Selbsttest Fünf-Uhr-Club: Wenn die Nachteule zur Frühaufsteherin wird
Meine Kollegin Roxanna Schmit ist ein Phänomen. Seit dem Teenager-Alter steht sie jeden Morgen um fünf Uhr auf. Folgt einer akribischen Routine, ist hoch konzentriert im Job und schafft es, ihre Sporteinheiten neben Arbeit und Universität problemlos zu absolvieren.
Sie ist Teil des Fünf-Uhr-Clubs. Einem Club ohne offizielle Mitgliedschaft, dem prominente Anhänger wie Apple-CEO Tim Cook oder die ehemalige First Lady Michelle Obama seine Exklusivität verleihen.
Zur Perfektion vermarktet wurde der Club vor mehr als 25 Jahren von Robin Sharma. Einem Personal Coach, der Microsoft, IBM und Nike zu seinen Kunden zählt und diesem Lifestyle-Trend 2018 sogar ein Buch (ein weltweiter Bestseller) widmete.
Darin stellt er große Versprechungen an: So soll das frühe Aufstehen „eine revolutionäre und heldenhafte Transformation der Kreativität, Produktivität und des Wohlergehens“ bewirken.
In mir persönlich bewirkt die Idee höchstens großes Entsetzen. Ist der tägliche Weckruf um sieben Uhr schon reinste Folter und ein Tag, der vor Mitternacht sein Ende findet, ein vergeudetes Potenzial.
Noch in diesem Artikel:
- KURIER-Redakteurin Jennifer Corazza testet zwei Arbeitswochen lang den Fünf-Uhr-Club mit überraschendem Ergebnis
- Video-Tagebuch des Fünf-Uhr-Clubs
- Expertenbewertung von Schlafexperte Bruno Pramsohler
- Weitere KURIER-Redakteure, die ebenfalls Teil des Fünf-Uhr-Clubs sind
Aber damit ist jetzt Schluss: Für zwei Arbeitswochen tausche ich die kauzige Nachteule gegen die hoch motivierte Lerche. Denn dem Club beitreten kann jeder, heißt es. Ob man damit auch gut leben kann, ist die andere Frage.
Tag 1: 5.00 Uhr
Das erste Aufstehen klappt besser als erwartet
Tag 1: 17.00 Uhr
Der erste Einbruch folgt am Nachmittag
Tag 3: 5.45 Uhr
An die morgendlichen Yoga-Sessions gewöhne ich - und mein Hund - mich langsam
Tag 5: 5.20 Uhr
Meine Morgen-Routine wird immer stärker
Tag 6: 7.15 Uhr
Auch am Wochenende bleibe ich aktiv
Tag 9: 13.30 Uhr
Tag neun hat die Müdigkeit in sich. Konzentration fällt schwer
Tag 12: 7.30 Uhr
Den letzten Tag zelebriere ich mit einer Sporteinheit
Herzlich Willkommen im Fünf-Uhr-Club
Die Vorbereitung: Vor dem Abschluss einer jeden Mitgliedschaft sollte man das Kleingedruckte lesen – in meinem Fall Robin Sharmas Fünf-Uhr-Club, der schon auf den ersten Seiten Überzeugungsarbeit leistet.
„Gestalte deinen Morgen und in deinem Leben wird alles möglich“, ruft es mir entgegen und präsentiert sogleich ein verwertbares Konzept. Meine Morgenroutine sollte auf körperlicher Aktivität, Weiterbildung und Planen basieren.
Mindestens 20 Minuten pro Einheit braucht es – insofern würde es auch genügen, den Wecker nur eine Stunde früher als gewohnt zu stellen. Da aber sechs Uhr keine große Kunst ist, verzichte ich auf dieses Schlupfloch und stelle den Alarm auf fünf Uhr.
Tag 1: Los geht's
Der Schlaf war unruhig. Als der Wecker läutet, habe ich das Gefühl, ohnehin schon wach zu sein. Das Aufstehen fällt nicht schwer, der Körper ist damit beschäftigt, mein ungewohntes Verhalten zu verarbeiten.
Ich starte mit dem geringsten Übel: dem Tagebuch-Schreiben, gefolgt von einer kurzen Yoga-Einheit. Danach geistere ich durch die dunkle Wohnung, mache mir Tee, überlege, was ich als Nächstes tun könnte.
