Euro-Retter und Minus-Mann: Mario Draghi tritt ab
Die Boulevardzeitung Bild erhält ihre „Pickelhaube“ nicht zurück: Das deutsche Massenblatt hatte EZB-Präsident Mario Draghi während der Eurokrise 2012 einen preußischen Helm überreicht. Und forderte diesen nun zurück.
Vergebens. Den Italiener animierte das am Donnerstag zu einem der seltenen Ausflüge in die deutsche Sprache: „Geschenkt ist geschenkt“, sagte Draghi bei der Abschiedspressekonferenz nach der Zinssitzung in Frankfurt. Der Helm bleibt bei ihm.
Es ist ohnehin eine schwache Wiedergutmachung für die bösen Titel, die Draghi in der deutschen Presse erdulden musste – von „Minus-Mann“ bis „Graf Draghila, der die Konten leersaugt“.
„Fragen Sie meine Frau“
Ab November wird Draghi nicht mehr Chef der Europäischen Zentralbank sein, dann tritt Ex-Währungsfonds-Chefin Christine Lagarde in seine Fußstapfen. Was er nun mit seiner Freizeit anstellen will? Vorgänger Jean-Claude Trichet hatte sich darauf gefreut, mehr Zeit für seine vier Enkelkinder zu haben und Poesie zu lesen. Draghi gab es prosaischer: „Ich habe keine fixen Pläne. Fragen Sie dazu besser meine Frau. Ich bin sicher, Sie weiß es.“ Auch zu möglichen Polit-Ambitionen ließ er sich nichts entlocken.
Erwartungsgemäß. Einen tieferen Blick in seine Gemütslage hatte Draghi nie zugelassen. Je größer die Hysterie in der Finanzkrise wurde, umso cooler fiel seine Reaktion aus. Ein ironisches Schmunzeln hier, eine süffisante Andeutung da. Das war’s.
Selbst als 2014 eine Femen-Aktivistin auf das Podium sprang und ihn mit Zetteln bewarf, hatte sich Draghi sofort wieder im Griff. Sein Fazit über die acht Jahre: Sie seien „intensiv, tiefschürfend, faszinierend“ gewesen. Seine Hinterlassenschaft: „Ich habe versucht, das Mandat bestmöglich zu erfüllen.“ Mandat, damit ist der Auftrag an die EZB gemeint, die Preise stabil bei „unter, aber nahe zwei Prozent Inflationsrate“ zu halten. Schwierig genug. Und dennoch kokette Bescheidenheit für jemanden, den viele „Super-Mario“ nennen, weil er den Euro praktisch im Alleingang vor dem Kollaps gerettet hatte.
Super-Mario am Wort
Und das mit nur drei Worten. Wenn Arnold Schwarzenegger vom Terminator-Spruch „I’ll be back“ (Ich komme wieder) verfolgt wird, so lautet Draghis magische Formel „Whatever it takes“ (Was immer nötig ist). Rückblende zum 27. Juli 2012: Die Griechenland-Krise droht außer Kontrolle zu geraten. Spekulanten halten den Euro-Austritt (Grexit) des Pleitelandes für unausweichlich. Schlimmer noch: Sie wetten darauf, wer als Nächstes an der Reihe ist: Portugal, Irland, Spanien, Italien gar? In dieser giftigen Lage tritt Draghi bei einer Investorenkonferenz in London ans Podium. Und beeindruckt die Märkte mit einer Rede, die nur zehneinhalb Minuten dauert und – unüblich – gänzlich ohne Zahlen oder Fachbegriffe auskommt. Der Euro sei bei seiner Gründung wie eine Hummel belächelt worden: Eigentlich sollte sie gar nicht fliegen können, sie tue es trotzdem. Jetzt müsse aus der Hummel „Euro“ eben eine Biene werden. Gemeint sind die politischen Reformen für eine gemeinsame Finanzaufsicht und Bankenunion. Dann der zentrale Satz: Die EZB werde im Rahmen ihres Mandats alles Nötige tun, um den Euro zu erhalten. „Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“ Das hatte gesessen und wurde geglaubt. Es war die Wende in der Eurokrise.
Fragwürdige Biologie
Dass die Zinsen unter seiner Ägide nie angehoben wurden, sondern immer nur gesenkt, belastet Draghi nicht. 2017 seien die Zeichen auf Normalisierung gestanden, dann hätten sich die Umstände eben geändert, sagte er. Darauf habe die EZB reagiert.
Ein Journalist wollte wissen, ob der Euro nun von der Hummel zur Biene geworden sei? Das sei „biologisch sehr fragwürdig“, habe ihn damals eine Koryphäe gerügt, antwortete Draghi schmunzelnd. „Ich habe das Konzept somit nicht weiter verfolgt.“
„Ratschläge sind nicht nötig. Sie weiß am besten, was zu tun ist.“
Draghi will Nachfolgerin Christine Lagarde keine Tipps geben
„Unsere Gesamtbewertung der Negativzinsen fällt sehr positiv aus. Der IWF hat Bedenken über die Nebenwirkungen auf lange Sicht. Wir beobachten das Risiko genau.“
Draghi bei der Abschieds-Pressekonferenz am 24. Oktober 2019
„Die Zinssätze, die wir festlegen, gelten für die Banken, nicht für die Menschen. Die Behauptung, wir wollten Sparer enteignen, ist völlig falsch.“
Draghi am 5. Juni 2014
„Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten. Und glauben Sie mir: Es wird genug sein.“
Draghis berühmte Sätze vom 26. Juli 2012 in London
„Wir werden von niemandem gedrängt. Wir sind unabhängig. Wir bilden uns unsere eigene Meinung. Das ist alles.“
Draghis erster Auftritt am 3. November 2011 in Frankfurt
„Wer nun unter Draghis Nachfolgerin auf einen Kurswechsel hofft, dürfte enttäuscht werden.“
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der deutschen Commerzbank
„Draghi hat in einer sehr schwierigen Phase für Europas Wirtschaft insgesamt einen guten Job geleistet. Ich glaube, dass eine Normalisierung der Geldpolitik schon im Vorjahr hätte beginnen können.“
Ewald Nowotny, Ex-Chef der heimischen Nationalbank, in Ö1
„Draghis Leistungen insbesondere in der ersten Hälfte seiner Amtszeit sind unbestritten. In der Folge hat sich die EZB mit ihrem Krisenmodus jedoch festgefahren. Noch schlimmer, sie hat die Zinsen immer weiter in den Minusbereich gedrückt – zum Leid der Sparer und des Finanzwesens.“
Hans-Walter Peters, deutscher Bankenverbandspräsident
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