KTM-Chef Pierer will mehr Leute am Arbeitsplatz sehen
KURIER: KTM hat trotz der Corona-Pandemie 2020 einen Rekordumsatz hingelegt. Wie kam das?
Stefan Pierer: Weltweit gibt es einen Megatrend zu motorisierten Zweirädern. Das geht vom Fahrrad bis hin zum Motorrad. In den USA und Australien sind Geländemotorräder extrem nachgefragt, vielleicht als Corona-Fluchtgerät. In Europa gibt es schon lange eine starke Nachfrage nach Zweirädern, die vor allem auf kurzen Strecken zunimmt. Raus aus Öffi und Auto, rauf aufs Zweirad. Dieser Trend wurde durch Corona massiv verstärkt.
Warum fahren die Menschen heute lieber mit Zweirädern als früher?
Sie sind vor allem im urbanen Bereich schneller am Ziel als mit dem Auto, man braucht weniger Platz, und es ist günstiger und nachhaltiger. Das E-Fahrrad ist ein Riesenthema. Auch wegen der Corona-Pandemie, es erleichtert das Smart Distancing in der frischen Luft.
Wie ist es KTM während der Lockdown-Phasen mit der Produktion gegangen?
Im ersten Lockdown sind die Lieferketten aus Italien und Spanien eingebrochen, da hatten wir acht Wochen Stillstand. Danach konnten wir wieder voll produzieren, um die erhöhte Nachfrage weltweit bedienen zu können. Wir haben die Kapazitäten erhöht und Mitarbeiter eingestellt. Im zweiten Halbjahr haben wir fast eine Milliarde Umsatz gemacht. Dieser Absatztrend geht heuer weiter, da bin ich zuversichtlich.
Keine Probleme mit Corona-Fällen in der Produktion?
Wir waren Pioniere bei den Tests, wir haben als eines der ersten Unternehmen in Österreich Schnelltests angewendet. Nach der Urlaubssaison haben wir 2.500 Mitarbeiter PCR-getestet, wir hatten nur fünf Fälle.
Die meisten Fälle kommen eher aus dem Familienverbund, aus Fahrgemeinschaften und von Feiern, aber nicht aus den Unternehmen. Da wird sehr diszipliniert vorgegangen.
Homeoffice ist eine Möglichkeit, um Ansteckungen zu vermeiden …
Ich stehe dem Homeoffice eher kritisch gegenüber. Ein Produktions- und Entwicklungsunternehmen, wie wir es sind, braucht Interaktion. Sonst verliert man an Geschwindigkeit.
Wird die Kurzarbeit zur Dauerlösung?
Die Kurzarbeit war ein hervorragendes Modell, um kurzfristig die Arbeitsplätze abzusichern. Je länger sie jedoch dauert, desto mehr verfestigen sich bestehende Strukturen. Dadurch ist auch das Rekrutieren schwieriger geworden. Wir beschäftigen heute 4.600 Mitarbeiter und damit 200 Mitarbeiter mehr als vor der Pandemie. Darüber hinaus suchen wir weitere 300 Fachkräfte, und trotz der derzeit hohen Arbeitslosigkeit ist das Rekrutieren noch schwieriger geworden. Die Kurzarbeit sollte nachgeschärft werden, damit wieder mehr gearbeitet wird. Eine höhere Arbeitspräsenz ist nötig.
Was sagen Sie zu den Lockerungen des Lockdowns?
Die Maßnahmen für die Industrie haben gut gewirkt. Die Frage ist, wie lange das weitergehen kann. In kleinen Schritten öffnen und beobachten ist richtig. Wichtig ist, dass die Schulen geöffnet werden, die Eltern und vor allem Frauen sind sehr gefordert.
Viele Unternehmen richten sich wegen des Trends zur E-Mobilität neu aus. Was kommt da auf KTM zu?
