Materialmangel: "Zahlreichen Baustellen droht der Stillstand"

Materialmangel: "Zahlreichen Baustellen droht der Stillstand"
Handwerksbetriebe schlagen Alarm: Akute Materialmängel und Preisssprünge bringen Betriebe in Existenznot. Festpreise bei Ausschreibungen sollen fallen.

Der Auftrag für eine neue Dachkonstruktion ist längst da, die Arbeiten hätten schon längst beginnen sollen, aber jetzt heißt es vorerst einmal warten. Es fehlt nämlich eine wichtige Komponente. Obwohl das Verschulden nicht im Einflussbereich des Unternehmens liegt, droht jetzt eine Vertragsstrafe. Auch Nachfolgeaufträge, etwa für Dachdecker, verzögern sich auf unbestimmte Zeit. Kein Einzelfall.

"Es kann nicht gebaut werden, weil wichtige Materialen fehlen. Oft sind neun von zehn Komponenten verfügbar, aber ein wichtiger Teil nicht lieferbar. Wir hungern bei voller Schüssel", klagt Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer (WKO).

"Lage dramatisch verschärft"

Sie schlägt Alarm: Seit einigen Wochen habe sich die wirtschaftliche Lage "dramatisch verschärft". Wegen akuter Materialmängel, Lieferverzögerungen und steigender Preise drohe schon bald ein Stillstand auf vielen Baustellen in Österreich. Viele Betriebe stünden vor einer existenziellen Herausforderung. Sie seien nicht in der Lage, Aufträge auszuführen und könnten wegen der Preissprünge nicht seriös kalkulieren.

Weil der Einkaufspreis für Stahl sich binnen weniger Wochen von 1,23 Euro auf 2,30 Euro je Kilo praktisch verdoppelt hat, droht ein österreichisches Metallbau-Unternehmen auf dem Verlust von 90.000 Euro sitzen zu bleiben, nennt die Spartenobfrau ein Beispiel. Tischler wiederum hätten aufgrund des Ukraine-Krieges Probleme, genügend Schnittholz, Hartholz oder Parkettböden zu erhalten.

Materialmangel: "Zahlreichen Baustellen droht der Stillstand"

"Wird die Baukonjunktur gelähmt, hat das negative Folgen für die gesamte Wirtschaft", gibt Reinhard Kainz, Geschäftsführer der Sparte, zu Bedenken. Um diese abzufedern und die Branche vor einer Pleitewelle zu bewahren, fordert die Wirtschaftskammer folgende Akutmaßnahmen.

Keine Festpreisausschreibungen mehr

1. Keine Festpreise mehr bei Bauaufträgen. Private und halböffentliche Auftragnehmer sollten anstelle von Festpreisen eine Indexanpassung bzw. gleitende Preise anerkennen.

2. Bei Terminvergaben müssten mögliche Lieferengpässe berücksichtigt werden, um spätere Vertragsstrafen zu vermeiden. Auch sollten die Auftraggeber "unvorhersehbare Mehrkosten" mittragen.

3. Weitere Gegenmaßnahmen zum Energiepreisschock. Betriebe sollten durch eine Steuergutschrift auf Energiekosten entlastet werden, analog zum gestützten  Agrardiesel soll es einen Gewerbediesel geben.

Aufschwung blieb aus

Der im Vorjahr erhoffte Aufschwung nach der Corona-Krise blieb für das Gewerbe und Handwerk weitgehend aus. „Unterm Strich steht preisbereinigt sogar ein reales Minus von -0,4 Prozent“, sagt Christina Enichlmair von KMU Forschung Austria. Der nominell hohe Umsatzzuwachs um 4,6 Prozent wurde durch die Preissteigerungen mehr als zunichte gemacht.

Besonders stark unter Druck waren 2021 die konsumnahen Branchen wie Friseure (reales Minus: –14,5 Prozent), Fußpfleger, Kosmetiker und Masseure (-5,4 Prozent) sowie Mode und Bekleidungstechnik (-3,8 Prozent). Deutlich im Plus waren 2021 preisbereinigt lediglich die Personaldienstleister und das Sicherheitsgewerbe (+7,1 Prozent), die Kunststoffverarbeiter (+3,6 Prozent) sowie die Mechatroniker (+3,1 Prozent).

Die große Unsicherheit dämpft auch den Ausblick: Für das zweite Quartal 2022 haben 24 Prozent der Betriebe positive Erwartungen, 59 Prozent rechnen mit Geschäften wie im Vorjahr. 17 Prozent gehen hingegen mit negativen Erwartungen ins zweite Jahresviertel – dieser Anteil ist doppelt so hoch wie vor der Krise.

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