Stress in Rekordzeit senken: Diese drei Notbremsen wirken sofort
Wer vom Hudeln bereits ins Strudeln kommt, ist mittendrin in der „stressigsten Zeit“ des Jahres. Die ist zwar nicht stressiger als jede andere Zeit auch, weiß die Mödlinger Arbeits- und Gesundheitspsychologin Nina Teubenbacher. Einbildung ist ein im November und Dezember erhöhter Stresspegel aber trotzdem nicht. Warum?
„Weil wir das Gefühl haben, uns läuft die Zeit davon“, sagt Teubenbacher. Vor Jahresende wird noch reingepresst, was geht. Privat und ganz besonders im Job. Schon im Vorfeld stellen wir uns mental darauf ein: Es wird stressig!!! Und das wird es dann garantiert. Stichwort: Selbsterfüllende Prophezeiung.
Doch es gibt drei Notbremsen, die man ziehen kann. Die binnen 60 Sekunden Puls und Panik besänftigen. Man muss nur die Passende für sich auswählen – und auch wirklich anwenden.
Medizinisch betrachtet: Das passiert bei Stress
Was passiert im Körper bei Stress? Es geht um nichts Geringeres als ums nackte Überleben. Denn Stress ist eine Urfunktion des Körpers, erklärt der Wiener Resilienztrainer Karl Allmer, der seit zehn Jahren Menschen unterstützt, Stress besser zu bewältigen. „Unser Körper bekommt das Signal Lebensgefahr. Adrenalin wird ausgeschüttet, die Reaktion Kampf oder Flucht angestoßen.“
Praktisch, wenn man vor Säbelzahntigern fliehen muss. Zu viel, wenn es nur darum geht, E-Mails zeitgerecht zu beantworten. „Deshalb ist es auch so wichtig, proaktiv gegenzusteuern“, sagt Allmer. „Sich rauszunehmen und zu fragen: Wie gefährlich ist die Situation wirklich?“
Doch genau dieses klare und rationale Denken, ist in Stresssituationen schwierig. Ein Blick auf das menschliche Gehirn verrät, weshalb. Für das analytische Denken ist der präfrontale Kortex zuständig. Bei drohender Gefahr hat dieser quasi Sendepause.
Die Amygdala, zuständig für emotionale Reaktionen, übernimmt. Und koordiniert die Ausschüttung der Stresshormone: u. a. Adrenalin und Cortisol. Die Hirnfrequenz steigt. Kommt in die sogenannte High-Beta-Phase. Der Fokus verengt, der Blick für das große Ganze verschwindet. „Das führt dazu, dass wir vergessen, ob etwas gerade wirklich wichtig oder sinnvoll ist. Man wird ineffizient“, erklärt Teubenbacher.
Körperlich kann es zu Herzrasen, Schwitzen oder Unruhe führen. Kognitiv zu Angespanntheit oder Denkblockaden. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, muss die Hirnfrequenz sinken, sagt Allmer. Mit einer wirkungsvollen Stress-Notbremse.
- Die innere Einstellung ist die größte Hebelwirkung, um Stress zu lindern oder vorzubeugen, sagt Stresstrainer Karl Allmer
- Die Erwartungshaltung spielt dabei eine große Rolle. „Wir machen uns den Stress schon auch selbst“, sagt Psychologin Nina Teubenbacher. „Wir glauben, alles ist gleich wichtig und wir müssen alles gleich gut erledigen.“
- Was hilft, ist die Priorisierung. Denn häufig ist es nicht die Arbeitslast, die stresst, sondern der individuelle Zugang. „Schon die Perspektive auf eine Situation kann Stress auslösen“, sagt Allmer
- Perfektionisten sind im Nachteil, so die Psychologin. Aber gefeit ist niemand vor externen Stressoren. „Die Frage ist, was wir daraus machen“
Stress-Notbremse Nummer 1: Der Vier-Viertel-Atem
Bei Stress tendiert man dazu, sehr flach zu atmen, sagt die Psychologin. „Das ist insgesamt nicht optimal“, denn gerade die richtige Atmung würde nachweislich zu mehr Entspannung führen. Ausreden für gutes Atmen gibt es keine, denn Atemübungen lassen sich am Schreibtisch oder im vollbesetzten Meeting jederzeit durchführen (solange man die Augen offen behält). Mit großem Effekt.
Am einfachsten ist die tiefe Bauchatmung. Minimum 30 Sekunden bis maximal drei Minuten sind empfohlen.
Intensiver und weniger langweilig ist die Box-Breathing-Methode, auch bekannt als Vier-Viertel-Atem, wärmstens empfohlen von Karl Allmer. Dabei atmet man vier Sekunden ein, hält vier Sekunden die Luft an, atmet vier Sekunden aus und hält wieder vier Sekunden den Atem an. Davon vier Durchgänge. Geistig hantelt man sich an den Seiten einer Box entlang.
Gesamtdauer: 64 Sekunden. Effekt: gesenkter Puls sowie das Stoppen des Gedankenkarussells.
Nach der Notbremse geht es in die Analyse
„Wir befinden uns ja ständig im Selbstgespräch, denken entweder in die Vergangenheit oder die Zukunft“, sagt Stresstrainer Karl Allmer. „Mit dem Atem kommen wir schnell wieder in die Gegenwart.“ Genau dort, in der Gegenwart, müsse man sein, um mittels imaginärer Stressskala zu erkennen: Wie gefährlich ist die Situation gerade wirklich?