Wir sind seit mehr als zehn Jahren Pioniere in der E-Mobilität bei Zweirädern. Wir haben 2021 unser erstes E-Motorrad auf den Markt gebracht. Im Roller-Bereich werden neue Modelle entwickelt, im kleinvolumigen Hubraumbereich bis zu 125 Kubikzentimeter. Da werden meist kürzere Reichweiten von 60 bis 70 Kilometern gefahren, das geht mit kleinen Niedrig-Volt-Batterien, die aufgrund der Größe nicht teuer und trotzdem sicher sind. Die Sicherheitsvorschriften sind einfacher einzuhalten als bei E-Autos. Für schwere E-Motorräder bräuchte man zu große und schwere Batterien, das ist nicht marktgerecht.
Beobachten Sie die Vorgänge rund um die geplante Schließung oder den Verkauf des MAN-Werks in Steyr? Haben Sie Interesse am Werk?
Nein, das Werk ist für uns nicht geeignet, wir bauen kleine Fahrzeuge. Wir würden 300 Leute brauchen, aber die Flexibilität und Mobilität der Arbeitskräfte ist nicht gegeben. Die Situation bei MAN ist klar. Der Eigentümer ist nicht aus Österreich und vergleicht die Leistungen der Standorte. Wenn Steyr schlechter abschneidet als andere Standorte, dann sieht es schlecht aus. Wenn es einem Unternehmen schlecht geht, dann schließt man als erstes an der Peripherie, nicht im Zentrum. Österreich hat zu wenig internationale Unternehmen, das ist ein Problem. Es wurden zu viele Perlen ausverkauft, wie Steyr-Daimler-Puch. Das ist nun das Resultat.
Wird es heuer bei KTM neue Zweirad-Modelle geben?
Das Sortiment wird ständig erneuert. Geländemotorräder haben einen Zyklus von drei Jahren, Straßenmaschinen von bis zu fünf Jahren. Dann wollen die Kunden etwas Neues. Mit unserer hohen Investitionsquote sind wir schneller als die Japaner.
KTM ist Europas größter Motorradhersteller, wie sieht es weltweit aus?
Wir haben Suzuki überholt, Kawasaki spürt schon unserem Atem. Weit vor uns sind Honda als Nummer eins und Yamaha als Nummer zwei.
Sie und Ihr indischer Partner Bajaj wollen die Beteiligungsstruktur ändern, was ist der Grund dafür?
Es ist unsere beidseitige Absicht, nach der langjährigen Zusammenarbeit im Motorradbereich die Beteiligungsstruktur zu vereinfachen. Darum geht es uns in erster Linie. Damit wird Bajaj auch am boomenden E-Bike-Segment mitbeteiligt, was strategisch hochinteressant für unseren indischen Partner ist.
Pierer Mobility erhöht im Gegenzug ihre Beteiligung an der KTM AG auf fast 100 Prozent, was auch unseren Minderheitsaktionären zugutekommt.
Was braucht Österreichs Wirtschaft, um nach der Corona-Krise in Schwung zu kommen?
Wir haben drei Standortvorteile, die müssen wir behalten: die duale Ausbildung, die forciert gehört. Die Forschungsprämie, die 14 Prozent der Entwicklungskosten beträgt, und die durch die Kontrollbank abgesicherte Exportfinanzierung. Dadurch haben wir eine hohe Industriequote. Auf der anderen Seite muss die Bürokratie abgebaut werden.
Welches Ergebnis erwarten Sie für KTM heuer?
Für 2021 bin ich sehr optimistisch. Die ersten Wochen haben unsere Erwartung in eine starke Nachfrage nach motorisierten Zweirädern bestätigt. Die größte Herausforderung ist das Management der Zulieferstruktur und die Rekrutierung der Mitarbeiter.
Wie verbringt Stefan Pierer die Lockdown-Phasen? Zu Hause, unterwegs oder im Büro?
Unsere wichtigen Märkte Indien, China oder Amerika konnte ich 2020 nicht besuchen. Die Fliegerei hat sich dramatisch reduziert. Zum Teil war sie vielleicht gar nicht notwendig. In Europa kann ich mich bewegen. Und sonst bin ich im Unternehmen oder bei der Familie.
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