterkammer fest.
Da es den Verbraucherpreisindex 1976 noch immer gibt und der zweite Teil der Klausel somit gar nie schlagend geworden ist, ist dieser einfach wirkungslos, möchte man meinen. Aber damit ist es vielleicht nicht getan. Denn die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs stellt schon seit Jahren sicher, dass Unternehmen nicht einfach für sie vorteilhafte Verträge verfassen und es dann darauf ankommen lassen können, was hält. „Schauen, was geht“ wird also im Sinne des Verbraucherschutzes bestraft. Hier hieße das: Der ganze Passus zur Inflationsanpassung der Miete ist unwirksam.
Lesen Sie in dieser Geschichte:
Wer betroffen ist und klagen kann – und um wieviel Geld es geht
Wie Anwalt Oliver Peschel und Immobilienwirtschaftsvertreter Anton Holzapfel den Ausgang der Verfahren einschätzen
Wann es eine Entscheidung geben könnte und was die möglichen Folgen sind
Wer eine Mietsenkung einklagen könnte
So argumentiert jedenfalls der Wiener Rechtsanwalt Oliver Peschel, der bereits im Sommer Klagen angekündigt hat. „Wir haben daraufhin über hundert Anfragen von Mietern erhalten. Vergangene Woche sind die ersten Klagen rausgegangen“, erzählt Peschel, der mit seiner Kanzlei schon einige Dutzend Kläger in Sammelverfahren an mehreren Bezirksgerichten vertritt.
Die Mieter würden davon doppelt profitieren, gibt Peschel das Ziel vor: „Die Mietzinsanpassungen der Vergangenheit wären ungültig, die zu viel bezahlte Miete müsste zurückbezahlt werden. Und natürlich wäre die Miete für die Zukunft niedriger.“ Seiner Schätzung nach gibt es in Österreich Hunderttausende Betroffene: potenziell alle Privaten, die von Unternehmen mieten und eine Indexklausel in ihrem Vertrag haben – egal ob im unregulierten oder im Vollanwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes.
Verfahren „völlig offen“
Während sich Peschel für die Individualverfahren angesichts der vorhergehenden Höchstgerichtsentscheidungen optimistisch zeigt, will Anton Holzapfel, Geschäftsführer des Österreichischen Verbands der Immobilienwirtschaft (ÖVI), keine Prognose wagen. Die Sache sei „völlig offen und sehr komplex“.
Drei oder dreißig Jahre? – Wie viele Erhöhungen ungültig sein könnten
Hochspannend ist auch die Zweitfrage, die die Gerichte beschäftigt: Peschel steht auf dem Standpunkt, die Rückforderung betreffe einen Zeitraum von 30 Jahren. Die Vermieter sehen das anders und berufen sich auf Besonderheiten des Mietrechts, das eine Verjährung nach lediglich drei Jahren vorsieht. Die Bandbreite des Streitwerts ist also groß, während es gleichzeitig noch keine Rechtsprechung in dieser Frage gibt. Holzapfel: „Das ist, wie wenn Sie eine Münze werfen. Kopf oder Zahl – je nachdem, welcher Rechtsmeinung das Gericht folgt.“
Doch selbst die Annullierung nur der jüngsten drei Jahre wäre angesichts der zuletzt außergewöhnlich hohen Inflation eine relevante Größe, immerhin hat der VPI seitdem um mehr als 20 Prozent zugelegt. Die Nettozinsmieten würden also, wenn die Klagen Erfolg haben, um ein Sechstel sinken. Die Rückzahlung der zu viel bezahlten Mieten – in diesem Fall nach KURIER-Berechnungen zweieinhalb bis drei Gesamtmonatsmieten – wäre dann gleichsam der Schnittlauch aufs Brot des Mieters. Die Rückzahlung könnte übrigens sogar für bereits beendete Verträge eingefordert werden.
Mögliche Folge: Noch weniger unbefristete Verträge
Der größte Batzen des Rechtsstreits liegt aber noch unsichtbar am Richtertisch – es sind die Mieten der Zukunft. Holzapfel ortet „gewichtige Rechtsfolgen“, wenn die Klagen durchgehen. Er sieht das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung verletzt: „Auf der einen Seite habe ich einen starken Mieterschutz, auf der anderen Seite soll in Regelungen, die Jahrzehnte gegolten haben, eingegriffen werden.“ Und nicht nur diese Einseitigkeit sei problematisch: „Da soll über den Umweg der Gerichte das Mietrecht geändert werden, statt dass die Politik klare Regelungen schafft.“ Für ihn ein Schuss ins eigene Knie seitens Verbraucherschützern wie der Arbeiterkammer: Die fehlende Rechtssicherheit sei nämlich auch ein Grund, weshalb Vermieter immer weniger unbefristete Verträge anbieten.
Ein rechtskräftiges, wegweisendes Urteil in einem Individualfall dürfte es bis Ende 2024 geben. Die Streitparteien können sich in Vergleichen einigen, der Instanzenweg könnte aber letztlich wieder bis zum OGH führen.
(kurier.at, egg)
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Aktualisiert am 20.11.2023, 13:11
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