Mehr als 200 migrantische Arbeitskräfte "systematisch ausgebeutet"

Migrantische Arbeitskräfte mussten zu Dumpinglöhnen in der Systemgastronomie oder als Sicherheitskräfte arbeiten (Sujetbild)
Gewerkschaft und Arbeiterkammer decken weiteren Fall organisierter Scheinselbstständigkeit auf. Profitiert davon haben auch Franchisenehmer von Burger King

Gewerkschaft und Arbeiterkammer haben einen weiteren Fall der systematischen Ausbeutung von migrantischen Arbeitskräften, Menschenhandel und organisierter Scheinselbstständigkeit aufgedeckt. Ein deutscher Staatsbürger und eine österreichische Staatsbürgerin verliehen über ihre mittlerweile insolvente Firma S.H.G. über Jahre hinweg mehr als 200 Beschäftigte aus Drittstaaten. Sie wurden auch bei bekannten Unternehmen – darunter Franchisenehmer von Burger King, IQ Autohof, diversen Tankstellenbetreiber und Securitas – eingesetzt. Der Fall erinnert an jenen bei der Hygiene Austria vor zwei Jahren.

Irakische Asylwerber

So lief die Masche: Die Arbeitskräfte - mehrheitlich Asylwerber mit irakischen Papieren - wurden bei ihren Einsätzen wie klassische Leiharbeiter behandelt, auf dem Papier waren sie jedoch Sub-Unternehmer, die einen Gewerbeschein bei der SVS lösen mussten.  "Sie arbeiteten aber alles andere als selbstständig", erläuterte Johanna Schlintl, juristische Beraterin bei UNDOK, der Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender auf einer Pressekonferenz am Dienstag. Das Problem: Asylwerber haben nur sehr eingeschränkten Arbeitsmarktzugang und müssten daher oft selbstständige Tätigkeiten annehmen, um überleben zu können.

Ihre oft überlangen Arbeitszeiten wurden von der S.H.G. festgelegt, an ihren Arbeitsstätten auf Tankstellen, in der Gastronomie oder als Sicherheitspersonal in Fußballstadien unterlagen sie den Weisungen der dortigen Chefs. Es handle sich also eindeutig um "Scheinselbstständigkeit mit ausbeuterischen Arbeitsbedingungen".

Bezahlt wurde ihnen ein Bruttostundenlohn von 9,50 Euro, was weit unter den jeweiligen KV-Mindestlohn liegt. Urlaubs- oder Weihnachtsgeld gab es keines, zudem mussten die Betroffenen rechtswidrige Pauschalen für Transport und Unterkunft bezahlen. 

Strafverfahren anhängig

Gegen die S.H.G. läuft inzwischen ein Strafverfahren vor dem Landesgericht Linz. Die Staatsanwaltschaft Linz nahm Ermittlungen wegen zahlreicher Delikte auf und erhob, u.a. auch wegen Menschenhandels Anklage gegen den Geschäftsführer von S.H.G. und eine weitere Mitarbeiterin.

Pleitefonds muss einspringen

Das Unternehmen hat inzwischen Insolvenz angemeldet. Die Entgeltansprüche der Beschäftigten - in Summe 25.000 Euro -  sind für einen Zeitraum von sechs Monaten vom Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF) gesichert. Für knapp 50 Beschäftigte, die sich bei der AK meldeten, wurden diese bereits angemeldet. Wann sie ausbezahlt werden, ist noch unklar.

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Bei Hygiene Austria gab es Scheinselbstständigkeit

Wie Hygiene Austria

„Hier wiederholt sich eine Masche, die aus Fällen wie der Hygiene Austria leider schon bestens vertraut ist: Arbeitnehmer:innen werden schamlos ausgebeutet. Wenn sie sich dagegen erfolgreich zur Wehr setzen, dann lassen die Profiteure des Systems die Allgemeinheit dafür zahlen“, zeigt sich Ludwig Dvořák, Leiter des Bereichs Arbeitsrechtliche Beratung und Rechtsschutz in der AK Wien, empört.