Von null – ungefährlich –, bis zehn – Lebensgefahr. „Wahrscheinlich wird man in den meisten Situationen bei einer zwei oder drei stehen“, sagt Allmer. Und dann mit beruhigter Hirnfrequenz unbeschwerter seine Aufgaben fortsetzen.
Stress-Notbremse Nummer 2: Die Achtsamkeit
Die zweite wesentliche Strategie in der Stressbekämpfung ist die Achtsamkeit, sagt Nina Teubenbacher. Also ohne spezielle Atempraxis ins Hier und Jetzt zu finden. „Achtsamkeit lässt sich super in den Alltag einbauen. Zähneputzen, Duschen, all das geht auch achtsam.“
Ein absoluter Experte auf dem Gebiet ist der Arzt und Autor Peter Riedl. Er entwickelte aus den Lehren des Buddhismus die „Wiener Schule der offenen Meditation“ und leitet dazu seit mehreren Jahrzehnten Seminare. „Meditation ist eine Bewusstseins-, eine Achtsamkeitsmethode“, sagt er, die für ihn persönlich nichts mit Esoterik oder Religion zu tun hat. Zu Besuch in seinem Wiener Mandalahof bekommt der KURIER eine Kostprobe, wie Achtsamkeit funktioniert. Zur Veranschaulichung folgt hier ein Ausschnitt des Gesprächsprotokolls:
„Nehmen Sie ein Glas.“ Redakteurin nimmt Wasserglas. „Und jetzt nehmen Sie es bewusst.“ Redakteurin macht dasselbe, aber langsam. „Nein, viel zu schnell. Fassen Sie die Absicht, bewusst und achtsam zum Glas greifen zu wollen. Jetzt führen Sie die Absicht aus.“ Redakteurin greift Glas an. „Nicht so rasch. Nur die Hand heben, das Gewicht der Hand spüren. Greifen Sie zum Glas, aber noch nicht berühren.“ Redakteurin war schneller und berührt es bereits. „Noch nicht. Jetzt. Die erste Berührung. Was fühlen Sie?“ „Kälte“, sagt die Redakteurin, die am Weg zum tatsächlichen Schluck Wasser noch einige Mal gebremst wird.
„Wenn man das immer wieder macht, wird alles viel einfacher“, versichert Peter Riedl und nimmt die Sorge, sich im Sinne der Achtsamkeit in Zeitlupe durchs Leben bewegen zu müssen. „Es ist ein Geistestraining, das einfach ist, wenn man es kann. Und schwierig, wenn man es nicht kann.“ Es gehe darum, sich im Alltag auf eine Sache konzentrieren zu können – hat man das gelernt, wird die Anstrengung völlig anstrengungslos. „Dann bin ich immer da, bin immer präsent im Augenblick“, sagt er.
Eine kurze Übung dreimal pro Woche ist das Minimum an Training, das Riedl anfangs empfiehlt. Dranbleiben lohnt sich, sagt auch die Psychologin Teubenbacher. Denn wer es wie Riedl schafft, das ganze Leben achtsamer zu gestalten, braucht vielleicht gar keine Stress-Notbremsung mehr.
Stress-Notbremse Nummer 3: Mit Muskelkraft
Entspannung ist Typsache. Nicht jeder kann sich mit innerer Gelassenheit und Atemtrainings anfreunden. Wer sich lieber abreagiert, dem empfiehlt Karl Allmer, die überschüssige Energie mittels progressiver Muskelentspannung loszuwerden. Die ist zwar als Langzeit-Entspannungsübung gedacht (15 bis 20 Minuten), funktioniert aber auch in Kompakt-Version. Dabei spannt man ein Körperteil jeweils sieben Sekunden mit aller Kraft an. Und entspannt es dann doppelt so lang (also 14 Sekunden). Hände oder Beine bieten sich im stressigen Arbeitsalltag an. Nach 60 Sekunden geht es einem besser.
Zentral ist hier nicht nur die Körperwahrnehmung, sondern auch die Pause, die man einlegt. Nach 90 Minuten Konzentration braucht das Hirn übrigens immer eine kurze Pause, merkt Allmer an. „Energietanken ist ganz wichtig.“ Raucher machen das mit Zigarettenpausen. Gesundheitsbewusster geht das mit Gewohnheitsketten.
Mit Gewohnheitsketten entspannter berufliche Stressmomente meistern
Die fallen eher in die Kategorie Vorsorge statt Notbremse. Dabei etabliert man im Vorfeld bewusste, positive Fixpunkte, erklärt der Resilienztrainer. „Um Punkt 9.30 Uhr trinkt man zum Beispiel einen Kaffee, komme, was wolle“, sagt er und ergänzt, dass in Notfällen (wichtiges Kundengespräch) dann doch Ausnahmen gemacht werden dürfen.
Weiterer Vorschlag: Nach jedem Telefonat eine halbe Minute nur durchatmen. „Durch die Gewohnheit bringe ich die Hirnfrequenz wieder runter.“ Denn ist diese einmal oben, hat sie meist die Tendenz dortzubleiben.
Abschließend eine wichtige Anmerkung: Wer unter chronischem Stress leidet, kann diesen mit Akut-Methoden kurzzeitig lindern, sagt die Mödlinger Psychologin. „Aber es ist nur eine symptomatische Behandlung.“ Bei andauerndem Stress rät sie deshalb, eine Ebene vorher anzusetzen. Und mit Unterstützung zu analysieren, warum das Stresserleben so groß ist.
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