Experte beklagt Teilzeitboom: "Zu viele Menschen arbeiten viel zu wenig"
„Wir diskutieren in Österreich gern über viele Dinge, etwa über eine Leitkultur. Aber wir sollten uns langsam in der Standortpolitik fragen, ob wir da die richtige Leitkultur verfolgen“, sagt Agenda-Austria-Chef Franz Schellhorn im Gespräch mit dem KURIER.
Anlass für seine durchaus emotionale Wortmeldung ist eine Auswertung des wirtschaftsliberalen Thinktanks zur Kluft zwischen den hohen Arbeitskosten für Österreichs Arbeitgeber und dem, was am Ende netto bei Arbeitnehmern übrig bleibt. Schellhorns Befund ist diesbezüglich eindeutig: „Österreich holt massiv auf im negativen Sinn. Wir preisen uns aus den Märkten, aber das scheint jedem egal zu sein. Die Politik blendet wesentliche Themen konsequent aus.“
Was meint er konkret? Welche Daten & Fakten gibt es zum Standort Österreich?
Zu hohe Arbeitskosten für die Arbeitgeber
Im Jahr 2008 hatte Österreich noch Platz 10 bei den Arbeitskosten pro geleisteter Arbeitsstunde in der EU-27, im Jahr 2023 war es schon Platz 7. Anders formuliert: Nur noch in sechs EU-Ländern müssen die Arbeitgeber höhere Arbeitskosten pro Stunde stemmen. Das illustriert für die Agenda Austria den steigenden Kostendruck, der durch den „Produktionsfaktor Arbeit“ entsteht.
Zweithöchster Anstieg in Westeuropa
Dazu komme, dass die Arbeitskosten (also im Wesentlichen Bruttolöhne und -gehälter plus die Arbeitgeber-Sozialbeiträge) außer in Luxemburg und in osteuropäischen Ländern in Österreich am stärksten gestiegen sind – seit 2008 um immerhin 55 Prozent. In vergleichbaren Ländern wie Dänemark (+39 %) oder Schweden (+23 %) fiel der Anstieg wesentlich geringer aus.
Gleichzeitig geringe Nettolöhne für Arbeitnehmer
Heuer steigen die Reallöhne wieder, die KV-Abschlüsse liegen über der Inflation. Aber: Von 100 Prozent der Arbeitskosten bleiben beim Beschäftigten nach Abzug seiner Abgaben (25 Prozent) sowie der Abgaben des Arbeitgebers (22 Prozent) nur 53 Prozent netto übrig. Das bedeutet für Österreich – nach Belgien, Deutschland und ex aequo mit Frankreich – die dritt- beziehungsweise viertniedrigsten Nettolöhne in der OECD. Schellhorn meint: „Die Reallohnzuwächse sind heuer hoch, aber die Leute gehen damit nicht ins Geschäft. Sie spüren, da ist etwas ins Rutschen gekommen.“
In Summe eine „prekäre Kombination“
Dazu kommt laut Agenda das schwächste Realwachstum seit 2019 gemeinsam mit Deutschland und Tschechien, eine Produktivität, die seit zehn Jahren nicht mehr steigt und die höchste Teuerung in Westeuropa. Schellhorn fasst zusammen: „Die Gesamtkombination ist prekär. Regierungsmitglieder beklagen den Pessimismus. Ja, wir brauchen Zuversicht. Aber mit Zweckoptimismus kommt man auch nicht weit.“
Großes Streichkonzert
Um den Faktor Arbeit in Österreich nachhaltig zu entlasten, sollten nicht nur einseitig die Lohnnebenkosten der Arbeitgeber gesenkt werden. Laut Schellhorn sollten sowohl die Abgaben für Arbeitgeber wie auch jene für Arbeitnehmer reduziert werden. Und verdeutlicht das: „Alle nicht lohnrelevante Abgaben gehören weg. Das sind Dinge wie die Wohnbauförderung oder die Kommunalsteuer bis hin zur Arbeiterkammerumlage oder Wirtschaftskammer-Umlage. Das hat alles beim Faktor Arbeit nichts verloren.“
Förderung von Vollzeit
Würde die Produktivität wie in der Vergangenheit von Jahr zu Jahr steigen, könnten die hohen Arbeitskosten ja durchaus ausgeglichen werden, sagt der streitbare Agenda-Chef. „Das funktioniert aber nicht mehr, das liegt am hohen Teilzeitanteil. Zu viele Menschen arbeiten viel zu wenig. Das ist ein gewaltiges Risiko für den Sozialstaat. Da tickt eine Riesenbombe.“
Schellhorn plädiert wie andere dafür, die steuerliche Bevorzugung der Teilzeitarbeit zu beenden und Vollzeitarbeit mehr zu fördern.
Es sei ja in Wahrheit so, dass die Nettostundenlöhne bei Teilzeit höher seien als bei Vollzeit. Schellhorns recht radikaler Ansatz lautet: „Man muss aufhören, immer nur die unteren Einkommen zu entlasten, damit fördert man Teilzeit. Man muss die mittleren und höheren Einkommen entlasten, auch wenn das in Österreich tabu ist. So kommen die Leute in Vollzeit ins Verdienen. Man hört immer, Leistung muss sich wieder lohnen. Das muss man auch mit Leben erfüllen.“
Kommentare