Eurochem-Chef zu Sanktionen: "Menschen werden hungern und sterben"
Neben der Lieferkrise für Gas und Öl hat der Krieg in der Ukraine Turbulenzen auch in andere Branchen gebracht. Besonders betroffen sind Düngemittel, weil ein Großteil der Produktion der Inhaltsstoffe aus Russland kommt. Samir Brikho, der Chef von Eurochem, eines der größten europäischen Düngemittelkonzerne, meint, dass die unklare Sanktionspolitik der EU gegenüber Russland Schuld daran sei.
KURIER: Nach fast einem Kriegsjahr in der Ukraine, was ist ihre Prognose für den Düngemittelmarkt 2023?
Samir Brikho: Die Preise werden weiter stark steigen. Die strategischen Reserven sind fast aufgebraucht, wir müssen sie auffüllen und zusätzlich den Jahresbedarf 2023 decken. Die Landwirte werden mehr bezahlen müssen. Gemeinsam mit den gestiegenen Energiekosten führt das zu massiven Preissteigerungen für Lebensmittel, im schlimmsten Fall ist die Versorgungssicherheit gefährdet.
Setzt Putin die Düngemittel als strategische Waffe ein, wie etwa Erdgas?
Ich kann keine Antwort auf geopolitischen Fragen geben. Klar ist jedoch, dass Düngemittel im Gegensatz zur Energie nur einen kleinen Teil der russischen Staatseinnahmen ausmachen. Was wir bemerken, ist, dass die EU unklare Regelungen getroffen hat, was die Sanktionierung betrifft. Zwar wurden Dünger im 9. Sanktionspaket ausgenommen, aber es entscheiden die Mitgliedsstaaten selbst. Darüber hinaus sind einige Voraussetzungen vorgegeben, die das Paket praktisch unbrauchbar machen. Da einige auf der Bremse stehen, ziehen sich Banken, Versicherungen zurück. Die brauchen wir aber für den Transport. Das treibt den Preis stark in die Höhe.
Die EU ist verantwortlich?
Auf dem Papier gibt sie sich Mühe, dass die Lieferung funktioniert. Aber in der Realität sieht das anders aus. In Estland steht ein Terminal für den Export von Ammoniak in die EU still, in Litauen ist der Transport russischer Waren nicht gestattet, auch nicht für nicht sanktionierte Unternehmen oder Produkte, die als kritisch für die Lebensmittelversorgung zu sehen sind. Dass baltische Staaten besonders Russland-kritisch sind, ist verständlich, aber das Ergebnis ist halt bedrohlich.
Was sollten die EU-Agrarminister beim Treffen am Wochenende in Berlin also tun?
Wir brauchen Klarheit über die Lieferketten aus Russland. Alle müssen ermutigt werden, zu helfen und nicht den freien Warenverkehr zu stoppen. Es braucht eine wirtschaftliche Sicht auf die Dinge und keine politische. Düngemittel verstehen nämlich keine Politik. Wenn man sie einsetzt, erhält man Getreide, wenn nicht, eben viel, viel weniger.
Reiche Länder können die Inflation vielleicht managen, aber was bedeutet der weltweite Preisanstieg für ärmere Länder, etwa in Afrika?
Viele dort können sich einen doppelt so hohen Düngemittelpreis einfach gar nicht mehr leisten. Die Produktion wird sinken, Menschen werden hungern oder sterben. Das wird auch die politische Stabilität in diesen Ländern gefährden.
Beim Gas hat es der Westen geschafft, rasch Alternativen zu russischen Lieferungen zu finden. Geht das kurzfristig auch bei Düngemitteln?
Erstens können wir bei Öl und Gas den Verbrauch senken, erneuerbare Energien nutzen, Atomkraftwerke länger laufen lassen. Das geht bei Düngemittel nicht. Zweitens hat Russland den Standortvorteil durch billiges Gas. Seit dem Preisanstieg wurden in Europa zum Beispiel Ammoniakwerke geschlossen. Um die Weltbevölkerung zu ernähren, hatten wir schon vor dem Krieg gerade mal ausreichende Kapazitäten. Wenn was wegfällt, geht es sich nicht mehr aus, auch weil die Bevölkerungszahl global stark steigt.
Der Gründer von Eurochem ist der russische Milliardär Andrey Melnichenko. Er hat sich nach Kriegsbeginn zwar aus dem Unternehmen zurückgezogen und ein Kriegsende gefordert, steht aber trotzdem auf der EU-Sanktionsliste. Vertreten Sie hier nicht auch die Interessen eines Putin-nahen russischen Oligarchen?
Nein. Melnichenko ist kein Oligarch, weil er nie Staatsvermögen gekauft oder an den Staat verkauft hat. Er ist Self-made-Millionär und steht Putin nicht nahe. Er war Gründer von Eurochem, ist aber nicht der Eigentümer. Das Unternehmen gehört einem Trust, der von drei Anwälten geführt wird, und zwar schon seit fast zwanzig Jahren. Der Sitz ist seit 2012 in der Schweiz. Als der Krieg begann, haben wir gesehen, dass durch seine Tätigkeit im Vorstand ein Risiko für das Unternehmen besteht, daher ist er ausgeschieden. Der Vorsitzende des Trusts ist der frühere Interpol-Chef der USA, Ron Noble, also wohl ein sehr guter Gatekeeper.
Kann man glauben, aber auch nicht...
... einige europäische Länder haben sogar Prüfer beauftragt, die zu dem Schluss gekommen sind Eurochem nicht von Melnichenkos kontrolliert wird. Sie sehen, wir sind ein internationales Unternehmen, ohne Einfluss aus Russland.
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