Lesen Sie hier über den Fall bei der Hygiene Austria

Er verweist auf eine Lücke bei den Haftungsbestimmungen im Arbeitskräfteüberlassungsgesetz. Werden Forderungen nämlich vom IEF gedeckt, fällt die Haftung der Auftraggeber eines nichtzahlenden Leiharbeitgebers weg. „Die Auftraggeber profitieren von den Dumping-Löhnen, mit denen Unternehmen, wie die S.H.G., Arbeitskräfte zu Spottpreisen überlassen. Wenn etwas schiefgeht, tragen sie kein Risiko: Das ist ein unerträglicher Zustand.“ Schwarze Schafe würden so die Sozialstaatskassen plündern und die Politik schaue zu.

Reaktionen von Burger King und Securitas

Der  österreichische Masterfranchisenehmer der Marke Burger King, The Eatery Group, distanziert sich von den Vorwürfen der AK. Diese würden weder The Eatery Group noch Burger King Europe betreffen, sondern zwei selbstständig wirtschaftende Franchisenehmer. Nach deren Aussagen hätten diese alle arbeitsrechtlichen Bestimmungen "genaustens eingehalten". Dass die beauftragte Firma S.H.G. das Personal nicht ordnungsgemäß bezahlt haben dürfte, sei den Franchisenehmern nicht bekannt gewesen. Von den anderen offenbar betroffenen Auftraggebern war zunächst kein Kommentar zu erhalten.

Auch der Sicherheitsdienstleister Securitas hat nach eigenen Angaben erst jetzt erfahren, dass arbeits- und sozialrechtliche Bestimmungen nicht eingehalten wurden. Das Leihpersonal von S.H.G. sei "in sehr geringem Umfang" zur Spitzenabdeckung während der Corona-Zeit eingesetzt worden, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber dem KURIER. Die Zusammenarbeit sei im November 2020 beendet worden.

Erstauftraggeberhaftung gefordert

Laut AK müssten auch die Profiteure stärker zur Verantwortung gezogen werden. Franchisenehmer würden anders reagieren, wenn sie wüssten, dass sie die Kosten für Unterentlohnung tragen müssen, spricht sich Dvořák für eine Erstauftraggeberhaftung aus. Er bestätigt, dass im konkreten Fall Burger King selbst offenbar nichts von den Machenschaften wusste. „Aber es wurde in ihrem Namen Unfug getrieben“, so Dvořák. In einem Fall habe der Arbeitgeber den betroffenen "Selbstständigen" angestellt, als er mit den Vorwürfen konfrontiert wurde.

"Sklaventreiberei"

„Das hat ein bissl was mit Sklaventreiberei zu tun, das geht einfach zu weit“, kommentierte  Reinhold Binder, Bundessekretär der Gewerkschaft Pro-Ge den Fall, der für ihn nur die Spitze eines Eisberges ist. Seriöse Auftragnehmer in der Arbeitskräfteüberlassung hätten ständig damit zu kämpfen, dass dubiose Billigstbieter zum Zug kommen und nicht die Bestbieter. Entscheidend sei nicht, woher eine Arbeitskraft komme, sondern ob er fair bezahlt und behandelt werde.

„Lohndumping-Modelle wie die S.H.G. unterlaufen das Lohnniveau, höhlen den Sozialstaat aus und schaden damit der Allgemeinheit: Das ist nicht hinnehmbar“, so Binder. Die Gewerkschaft fordert höhere Strafen bei Lohn- und Sozialdumping etwa durch die Wiedereinführung des Kumulationsprinzips - je mehr Betroffene, desto höher die Strafen - sowie eine Aufstockung der Personalressourcen bei Finanzpolizei und Arbeitsinspektorat.

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