„Wie alle anderen Branchen müssen auch wir über dieses Thema diskutieren“, eröffnet Gerald Resch, Generalsekretär des Bankenverbands, ein Pressegespräch diese Woche. Das Thema: Teilzeitarbeit, die Arbeitnehmern längst nicht mehr nur zur phasenweisen Überbrückung dient. „Es scheint für viele eine Langzeitlösung geworden zu sein“, schlussfolgert Resch.
Ein Trend, dem man positiv wie negativ begegnen kann. Während die einen eine Arbeitszeitverkürzung fordern, kontern andere mit 41-Stunden-Wochen. Die Debatte ist aufgeladen – auch weil sie sich bereits über viele Jahre aufheizt. Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer betitelte eine Vier-Tage-Woche schon als „volkswirtschaftliches Todesurteil“ und forderte, die Märchenerzählung zu beenden, „dass es uns mit einer Arbeitszeitreduktion für alle besser geht.“ Arbeitnehmervertretern hingegen geht der Wandel zu langsam: „Die gesetzliche Definition von 40 Stunden Normalarbeitszeit stammt aus dem Jahr 1975 und ist im 21. Jahrhundert schlicht und einfach nicht mehr zeitgemäß“, sagte dazu Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl.
Eine Diskussion um des Kaisers Bart? Die Teilzeitgesellschaft prescht schließlich ungebremst vor. 40 Stunden arbeiten hierzulande nur noch die wenigsten, verrät ein Blick in die Kollektivverträge. Zwischen 32,5 und 40 Stunden ist alles vertreten und geht als Vollzeit durch.
Tatsächlich gearbeitet wird am unteren Rand dieser Spanne – im Durchschnitt 32,7 Stunden die Woche, veranschaulichen aktuelle Eurostat-Daten (vor der Pandemie waren es noch 34,6 Stunden). Besonders ins Gewicht fällt erneut die Teilzeitquote, die hierzulande einen historischen Höchststand erreicht hat. 30 Prozent haben sich mittlerweile vom traditionellen Vollzeit-Konzept verabschiedet – damit liegt Österreich im EU-Vergleich an zweiter Stelle, nur übertroffen von den Niederlanden.
Gedankenexperiment: Eine neue Teilzeitgesellschaft
Offiziell als Teilzeitgesellschaft betiteln dürfen wir uns dennoch nicht, sagt Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS). „Nachdem der Teilzeitanteil noch unter 50 Prozent liegt, sind wir offiziell noch keine“, erklärt er. „Aber es zeigt sich, dass der Arbeitsmarkt bei den Arbeitsstunden viel flexibler ist, als man oft annimmt.“
Gemeinsam mit Hofer und zwei weiteren Experten anderer Forschungseinrichtungen, dem Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo und EcoAustria, wagt der KURIER ein Gedankenexperiment. Und fragt, was passieren würde, wenn Teilzeit wirklich das neue Vollzeit wäre. Wenn die 40-Stunden-Woche endgültig und für alle ausgedient hätte.
Wäre unser gewohnter Wohlstand damit in Gefahr? Kann es Unternehmen überhaupt gelingen, die damit einhergehenden Herausforderungen zu bewältigen? Und bedeutet das für den Einzelnen wirklich weniger arbeiten zu müssen? Die Antworten darauf sind deutlich. Und spielen sowohl Befürwortern als auch Gegnern in die Karten.
Unser Wohlstand: kann leiden, muss nicht
Wer den Wohlstand eines Landes definieren will, orientiert sich meist am BIP. Dass dieses nicht zwingend unter einer Arbeitszeitreduktion leiden muss, belegte Stefan Ederer vom Wifo schon vergangenes Jahr in einer Studie. Darin wurde die Arbeitszeit nach den Wünschen der Beschäftigten um 3,5 Prozent (das sind 1,2 Stunden) reduziert. Das BIP schrumpfte daraufhin um vertretbare 0,9 Prozent – bei vollem Lohnausgleich wohlgemerkt. Das Argument, dass sich nur gewisse Branchen eine Stundenreduktion leisten könnten, wurde widerlegt: „Sogar in der Industrie waren die Effekte nicht deutlich größer als irgendwo anders“, erklärt Ederer.
Sein Fazit: Reduziert man die Arbeitszeit schrittweise, wäre die Wirtschaft anpassungsfähig genug, den Wohlstand aufrecht zu halten. „Es hängt immer davon ab, in welchem Tempo man das implementiert.“ Schließlich wäre genau das in den vergangenen 15 Jahren bereits passiert, so der Ökonom. Das BIP ist konsequent gestiegen, die Arbeitszeit gesunken. Ederer: „Das war eine Reduktion ohne Lohnausgleich.
Aber: Reduziert man Stunden drastisch und schnell, könnten die Auswirkungen verheerend sein.
Ab wann es für den Wohlstand kritisch wird
„Im Wesentlichen gilt: Wenn wir stärker Teilzeit arbeiten wollen, müssen wir uns dessen bewusst sein, dass wir weniger BIP produzieren und weniger Einkommen haben“, sagt Johannes Berger von EcoAustria deutlich.
Warum? Weniger Arbeitsstunden bedeuten mehr benötigte Arbeitskräfte. Die aber sind jetzt schon rar und werden mit dem Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt noch weniger. Doch nicht nur die Wirtschaft kommt in die Bredouille, auch die öffentliche Hand. „Durch geringere Einkommen gehen Ansprüche gegenüber dem Sozialsystem verloren“, führt Berger aus. In anderen Worten: Wird weniger eingezahlt, kommt auch weniger raus. Etwa bei Pensionen, Investitionen in den Klimaschutz oder Bildung.
