Zu viel globale Verantwortung: Auch Österreich wehrt sich gegen EU-Gesetz
Eigentlich war die Sache unter Dach und Fach. Heute, Freitag, sollten die Vertreter der EU-Staaten in Brüssel endgültig das sogenannte „Lieferkettengesetz“ absegnen. Vom Kaffee aus Lateinamerika, über die bunten T-Shirts aus Südostasien bis zu den Autoreifen aus China: Europäische Unternehmen, die Waren aus aller Welt importieren, um sie zu verpacken, zu verkaufen, oder in ihre eigenen Erzeugnisse einzubauen, sollten von da an Verantwortung für diese Waren übernehmen.
Kein Regenwald gerodet
Sie sollen nicht von Kinderhänden erzeugt worden sein, nicht von Menschen, die dazu gezwungen, oder ungerecht bezahlt wurden, kein Stück Regenwald soll dafür gerodet, kein Fluss vergiftet worden. Umweltschutz, Arbeits- und grundlegende Menschenrechte in ihrer Lieferkette, dafür sollten zumindest die großen Unternehmen ab 500 Mitarbeitern die Verantwortung tragen, sollten bei Verstößen dafür haftbar gemacht werden, vor europäischen Gerichten.
Auslöser ist FDP
Nun aber könnte dieses Gesetz im letzten Moment gestoppt werden. Auslöser ist die deutsche FDP, kleinstes Mitglied der Regierungskoalition in Berlin.
Profite auf Kosten der Verletzung von Menschenrechten, oder Umweltzerstörung zu machen, darf nicht länger möglich sein
Man könne das Ergebnis nicht mittragen, meinten die von der liberalen Partei geführten Ministerien für Finanzen und Justiz. Ohne Einigung in der Regierung wird sich Deutschland der Stimme enthalten – und diese Enthaltung hat eine Welle ausgelöst. Immer mehr EU-Staaten kündigen an, dagegen zu stimmen, oder sich ebenfalls der Stimme zu enthalten, darunter auch Österreich.
Der aktuelle Richtlinienentwurf ist nicht umsetzbar und wirkt sich stark negativ für Unternehmen sowohl in der EU als auch in den Ländern des globalen Südens aus.
Hier hat sich Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) bereits festgelegt. Das Gesetz sei in der derzeitigen Form nicht umsetzbar und werde vor allem negative Auswirkungen auf die Unternehmen haben – in Europa, aber auch in den Entwicklungsländern, aus denen die Produkte kämen.
Justizministerin dafür
Ganz anders Justizministerin Alma Zadic (Grüne), die dafür plädiert, die EU-Vorlage zu unterschreiben. Steigt, wie erwartet, aber auch Italien aus, fällt die Mehrheit in der EU und damit das Gesetz.
Ein später, aber dafür umso dramatischerer Höhepunkt im jahrelangen Tauziehen um das Gesetz.
„Gut gemeint, aber nicht umsetzbar“, „bürokratische Lawine“: So warnen die Vertreter der heimischen Industrie, wie Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer, ständig. Man würde vor allem den mittelständischen Unternehmen einen Rucksack umhängen, der sie im internationalen Wettbewerb zurückwerfen werde. Es brauche einen wesentlich praxistauglicheren Ansatz.
"Sorgfaltspflichten"
Das wiederum wollen die Sozialdemokraten, auch in Österreich, nicht gelten lassen. Man könne nicht einfach „fünf Minuten vor 12“, zu blockieren beginnen, ärgert sich etwa die EU-Abgeordnete der SPÖ, Evelyn Regner, die das Gesetz von Anfang an mitverhandelt hat. Es handle sich um nichts anders als „Sorgfaltspflichten“, die die Unternehmen zu tragen hätten „so wie sie für jeden Bürger gelten: Profite zu machen, die auf der Verletzung grundlegender Menschenrechte beruhen, darf nicht länger möglich sein“.
Die allermeisten Unternehmen sind ohnehin nicht betroffen. Da verstecken sich die Großen wieder einmal hinter den Kleineren, die sich ohnehin an die Regeln halten
Große hinter Kleinen
Das Argument, dass das Gesetz vor allem mittelständische Unternehmen bedrohe, während Großkonzerne die Last leicht schultern könnten, lässt sie nicht gelten: „Die allermeisten Unternehmen sind davon ohnehin nicht betroffen. Da verstecken sich wieder einmal die Großen hinter den Kleinen.“
Kommt es tatsächlich zum Scheitern der Vorlage, wäre eines der ehrgeizigsten Gesetzesprojekte der Europäischen Union der vergangenen Jahren zumindest vorerst gescheitert. Weitere Verhandlungen müssten folgen.
Neustart mit mehr Praxisnähe?
Da aber Belgien, das derzeit den EU-Vorsitz hat, die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärken will, werden die wohl auf die lange Bank geschoben. Für die Gegner des Gesetzes Anlass für einen Neustart mit einem auch in der Praxis umsetzbaren Gesetz, für die Befürworter ein Scheitern Europas an seiner Verantwortung.
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