„Die konjunkturellen Aussichten für die österreichische Industrie trüben sich ein“, bringt es Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV) auf den Punkt. Alle Einzelindikatoren wie das Gesamtbarometer der IV-Konjunkturerhebung zeigen nach unten. Anders formuliert – die Industrie steht vor einem Einbruch. Schuld sind die Pandemie, der Krieg und die Inflation.
Die Zeiten, in denen sich die Industriellen des Landes relativ entspannt auf hohen Auftragspolstern ausruhen konnten, sind vorbei. Ausnahmen bestätigen die Regel. „Wer sich auf die Tigerstaaten fokussiert hat, profitiert“, sagt IV-Ökonom Christoph Helmenstein. „Weltweit gibt es 68 Volkswirtschaften, die ein reales Wirtschaftswachstum von mehr als vier Prozent haben.“
Schleppender Export
Nur nicht in Europa. Dazu kommen in Europa Energiekosten, die sich bei manchen Betrieben verzehnfacht haben. Zu Spitzenzeiten hat Gas in Europa sieben Mal mehr gekostet als in den USA, aktuell etwa drei Mal so viel. Im internationalen Konkurrenzkampf – die Exportquote der Industriebetriebe liegt bei 60 Prozent – nicht gerade hilfreich. Das Argument, dass der schwache Euro das Exportgeschäft beflügelt, zieht nur bedingt. Mehr als zwei Drittel der Exporte spielen sich innerhalb Europas ab.
Helmenstein will das Wort „Stagflation“ dennoch nicht in den Mund nehmen. Zwar sei ein Kaufkraftschwund angesichts der höchsten Teuerungsrate seit 70 Jahren (im September 10,5 Prozent) nicht wegzudiskutieren. Laut Definition geht eine Stagflation aber immer mit einer Massenarbeitslosigkeit einher – zumindest für diese gibt es keine Anzeichen. Im Gegenteil. In den nächsten Jahren gehen 540.000 Fachkräfte ab, das entspricht der Einwohnerzahl des Landes Salzburg.
Aber wer sucht Mitarbeiter, wenn sich Auftragsbücher ohnehin leeren? Laut IV-Erhebung ein Fünftel der Betriebe, ebenso viele erwägen Kündigungen. Klingt, als würde sich das unter dem Strich ausgehen – tut es aber nicht. Mismatch. Heißt so viel wie, dass die zur Verfügung stehenden Qualifikationen nicht mit den gesuchten übereinstimmen. Schon jetzt werden in der Industrie Rufe nach staatlichen Geldern für Umschulungsmaßnahmen laut. Noch lauter sind derzeit nur die Rufe nach Hilfen auf nationaler und europäischer Ebene, zur Abfederung der hohen Energiekosten.
Ohne diesen würde den Betrieben das Geld für Investitionen fehlen, die sie benötigen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Lobbyisten der Industrie warnen bereits vor einer Deindustrialisierung Europas. Gemeint ist damit nicht eine Pleitewelle, sondern viel mehr eine schleichende Abwanderung in andere Länder. So streckt die Halbleiterindustrie längst ihre Fühler Richtung Indien, Malaysia und Indonesien aus. Die Textilindustrie könnte sich mittelfristig Richtung Ägypten orientieren. Die alten Maschinen werden in diesem Schreckenszenario noch „auslaufen“, neue Investitionen aber woanders getätigt.
Kurzfristig rechnet Helmenstein damit, dass Produktionslinien in Österreich heruntergefahren oder stillgelegt werden. Etwa in der Düngemittelindustrie, der Tierfutterproduktion oder Papierindustrie.
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