Künstliche Intelligenz im Reality-Check: Was vom Hype bleibt
Weckte die Innovation zu hohe Erwartungen? Nicht einmal zwei Jahre seit Beginn des Hypes macht sich Ernüchterung breit. Eine Zwischenbilanz aus wirtschaftlicher Sicht
So etwas gab es noch nie: Eine Software beantwortet Fragen wie ein Mensch, nur schneller. Mit der Vorstellung seines Textroboters ChatGPT im November 2022 löste OpenAI-Chef Sam Altman einen noch nie da gewesenen Hype aus, der nicht nur die Technologiebranche erfassen sollte, sondern schier alle Lebensbereiche in Euphorie und Angst versetzte.
Eine Superintelligenz war geboren und niemand wusste, was aus ihr einmal werden wird und soll. Abseits der philosophisch-ethischen Debatten über die Künstliche Intelligenz (KI) war in der Wirtschaft rasch klar: Die neue Technologie krempelt ganze Geschäftsmodelle um und verheißt damit satte Gewinne für KI-Anbieter, Milliardeninvestments für Start-ups und fette Renditen für Anleger.
Nicht einmal zwei Jahre später kehrt Ernüchterung ein. Der KURIER bat Experten um eine Zwischenbilanz aus wirtschaftlicher Sicht.
Lesen Sie in der folgenden Analyse
Wer das ganz große Geschäft mit KI macht
Wie es den KI-Spezialisten wirtschaftlich macht
Wo generative KI schon überall eingesetzt wird
Warum es an der Börse turbulent werden könnte
Zwischen Versprechungen und Realität
Die Realität hinkt den KI- Verheißungen weit hinterher. Freilich, generative KI wird schon breit eingesetzt; Schüler lassen heimlich Hausaufgaben schreiben, Software-Entwickler ihre Codes, Chatbots ergänzen Hotlines und Industriebetriebe optimieren damit ihre Abläufe. Aber der ganz große kommerzielle Durchbruch ist nicht in Sicht, es mangelt allerorts an spezifischen Geschäftsmodellen.
KI Künstliche Intelligenz (KI) ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Eigenschaften wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren
Generative KI (auch GenAI) ist eine Form der KI, die gestützt auf ihre Trainingsdaten Texte, Bilder und verschiedene andere Inhalte produzieren kann. Die populärste Anwendung ist ChatGPT
Nutzung 61% der globalen Arbeitskräfte nutzen generative KI in ihrem Job, in Österreich sind es 52 % (PwC). 64 % der österreichischen Unternehmen setzen GenAI gar nicht ein. 44 % haben auch nicht vor, GenAI in näherer Zukunft zu implementieren
Das große Geschäft machen derzeit Tech-Riesen wie Nvidia, während die KI-Spezialisten Unsummen verbraten und ansonsten viel forschen und entwickeln. Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass KI-Anwendungen eher vorhandene Technik ergänzen als völlig Neues erschaffen. Ein normales Software-Update also, aber keine bahnbrechende Innovation wie das Internet oder das Smartphone. Dennoch: Die KI-Reise hat gerade erst begonnen – und sie wird noch abenteuerlich.
Der Markt: Wer das große Geschäft mit KI macht
Es werden Unsummen in die neuen Technologien investiert, aber wer verdient eigentlich schon Geld damit? „Derzeit ist das wohl nur der Chiphersteller Nvidia, der mit KI-Chips in den vergangenen Jahren rasant gewachsen ist“, sagt Clemens Wasner, Vorsitzender des Thinktanks AI Austria. Seit Anfang 2023 ist die Nvidia-Aktie um fast 900 Prozent gestiegen. Doch die Konkurrenz schläft nicht.
Mittel- und langfristig werden wohl auch die Technologieschwergewichte Microsoft, Google, Amazon und Apple zu den Gewinnern zählen. Sie investieren kräftig in die Technologie und erwirtschaften mit KI-Abos wie dem Copilot erste Umsätze. Die Wette der großen Techkonzerne sei, dass sie ihren Milliarden Kunden solche Abos, bei denen KI-Funktionen in Programme integriert werden, um 20 bis 30 Euro pro Monat verkaufen können, sagt Wasner: „Irgendwann wird das hyperprofitabel.“
Geld verdienen auch Anbieter, deren Produkte durch KI-Asisstenz attraktiver werden, sagt Antonio Krüger, Geschäftsführer des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz. Sie könnten effizienter arbeiten und komplexere Aufträge annehmen. Beispiel dafür ist der Software-Anbieter SAP, der in mehr als 130 seiner Anwendungen bereits KI-Funktionen integriert hat.