Die Unternehmen: müssen zu rechnen beginnen
2022 wagte England ein Pilotprojekt. Sechs Monate lang setzten 61 Unternehmen in ihren Organisationen die Vier-Tage-Woche (bei gleichem Lohn) um. Mit aufschlussreichen Erkenntnissen.
Die Firmen konnten nicht nur ihren Umsatz um rund 1,4 Prozent erhöhen, sondern auch ihre Unternehmenskultur verbessern. So verzeichneten sie weniger Krankenstände, Kündigungen und eine deutliche Stressreduktion. 46 Prozent konnten sogar eine Produktivitätssteigerung beobachten. Ein klarer Erfolg also. Dennoch: Nur 51 Prozent der Unternehmen entschieden sich anschließend dazu, das Modell weiterzuführen. Es würde sich in vielen Branchen trotz der Vorteile nicht rentieren, hieß es von manchen Seiten. Wie das sein kann?
Das Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit
Stefan Ederer vom Wifo erklärt es so: Durch eine geringere Arbeitszeit würde die Produktivität immer und überall steigen. Das sei gut für Unternehmen. Jedoch könnte es bei vollem Lohnausgleich zu einer kostenmäßigen Belastung kommen. Warum?
Weil das Personal, das jetzt weniger Stunden leistet, höhere Stundenlöhne bezieht, aber trotzdem nicht alles kompensieren kann. „Wenn jemand 40 Stunden arbeitet und dann auf 30 reduziert, sind das zehn Stunden weniger Arbeitszeit. Was hier offenbleibt, müsste zusätzliches Personal ausbalancieren“, sagt Helmut Hofer. Da Hofer nicht davon ausgeht, dass „die Produktivität dann vom Himmel fällt“, wird letztlich weniger produziert.
Die Lösung? An den Preisen schrauben, damit sich das ganze Geschäft noch rentiert. Doch damit wird eine weitere Spirale in Gang gesetzt: Müssen Konsumenten plötzlich mehr bezahlen und vielleicht länger auf Produkte warten, werden sie sich wohl oder übel bei anderen Anbietern umsehen. Wurden Stunden nicht weltweit reduziert, wird das Ausland attraktiv. Hofer: „Für Unternehmen bedeutet das, dass die Nachfrage und Wettbewerbsfähigkeit sinkt.“
Der größte Profiteur, wenn Teilzeit das neue Vollzeit ist? Der Einzelne, sagt Stefan Ederer. Aber nur, solange dieser seine Arbeitszeit auch wirklich reduzieren wollte – und das sei nicht immer der Fall. „Unsere Studie hat gezeigt, dass eine Arbeitszeitreduktion für alle nicht notwendig ist, weil es sich auch nicht alle wünschen“, so der Wifo-Ökonom. Müsste ein freiwillig Vollzeit-Arbeitender nun mit weniger Stunden und damit auch weniger Einkommen wirtschaften, könnte das den individuellen Wohlstand senken. „Außer: Die Arbeitsproduktivität kann so stark gesteigert werden, dass es tatsächlich zu einem vollen Lohnausgleich kommt“, sagt Senior Economist Helmut Hofer. „Aber das funktioniert so nicht ganz.“
Außerdem mahnt Hofer: „Vollzeit oder auch Teilzeit für alle bedeutet, dass es keine Flexibilität über die Arbeitszeit gibt.“ Dabei würden Arbeitnehmer heute mehr Flexibilität denn je einfordern, zeigen diverse Studien. Doch natürlich gibt es auch positive Auswirkungen, die weniger Arbeitsstunden mit sich bringen.
Freizeit ist nicht gleich Freizeit
Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), der allerdings von einem vollen Lohnausgleich ausgeht, erwähnt etwa mehr Erholungszeiten, weniger Stress und dadurch einen niedrigeren Blutdruck. Weiters ein geringeres Burnout-Risiko und eine gesteigerte Lebensqualität durch mehr Zeit für Freunde und Familie. Doch die neu gewonnene Zeit als reine Freizeit zu deklarieren, wäre ein Fehler, warnt Helmut Hofer.
„Es kommt darauf an, was man mit dem Rest der Zeit macht. Definiere ich diesen als Freizeit, haben wir ein Problem“, sagt er und führt dieses Argument weiter aus: „Die Arbeit an sich bleibt ja gleich. Es kommt nur darauf an, wer sie übernimmt.“ Seine Prognose: „Es kommt zu einer Verschiebung von Erwerbsarbeit zu Care-Arbeit und Substitution“, sagt Hofer. Was er damit konkret meint? „Dinge, die ich früher gekauft habe, müsste ich jetzt selbst machen.“ Von der Kinder- bis zur Altenbetreuung. Vom Elektriker bis zum Installateur, der womöglich durch zu wenig Personalressourcen nicht hinterherkommt.
„Das ist die Frage, ob die Leute damit dann wirklich zufrieden sind“, stellt Hofer in den Raum. „Wenn das für die Menschen mehr Nutzen bringt, heißt das nicht, dass der Wohlstand sinkt.“ Und weniger Arbeitsstunden letztlich zu mehr Zufriedenheit im Alltag führen können.
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