Plan A, B oder C? Wie junge Menschen dem endlosen Warten aufs Studium begegnen
Es ist ein ewiges Warten, klagt Nico F.. Die Matura hatte er schon vergangenes Jahr in der Tasche, für die Uni bewerben konnte er sich aber noch nicht. Die fünf Sommermonate wurden überbrückt, das Bundesheer musste ab Oktober absolviert werden. Ab Jänner dann die Vorbereitung auf die FH-Aufnahmeprüfungen. Die Tests starteten im März, gefolgt von wochenlangem Warten auf Zu- oder Absagen. Dann weitere Prüfungen, diesmal mündlich, und wieder sechs Wochen warten auf Ergebnisse.
Mit den ausufernden Verzögerungen ist Nico F. nicht allein konfrontiert. Der KURIER hört von zahlreichen ähnlichen Geschichten und Verzweiflungen. Etwa von Elena P.: „Ich kenne das Gefühl vom ‘in der Luft hängen‘, weil ich in mehreren Aufnahmeverfahren hänge.“ Um keine Zeit zu verlieren, hielt sie sich parallel andere Optionen offen. Ohne Plan B und C und D würde es nicht gehen, sagt sie. Aber wie kommt es zu diesen Wartezeiten?
Begrenzte Kapazität
Joachim Fritz Punter, MedAT-Verantwortlicher an der MedUni Wien, erklärt: „Wir können nur eine gewisse Anzahl an Bewerbern aufnehmen. Es ist eine Besten-Auswahl.“ Und diese Selektion, die Aufnahmeverfahren, brauchen Zeit. Die Kapazitäten der Hochschulen, also Betreuung durch Lehrpersonal oder Räumlichkeiten, sind begrenzt, sagt auch WU-Vizerektorin für Lehre und Studierende, Margarethe Rammerstorfer: „Heuer gibt es 10.000 Bewerber für unsere drei Bachelor-Programme. Aufgenommen werden aber weniger als 4.000.“ Erst gestern fand der große Aufnahmetest für das Medizinstudium statt. 12.000 Prüflinge ringen um 1.900 Plätze.
Ähnlich sieht es bei den Fachhochschulen aus, die auch „studienplatzfinanziert“ sind, heißt es in einem offiziellen Statement der FH Technikum Wien. Viele Bewerber, längst nicht so viele Plätze. Die logische Folge sind Aufnahmetests – deren Organisation und Auswertung jedoch zeitlich aufwendig sei.
Mit diesen Prüfungen stellt man laut Margarethe Rammerstorfer aber sicher, dass Studierende die Eignung nicht erst nach Beginn des Studiums erkennen und sich so Stehzeiten ersparen. Und: „Die Bewerber erhalten einen tieferen Einblick in die Studieninhalte und können besser beurteilen, ob das ausgewählte Studium den eigenen Erwartungen entspricht“, sagt Evelyn Süss-Stepancik, Vizerektorin für Lehre und Internationales, FH Campus Wien.
Die Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfungen dauere oft Monate. Manche bereiten sich, etwa für den MedAT, ein ganzes Jahr lang vor. Denn, mit der hohen Nachfrage, steigen auch die Prüfungsanforderungen, erklärt Michael Unger, Aufnahmeprüfungsexperte und Gründer der Informationsplattform „aufnahmepruefung.at“. „Im Langzeitvergleich ist die Zahl der Studienrichtungen, die eine Aufnahmeprüfung verlangen, stark gewachsen. Bis zu den 80er-Jahren waren es nur die künstlerischen Studien und Sportwissenschaft, für die ein Eignungstest zu absolvieren war. In den 2000er- und 2010er-Jahren sind dann nach und nach mehr Universitätsstudien mit Zugangsbeschränkungen belegt worden.“
Entsprechend vielfältig seien auch die Testinhalte. „Mittlerweile gibt es in fast allen Studienrichtungen sowohl einen beträchtlichen Lernstoff zu bewältigen, als auch einen kognitiven Leistungstest zu bestehen. Also eine Art Intelligenztest und Textverständnis-Test.“
Lange Auswertungszeit
Entsprechend lang kann dann auch die Auswertung dieser Tests dauern. Vier Wochen nimmt sich etwa die MedUni für den MedAT. „Was länger dauert, ist die Qualitätssicherung. Wir kontrollieren, ob alle Bögen unterschrieben oder fälschlich Markierungen übersehen bzw. hinzugefügt worden sind. Dafür scannen wir die Bögen ein zweites, wenn nicht sogar ein drittes Mal“, erzählt Punter.
„Manchmal treten wir auch mit den Testentwicklern und Frageautoren in Kontakt, wenn vermeintlich falsche Antwortoptionen besonders oft gewählt wurden, um zu kontrollieren, ob die Antwort tatsächlich falsch ist. Erst dann veröffentlichen wir die Ergebnisse.“Auch am FH Campus Wien kann ein Aufnahmeverfahren mehrere Wochen in Anspruch nehmen, etwa beim Studiengang Physiotherapie: „Diese Zeitspanne ist notwendig, um eine sorgfältige und faire Bewertung aller Prüfungsleistungen zu gewährleisten“, so Evelyn Süss-Stepancik.
