Ungewöhnlicher Tatort: Ein Ex-Geheimagent über Sprachprofiling
Leo Martin und Patrick Rottler sind Sprachprofiler. Sie analysieren Drohbriefe und Mails, um Täter zu überführen. Im Interview sprechen sie über sprachliche Fingerabdrücke und was ein „ß“ mit österreichischen Tätern zu tun hat.
KURIER: Sie beschäftigen sich beruflich mit Texten, die etwa Folgendes beinhalten: „Wenn Sie diese Forderung nicht erfüllen, dann ...“. Können Sie uns ein aktuelles Beispiel schildern?
Leo Martin: Oft geht es heute um Bitcoin. Gelegentlich geben die Täter beim Drohbrief z. B. vor, einen ausländischen Hintergrund zu haben. „Du kommen alleine“, „nix Polizei“, solche Muster erkennen wir jedoch relativ schnell, weil die Täter irgendwann aus der Systematik fallen, besonders gegen Ende des Textes, wenn die Aufmerksamkeit nachlässt.
Oder das Deutsch wird oft besser, wenn es um die Forderung geht, weil der Täter dann verstanden werden will. Sprich, letztlich handelt es sich um einen deutschsprachigen Täter.
Sie unterstützen Unternehmen, die anonym angegriffen, bedroht oder erpresst werden, und zwar immer dann, wenn der Täter dabei schriftlich vorgeht. Wie genau gehen Sie vor?
Martin: Unser Tatort ist immer der Text und unser Auftrag ist es, den anonymen Schreiber anhand seiner Sprachmuster zu überführen. In den meisten Fällen gibt es einen oder mehrere Verdächtige. Das heißt, uns liegen auch Vergleichstexte vor, E-Mails zum Beispiel. Zunächst zerlegen wir jeden Text in seine sprachlichen Einzelteile. Das geht von der einfachen Wortwahl, über die Satzkonstruktion, bis tief hinein in die Sprachpsychologie.
Bevorzugt der Täter „daher“, „deshalb“ oder „deswegen“. Bildet er einfache Haupt- und Nebensätze, lange Schachtelsätze oder entschuldigt er sich für seine anonymen Äußerungen? So machen wir Muster sichtbar, die typisch für den anonymen Autor sind. Wenn dann in Vergleichstexten von einem möglichen Verdächtigen dieselben Muster auch auftauchen, dann haben wir unseren Täter.
Wie gehen Sie vor, wenn es keine Vergleichstexte gibt?
Patrick Rottler: Das ist die Kür. Dann erstellen wir anhand des Drohbriefes oder Erpresserschreibens ein Profil und bilden begründete Hypothesen, wie der Schreiber hinter dem Text aussehen müsste. Anhand textimmanenter Merkmale versuchen wir, Aussagen über Bildungsgrad, Textfertigkeit, regionale Herkunft, bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, Alter und vielleicht sogar über sein Geschlecht, zu treffen.
Geben Sie uns bitte ein Beispiel.
Rottler: Wenn der Einsatz von scharfem s („ß“) nach alter Rechtschreibung, noch auffällig häufig verwendet wird, oder wenn bei Worten wie „Schwangerschaftsabbruch“ oder „Adventskalender“ das sogenannte Fugen-s regelmäßig fehlt, ist das ein Indiz dafür, dass es sich beim Schreiber um einen Österreicher oder eine Österreicherin handeln könnte.
Wo liegen beim Erstellen des Täterprofils die Grenzen?
Martin: Das Alter lässt sich beispielsweise nicht auf das Jahr exakt, sondern in Zehn-Jahres-Intervallen eingrenzen. Die Wissenschaft streitet darüber, ob es eine typisch männliche oder typisch weibliche Sprache gibt. Die starke Tendenz geht zum Nein. Wenn aber beispielsweise Worte wie „Muttersöhnchen“ oder „Schlappschwanz“ auftauchen, dann werten wir das je nach Kontext als eher weibliches Indiz.
Kann man bereits an einem Wort etwas erkennen?
Rottler: Wir hatten Fälle, in denen ein einziges Wort ein wichtiger Schlüssel zum Täter war. Für ein gerichtsverwertbares Gutachten langt ein einzelnes Wort aber in keinem Fall.
Wenn man das alles weiß, kann man doch gekonnt Drohbriefe manipulieren.
Martin: Verstellungsversuche kommen gar nicht so häufig vor. Denn die meisten Täter sind in einem hoch emotionalen Erregungszustand und schreiben sich den Droh- oder Erpresserbrief von der Seele. Die achten höchsten auf Fingerabdrücke oder darauf, nicht die Briefmarke abzulecken, aber nicht auf Sprachmuster.
Wie hoch ist Ihre Erfolgsquote?
Rottler: Wir übernehmen einen Auftrag nur, wenn wir sicher sind, dass wir unserem Auftraggeber auch wirklich helfen können. Deshalb ist unsere Erfolgsquote relativ hoch. Es kommt auch gelegentlich vor, dass es unserem Auftraggeber wichtiger ist, eine bestimmte Person zu entlasten, als den Täter zu überführen. Zum Beispiel vor einer wichtigen Personalentscheidung oder der Auswahl eines Kooperationspartners.
Leo Martin & Patrick Rottler im "Argumentorik: Menschen Überzeugen mit Wlad"-Interview:
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