Die heurige Herbstlohnrunde ist wohl bedeutender als jede zuvor in den vergangenen 40 Jahren. Denn diesmal steckt eine enorme Sprengkraft in den Verhandlungen – keine sozialpolitische, aber eine wirtschaftliche: Wenn es zu einem zu hohen Abschluss kommt, könnte dieser eine Lohn-Preis-Spirale auslösen, die die derzeit bereits kritische Lage permanent verschlimmern würde, meint der ehemalige Notenbank-Präsident Claus Raidl und frühere Chef der voestalpine-Tochter Böhler-Uddeholm.
Schwer zu stoppen
„Wenn die Metaller-Lohnverhandlungen nicht zurückhaltend geführt werden, kommt es zu höheren Löhnen, die zu höheren Preisen und damit zu einer höheren Inflation führen“, sagt Raidl. Die Unternehmer müssten sich schlicht und einfach die höheren Kosten für die Löhne und Gehälter mit höheren Preisen für ihre Produkte oder Dienstleistungen hereinholen. Dieser Zustand könnte nur sehr schwer wieder ins Lot gebracht werden. „Um die Preise zu dämpfen, müsste es theoretisch zu hohen Zinsen und Abschlüssen unter der Inflationsrate kommen“, erklärt Raidl. Die Arbeitnehmer müssten dann also tatsächlich Reallohnverluste hinnehmen.
Raidl hat dennoch Verständnis für die Forderung der Gewerkschaft, dass der Abschluss heuer über der Inflationsrate liegen müsse. „Nur wie man das ‚Darüber‘ gestaltet, über das muss man diskutieren“, sagt Raidl. Die Gewerkschaft geht von einer Inflationsrate zwischen sechs und sieben Prozent aus. Würde sie etwa eine Lohn- und Gehaltserhöhung von zehn Prozent fordern, wäre das unrealistisch, meint Raidl.
Realistischer wäre es, dass die Arbeitgeber auf die Inflation ein oder 1,5 Prozent drauflegen. Alternativ schlägt Raidl eine Gewinnbeteiligung vor. Die von der Regierung in Aussicht gestellte steuer- und sozialversicherungsfreie Prämie in Höhe von 3.000 Euro wäre eine dritte Möglichkeit. Das würde wochenlange Verhandlungen ersparen. Dass der Staat mit Förderungen oder anderen Zuschüssen helfen sollte, hält er für absurd. „Das wäre völlig falsch“, so Raidl. Müsste der Staat auch hier den „guten Onkel“ spielen, dann wäre das nicht mehr finanzierbar.
Alle müssen beitragen
So verfahren war die Situation zuletzt in den 70er-Jahren, als die Inflation ebenfalls bei über neun Prozent lag. Seit Ende der 70er-Jahre hat es jedoch keine vergleichbare Situation gegeben. Seit der Einführung des Euro liegt die Inflationsrate in Europa bei rund zwei Prozent.
Als Lösung schlägt der Ex-Notenbanker einen Drei-Seiten-Pakt vor. Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Staat müssten gemeinsam beitragen. Der Staat hat laut Raidl bereits geliefert – durch die Abschaffung der kalten Progression. Nun müssten die Arbeitgeber noch ein Sümmchen auf die Inflation drauflegen oder die erwähnte Gewinnbeteiligung oder Einmalzahlung anbieten. Der Arbeitnehmer als Dritter müsste akzeptieren, dass die Erhöhung heuer nicht so hoch ausfällt.
An einen „Corona-Abschluss“ – Gewerkschaft und Arbeitgeber einigten sich 2020 in der ersten Runde auf eine Abgeltung der Inflation – glaubt Raidl heuer nicht. „Damals war die Stimmung ganz anders.“ Er glaubt an lange und heftige Verhandlungen, harte Konfrontationen, auch dass es zu Betriebsversammlungen, möglicherweise sogar Streiks kommen wird. „Letzten Endes wird man aber eine Lösung finden.“ 2023 sollte die Herbstlohnrunde entspannter verlaufen – sofern es nicht zu einer Rezession kommt, sagt Raidl. Die Inflation sollte zurückgehen, doch unabhängig davon sei zumindest ein moderates Wirtschaftswachstum nötig.
Die Gewerkschaft will unbedingt, dass auf die Inflation noch etwas daraufgelegt wird. „Es geht diesmal um sehr viel mehr, weil viele Menschen um ihre Existenz fürchten“, sagt Rainer Wimmer, Chef der Gewerkschaft Pro-Ge. Außerdem hätten die Unternehmen in den vergangenen Monaten gute Ergebnisse erzielt, die Auftragsbücher seien voll, und die Dividenden würden sprudeln. Und davon sollten die Arbeitnehmer etwas abbekommen.
Stellenabbau droht
Die Arbeitgeber bremsen und meinen, dass der Staat helfen und die Arbeitnehmer verzichten sollten. „Die Inflation ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, wir können einen Teil dazu beitragen, aber eben nicht alles schultern“, sagt Christian Knill, Obmann der Metalltechnischen Industrie in der Wirtschaftskammer. Wenn man zu hoch abschließe, würden viele Betriebe Schwierigkeiten bekommen, Stellen abbauen und die Produktion einschränken oder verlagern.
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