Diese notwendigen Wartezeiten werden bei der Prüfungstermin-Auswahl berücksichtigt, wie die Experten erklären. So sagt Joachim Fritz Punter: „Der MedAT wird traditionell kurz nach der Matura abgehalten. Wir suchen immer den frühesten Termin, da es sonst mit der Zulassung und Organisation knapp wird. Besonders wenn Studierende umziehen müssen. In drei Wochen für Unterkunft zu sorgen, wäre heftig.“
An der WU sind die Fristen für die Aufnahmeverfahren, etwa für die drei Bachelorstudien so gesetzt, dass Interessierte an allen drei Verfahren teilnehmen können: „Wir haben unterschiedliche Aufnahmeverfahren je nach Bachelor. Das internationale Programm findet etwa früher statt, weil Bewerber für das Beantragen eines Visums früher Bescheid wissen müssen, ob sie einen Platz bekommen“, so Margarethe Rammerstorfer.
Das Bachelorstudium Gesundheits- und Krankenpflege am FH Campus Wien startet wiederum zweimal jährlich. Sowohl im Sommer- als auch im Wintersemester. Damit ist eine Bewerbung zweimal pro Jahr möglich, sagt Süss-Stepancik.
- Familienbeihilfe: Mit nicht bestandenen Aufnahmeprüfungen gehen leider nicht nur Enttäuschungen einher, sondern eventuell auch finanzielle Einbußen bei Sozialleistungen und Versicherungen. Für die Familienbeihilfe gibt es vorweg eine gute Nachricht: „Nach Abschluss der Schulausbildung wird für volljährige Kinder die Familienbeihilfe vier Monate lang automatisch weitergewährt“ – und das unabhängig davon, ob anschließend eine Berufsausbildung absolviert wird, heißt es seitens des Familienministeriums. Maturiert man etwa im Juni 2024, wird die Familienbeihilfe bis Oktober 2024 gewährt. Absolviert man eine Berufsausbildung (beispielsweise ein Studium) oder geht einer Freiwilligentätigkeit nach (etwa freiwilliges Sozialjahr) hat man bei Erfüllung der Voraussetzungen bis maximal zur Vollendung des 24. Lebensjahres des Kindes Anspruch auf Familienbeihilfe. Bundesheer und Zivildienst unterbrechen zwar den Anspruch auf Familienbeihilfe, die Altersgrenze verlängert sich dadurch jedoch bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Kindes.
- Versicherung: Ähnlich sieht es bei der Mitversicherung aus. Diese gilt nämlich bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, „solange man sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die die Arbeitskraft überwiegend beansprucht, und Familienbeihilfe bezogen wird“, so die AK Wien. Wird keine Familienbeihilfe bezogen muss das Studium „ernsthaft und zielstrebig“ betrieben werden. Bedeutet: Wenn pro Jahr 16 ECTS bzw. acht Semsterwochenstunden erreicht werden. Unmittelbar nach Vollendung des 18. Lebensjahres bzw. nach Beendigung der Schul- oder Berufsausbildung bleibt die Mitversicherung für 24 Monate möglich. Wird man also an keiner Hochschule aufgenommen, ist man weiterhin bei den Eltern mitversichert – solange man erwerbslos ist. Darüber müsse man jedoch den Krankenversicherungsträger informieren.
Plan A, B, C
Aber wie gehen junge Leute mit so viel Leer- und Stehzeit um? „Viele Maturanten haben einen Plan A, B und C“, so Michael Unger. Und das sei auch sinnvoll. „Bei den Fachhochschulen gibt es einen wahren Aufnahmetest-Tourismus, weil jede FH ihr eigenes Verfahren hat und man daher in mehreren Städten antreten kann, um mehrmals die Chance zu haben“ – und so nicht Monate auf den zweiten Antritt warten muss.
Ein Grund, warum Elena P. sich für mehrere Studienplätze beworben hat: „Schon als ich mich für mein Wunschstudium angemeldet habe, hatte ich einen Plan B. Es wird einem geraten, eher davon auszugehen, dass es nicht klappt“, sagt Elena P.
(Un-)verbindlich
Auf mehreren Schienen zu fahren, wird durch die Digitalisierung der Bewerbungsverfahren vereinfacht, so ein offizielles Statement der FH Technikum Wien. Weil Tests häufig online stattfinden. „Außerdem lassen sich Bewerber tendenziell immer mehr Zeit, sich fix für einen Studienplatz zu entscheiden“, heißt es. Sogenannte „No Shows“ von bereits aufgenommenen neuen Studierenden, die dann im Herbst nicht erscheinen, seien früher Einzelfälle gewesen, würden sich aber aktuell häufen.
Der Grund dafür liegt aber auch darin, dass sich Bewerber an mehreren Hochschulen bewerben müssen, um letztlich überhaupt irgendwo einen Platz zu bekommen. Die FH Technikum Wien sieht das von der anderen Seite: „Junge Menschen haben heute im Bildungssektor eine große, oft kaum überblickbare Auswahl, und zögern hinaus, sich verbindlich für ein bestimmtes Studium zu entscheiden.“
Über kurz oder lang: Um das Warten auf Fristen, Prüfungsergebnisse und den Uni-Start kommt man nicht herum. Sowohl Elena P. als auch Nico F. halten weiterhin unruhig in ihren E-Mail-Postfächern Ausschau nach Zu- oder Absagen – mit Plan B (und C) als Rückendeckung.
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