Lehrlinge müssen noch immer Wurstsemmeln holen

Lehrlinge müssen noch immer Wurstsemmeln holen
Lehrlingsmonitor: AK und Gewerkschaft kritisieren unbezahlte Überstunden, private Arbeiten für Chefs und Ausbildungsmängel

Österreichs Lehrlinge sind überwiegend mit ihrer Ausbildung zufrieden, doch gibt es starke Branchenunterschiede und Verbesserungsbedarf bei der Qualität der Ausbildung. Dies ist das Ergebnis des aktuellen vierten Lehrlingsmonitors, den das Institut für Berufsbildungsforschung (öibf) im Auftrag von Arbeiterkammer (AK), Gewerkschaft (ÖGB) und Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) durchführte. Befragt wurden von November 2020 bis Mai 2021 insgesamt 4.100 Lehrlinge im letzten Lehrjahr und knapp 2.000 Lehrlinge in der Anfangsphase.

Problembranche Tourismus

Die Zufriedenheit der Lehrlinge hängt demnach stark mit der Branche zusammen. Schlecht ist sie wie schon in den vergangenen Jahren vor allem in Tourismus- und  in den Handelsberufen. Insgesamt ist die Zustimmung zum Verbleib im erlernten Lehrberuf mit 76 Prozent höher als zum Verbleib im Ausbildungsbetrieb mit 68 Prozent. Ein Alarmsignal: Den Lehrberuf Restaurantfachmann/frau würden am Ende der Ausbildung nicht einmal mehr die Hälfte der Lehrlinge wieder wählen (siehe Grafik).

Lehrlinge müssen noch immer Wurstsemmeln holen

Video: KURIER Talk mit Richard Tiefenbacher

Ausbildungsfremde Tätigkeiten

Probleme orten AK und Gewerkschaft bei der Ausbildungsqualität. So müssten 18 Prozent der befragten Lehrlinge auch regelmäßig ausbildungsfremde Tätigkeiten erledigen, wovon nicht einmal die Hälfte wenigstens indirekt etwas mit dem jeweiligen Handwerk zu tun habe. Laut Lehrlingsmonitor werden viele Lehrlinge häufig für den privaten Bedarf von Unternehmern eingesetzt, quasi für den Pfusch.

Als Beispiele werden genannt: Rasenmähen, Fassade putzen, Fenster putzen, Gassi gehen, Holz in Wohnung von Chef räumen, Küchenmöbel vom Chef anstreichen, Telefondienst…“ (Lehrling in der Kfz-Technik) oder „private Autos putzen, saugen, Blumen gießen, Küche säubern (Lehrling als Bürokaufmann/frau). "Lehrlinge müssen immer noch Wurstsemmeln holen und andere ausbildungsfremde Tätigkeiten ausüben. Das ist nach wie vor Realität in Österreich",  kritisiert AK-Präsidentin Renate Anderl.

Ebenfalls an der Tagesordnung sind Überstunden. 29 Prozent der Befragten mussten regelmäßig Überstunden machen - für unter 18-Jährige ist das verboten. "Besonders häufig sind Lehrlinge in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben, sowie im Tourismus und der Gastronomie gezwungen, Überstunden zu leisten", heißt es im Monitor. 14 Prozent geben an, dass ihre Überstunden nicht abgegolten werden.

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Ak-Präsidentin Renate Anderl

Nicht ausreichend vorbereitet

Immerhin 36 Prozent der Lehrlinge  fühlten sich nicht ausreichend vorbereitet, um als Fachkraft in einem anderen Betrieb als dem eigenen Ausbildungsbetrieb zu arbeiten. Überdurchschnittlich stark haben Lehrlinge dieses Gefühl in den Berufen Koch/Köchin, ElektrotechnikerIn, FriseurIn, Gastronomiefachfrau/mann und MalerIn/BeschichtungstechnikerIn. Anderl berichtet von Kochlehrlingen, die sich nach der Lehre nicht zutrauen würden, als Koch zu arbeiten und daher die Branche wechseln.

Kein Lehrstellen-Überhang

Gut 21.000 Jugendliche suchen derzeit eine Lehrstelle in einem Betrieb. Entweder sind sie beim Arbeitsmarktservice als lehrstellensuchend vorgemerkt, machen eine Schulung oder sind in Ausbildung in der öffentlich finanzierten überbetrieblichen Ausbildung. Dem stehen rund 10.000 offene Lehrstellen gegenüber. Einen Lehrstellenüberschuss, wie von Wirtschaftsvertretern beklagt, kann die Gewerkschaftsjugend nicht erkennen.

"Es gibt keinen Überschuss an Lehrstellen, nur Jugendliche, die in gewissen Branchen nicht mehr arbeiten wollen", meint Richard Tiefenbacher, Vorsitzender der Gewerkschaftsjugend. "Ausbeuterische Betriebe" seien für das schlechte Image verantwortlich. Die ÖGJ fordert einen FacharbeiterInnen-Mindestlohn von 1.700 Euro brutto sowie Mindestlehrlingseinkommen in Höhe von 850 Euro in allen Kollektivverträgen. Zur Sicherung der Ausbildungsqualität soll es verpflichtende Kompetenzchecks zur Mitte der Lehrzeit geben.

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WKO-Generalsekretärin Marina Kühnel

Wirtschaftskammer: "Gute Zahlen"

Die Wirtschaftskammer (WKÖ) interpretiert den Lehrlingsmonitor auf ihre Weise und zeigt sich zufrieden, dass  68 Prozent der Lehrlinge mit der betrieblichen Ausbildung zufrieden sind. „Das sind gute Zahlen, die sich mit unseren Analysen decken: Denn laut einer Erhebung des market-Institutes im Auftrag der Wirtschaftskammer aus dem Frühherbst 2021 sagen acht  von  zehn befragten Lehrlingen, dass sie mit ihrer Ausbildung zufrieden sind“, sagt Mariana Kühnel, stv. WKÖ-Generalsekretärin.

Gerade angesichts der zuletzt stark gestiegenen Lehrlingseinkommen zeige sich, dass die sozialpartnerschaftliche Abstimmung funktioniere. Wie eine WKÖ-Auswertung zeigt, erhalten Lehrlinge der Metalltechnik im ersten Lehrjahr um 21 Prozent, in der Tischlerei um 17 Prozent und im Handel um fast 25 Prozent mehr als noch im Jahr 2017. "Somit kann sich ein Lehrling heute deutlich mehr leisten als vor vier Jahren".

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