"Wir können nicht mehr abschalten": Warum Sie Schlafstörungen ernstnehmen sollten
Es begann mit Einschlafproblemen, dann kamen Durchschlafstörungen. „Entweder ich konnte vor lauter Stress nicht einschlafen oder ich bin vor Erschöpfung umgefallen, war zwei Stunden später wieder wach und hatte bis drei Uhr früh Herzrasen“, schildert Günter Niederhuber. Der ehemalige leitende Angestellte hatte zu Spitzenzeiten eine 80-Stunden-Woche. Irgendwann war es dann eine Null-Stunden-Woche. Weil nichts mehr ging. Niederhuber hatte ein Burnout.
Im Nachhinein weiß er: „Schlafstörungen sind ein großes Warnsignal.“ Niederhuber hat dank Unterstützung eines Coaches und diverser Entspannungstechniken nicht nur aus dem Burnout gefunden, mittlerweile teilt er seine Erfahrungen und coacht selber Menschen, die unter Stress oder einem Burnout leiden: „70 Prozent meiner Klienten haben Schlafprobleme.“
Immer mehr Menschen leiden unter Schlafstörungen
Damit stehen seine Klienten nicht alleine da. Eine repräsentative Online-Umfrage (1.000 Personen in ganz Österreich im Alter von 18 bis 65 Jahren) der MedUni Wien aus dem Jahr 2018 hat die Schlafgewohnheiten der Österreicher abgefragt. Die Ergebnisse: Im Vergleich zum Jahr 2007 gibt es eine deutliche Zunahme an Schlafproblemen. So klagen 30 Prozent der Befragten über regelmäßige Einschlafstörungen und mit 51 Prozent sind Durchschlafstörungen noch häufiger.
Schlafen Sie gut oder arbeiten Sie durch?
Studienleiter Stefan Seidel vom Schlaflabor der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Wien/AKH Wien über die Gründe der Schlafprobleme: „Meistens ist es eine innere Unruhe, die uns nicht schlafen lässt. Das bekannte Grübeln, Nicht-Runterkommen und Problemewälzen ist die häufigste Ursache für Schlafstörungen, dann erst kommen andere seltenere Faktoren ins Spiel wie Angst oder Schmerzen.“ Der renommierte Schlafforscher Hans-Günter Weeß spricht von einer „Non-Stop-Gesellschaft“. Ständig sind wir erreichbar, beantworten E-Mails am Handy noch im Bett. Es ist wie ein permanentes auf der Lauer liegen. Gibt es noch etwas zu erledigen? Was kann ich noch von meiner To-Do-Liste abhaken? Laut Weeß gelinge es vielen Menschen nicht mehr, sich abends „zu entpflichten“.
Wir können nicht mehr abschalten und kommen nicht zum Stillstand
Es ist das Blaulicht von den Bildschirmen, das die Melatoninproduktion unterdrückt, aber so wichtig für einen gesunden Schlaf ist. Es ist die Ernährung, die Einfluss hat auf unseren Schlaf. Zu viel Zucker (vor allem abends) stört den Einschlafprozess. Zu viel regelmäßiger Konsum von Alkohol wirkt sich negativ auf das Durchschlafen aus. Auch der Mangel an Bewegung spielt eine Rolle. Wir leben in einer Gesellschaft, wo wir jeden Tag viel denken und entscheiden müssen, körperlich aber hauptsächlich sitzen. Das führt zu einem Ungleichgewicht. Der Kopf ist überfordert, der Körper unterfordert.
„Wir können nicht mehr abschalten und kommen nicht zum Stillstand“, sagt Niederhuber. Entweder die Gedanken an die Arbeit, das Gefühl der Überforderung, Sorgen oder schlicht der zu hohe Cortisol-Spiegel im Körper (hervorgerufen von zu viel Stress) lassen uns nicht einschlafen. „Ganz schlimm wird es, wenn der permanent hohe Stresspegel sich auf das Gehirn auswirkt. Dann fallen einem normale Dinge aus dem Alltag nicht mehr ein, Passwörter zum Beispiel“, sagt der Coach. Ein weiteres Warnsignal.
Etwas Positives gibt es auch zu melden:
Das Bewusstsein, wie wichtig ein gesunder Schlaf ist, ist unter Führungskräften gestiegen. Früher lautete die Devise: Die Konkurrenz schläft nicht und man prahlte damit, dass man mit lediglich vier Stunden Schlaf täglich trotzdem Leistung erbringt und Erfolge verbucht. Heutzutage gehört ein gesunder Schlaf genau so zu einem erfolgreichen Leben wie eine gesunde Ernährung, Meditation oder Sport. „Schlafstörungen sind auch längst kein Tabuthema mehr“, so Niederhuber. Ein gesunder Schlaf fördert am Enden eben auch die Karriere.
Man muss radikal sein, um besser zu schlafen
Nichts Schweres am Abend essen, regelmäßig Sport treiben, damit das Cortisol im Körper abgebaut wird, für Dunkelheit im Schlafzimmer sorgen und vorm Schlafengehen nicht auf Bildschirme schauen: Im Grunde wissen wir, was für einen gesunden Schlaf nötig ist. Bei der Umsetzung scheitern wir.
Was also tun?
Experten raten dazu, mindestens eine Stunde vor dem Schlafengehen Ruhe zu geben, und zwar radikal. Keine E-Mail, keine To-do-Liste, nichts erledigen oder entscheiden. Auch keine negativen Emotionen mehr an sich ranlassen: TV-Nachrichten schauen oder schwierige Diskussionen mit dem Partner führen.
Und das Handy nicht mit ins Bett nehmen: Eine Studie von Schlafforscher Hans-Günter Weeß hat ergeben, dass Schüler, die das Smartphone mit ins Bett nehmen, weniger Schlaf haben, am Tag müder sind und in der Schule weniger Leistung erbringen. Diese Stunde vor dem Schlafen sollte also rein der Erholung dienen, um runterzukommen.
Schlafrituale als Lösung
Ein Ritual kann diese Stunde zur Gewohnheit zu machen. Sei es, dass man etwas Entspannendes liest, Yoga oder eine Meditation macht, Musik hört oder eine gute Zeit mit dem Partner verbringt.
Lassen einen die Gedanken um die Arbeit gar nicht los, hilft es, alles aufzuschreiben, was einen beschäftigt. Damit signalisiert man dem Gehirn: So wird nichts vergessen und morgen kümmert man sich wieder darum – nach dem wohlverdienten Schläfchen..
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