Die Revoluzzer: Wie es den KI-Spezialisten wirtschaftlich geht
OpenAI, die Firma von ChatGPT-Erfinder Sam Altman, hat zwar erst 770 Mitarbeiter, kommt aber bereits auf einen Firmenwert von 80 Milliarden Dollar. Gewinn? Fehlanzeige. Die Verluste sollen sich im heurigen Jahr auf 5 Mrd. Dollar belaufen. Bei einem Umsatz von 2 Mrd. Dollar. Zwei Ex-Mitarbeiter von OpenAI gründeten im Vorjahr das KI-Start-up Anthtropic und kommen auf 15 Milliarden Dollar Firmenwert. Das Problem: Beide Firmen konnten zwar zig Milliarden an Investorengelder einsammeln, das Geschäftsmodell dahinter bleibt aber unklar.
Das Training, aber auch der Betrieb der Basismodelle ist exorbitant teuer. Die Investitionen seien von der Höhe eher mit jenen in die klassische Industrie als in Software-Firmen zu vergleichen, erläutert Wasner. OpenAI werde früher oder später wohl von einer großen Technologiefirma übernommen werden, sagt Wasner. Start-ups wie die französische Mistral oder die deutsche Aleph Alpha seien darauf ausgelegt, dass sie gekauft werden.
Auf Dauer könne das kein Investor der Welt stemmen, meint Wasner. „Bei denen sehe ich keinen Weg zur Profitabilität.“ Chancen sieht Wasner aber auch für kleinere KI-Firmen, die sich auf bestimmte Anwendungen spezialisieren. Etwa auf Simulationen in der Industrie oder medizinische Daten.
Die Anwendungen: Wo generative KI überall eingesetzt wird
Künstliche Intelligenz wird bald überall sein, lauteten Prognosen. Tatsächlich wird KI schon vielfach eingesetzt: Bei Sprachassistenten ebenso wie in Chatbots. KI findet Verwendung in Verwaltungsabläufen, in der Programmierung sowie bei Industrieanwendungen, etwa für Simulationen; in der Sprachverarbeitung und -übersetzung, Bilderkennung und -analyse, Programmierung und Datenverarbeitung, Senosorik und Robotik, in der Automatisierung und in Haushaltsgeräten. Lässt sich der Einsatz wirtschaftlich messen?
Bei Verkauf und Marketing bringe generative KI bereits massiven Mehrwert, sagt Wasner. Der Markt für Texte und Sujeterstellung befinde sich dadurch in einem massiven Umbruch. Auch bei der Dokumentverarbeitung, etwa beim Erkennen von Rechnungen oder zur Bearbeitung von Bestellungen, ist KI bereits bei Unternehmen angekommen. Der deutsche KI-Experte Antonio Krüger sieht etwa in der Gesundheitsbranche Chancen durch bessere Diagnosen.
Aber auch in der Produktion durch digitale Zwilllinge oder bessere visuelle Qualitätssicherung und Ausschussvermeidung. Von KI profitiere auch der Staat durch eine effizientere Verwaltung. Überall dort, wo bestehende Möglichkeiten durch die Technologie erweitert wurden, laufe der Einsatz meist ohne Probleme.
Die Aktienkurse: Warum es an der Börse turbulent werden könnte
Der KI-Hype löste am Kapitalmarkt einen neuen Goldrausch aus. Was folgt, ist die Ernüchterung, das Abrutschen in das „Tal der Enttäuschung“, wie es Marktforscher Gartner in seinem „Hype Cycle“ neuer Technologien nennt.
Laut Ansicht vieler Analysten ist der Wert mancher KI-Aktien künstlich aufgebläht, weshalb es zu einer Bereinigung kommen wird. Wie heftig diese ausfallen wird, vermag niemand einzuschätzen. Einen Vorgeschmack dazu gab es im Sommer mit dem Kursrutsch bei den Tech-Aktien. Pessimisten glauben, dass die KI-Blase platzen wird wie die Dot-com-Blase Ende der 1990-er Jahre.
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt von ING, fasste es in der Zeit so zusammen: „In den vergangenen Jahren sind alle losgezogen, um mit KI Gold zu schürfen. Allerdings bleibt davon bisher wenig im Sieb hängen.“ KI werde die Wirtschaft langfristig verändern, kurzfristig machten die Firmen damit aber noch nicht viel Gewinn und die Produktivität steige nicht wie erwartet.
„Wie in allen Märkten werden nur die besten bleiben“, sagt Sebastian Holler vom Wachstumsfinanzierer Everfield. Investoren würden jetzt genauer hinsehen als noch vor zwei Jahren und checken, ob schon Kunden vorhanden sind. KI sei aber auch kein Produkt, sondern eine Technologie, ähnlich wie das Internet, das heute jeder nutze.
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