Eins ist klar: Meine Routine muss stärker werden. Ich habe das Gefühl, mich auf dem Flughafen zu befinden und auf das Boarding zu warten. Zeit, die man lieber zu Hause verbringen würde oder in meinem Fall: schlafend im Bett.
Ich fange früher zu arbeiten an. Die Konzentrationsfähigkeit soll laut wissenschaftlichen Erkenntnissen zwischen fünf und acht Uhr am höchsten sein. „Das stimmt. Aber nur, wenn man eine Lerche ist“, erklärt mir Schlafexperte Bruno Pramsohler.
Ob ich meinen Biorhythmus austricksen kann, frage ich ihn und bekomme eine Absage: „Diese extremen Chronotypen sind genetisch bestimmt“, sagt der Mediziner. „Ein bisschen gelingt es, aber nur bedingt, laut dem jetzigen Forschungsstand.“
Der restliche Arbeitstag ist anstrengend. Bei Dienstschluss bin ich schon über zwölf Stunden wach. Heute muss ich mehr Schlaf bekommen, nehme ich mir vor. Und setze mich unter Druck.
JOB Testet: 5 Uhr Club
Tag 2: Der Katastrophentag
Bis um halb zwei liege ich wach. Um fünf klingelt der Wecker. Ein Albtraum, den ich im Wachzustand erleben muss. Es wird mein Durchbruch sein. Denn an diesem Tag falle ich um 21.30 Uhr ins Bett.
Tag 3: Die Routine sitzt
Ab diesem Tag sitzt die Routine. Der Tag startet mit Tagebuch-Schreiben und Zeitung lesen, gefolgt von einer aktiven Sporteinheit. Damit treibe ich meinen Adrenalinspiegel hoch und bleibe den ganzen Tag über energetisiert.
Nie hätte ich gedacht, Gefallen an diesem Club zu finden. Oder an den Komplimenten, die ich für meine Willenskraft erhalte. Ob ich jetzt zu einem besseren Ich wurde, frage ich mich und suche Antworten bei der österreichischen Philosophin Isolde Charim.
Und muss erkennen, dass ich einfach nur dem Narzissmus verfallen bin. Denn dieser bezeichnet laut Charim keine unangemessene Selbstliebe, sondern das Streben nach einem persönlichen Ideal. Das Über-Sich-Hinausgehen, das im Applaus der anderen gipfelt.
Im Fünf-Uhr-Club sind noch weitere KURIER-Mitarbeiter
Roxanna Schmit, KURIER-Redakteurin: Im Club seit 9 Jahren
Roxanna Schmit ist Langschläferin im Körper einer Kurzschläferin. Unter der Woche kommt sie vor Mitternacht nicht ins Bett. Der Wecker klingelt aber verlässlich um fünf Uhr. Warum? Weil allein das Duschen ein „richtiger Prozess“ ist, sagt sie. Haarmasken, Öle, Pflege-Routine. Hinzu kommt die tägliche Yoga- und Cardio-Einheit. Um 6.30 Uhr dann ein Telefonat mit der besten Freundin. Die ist auch im Fünf-Uhr-Club und gemeinsam leidet es sich schlichtweg leichter.
Im Fünf-Uhr-Club sind noch weitere KURIER-Mitarbeiter
Kevin Kada, KURIER Newsdesk-Leitung: Im Club seit 2 Jahren
Um 5.30 Uhr startet der Arbeitstag von Newsdesk-Leiter Kevin Kada. Allerdings nur ein- bis zweimal die Woche. Dennoch hat er seinen Biorhythmus komplett umgestellt: Steht an sieben Tagen die Woche (bis auf seltene Ausnahmefälle) um fünf Uhr auf. Ja, auch am Wochenende. Warum? Weil er in der Früh produktiver und „generell aufnahmefähiger ist“, sagt er. Vielleicht auch weil es in seiner Genetik liegt: schon der Vater und die Mutter waren Frühaufsteher. Und die Ehefrau ist es auch.
Im Fünf-Uhr-Club sind noch weitere KURIER-Mitarbeiter
Rebecca Chromy, k-digital Content Marketing: Im Club seit 1 Jahr
„Im Winter bin ich weniger konsequent“, gibt Rebecca Chromy zu. Dennoch ist sie seit einem Jahr Teil des Fünf-Uhr-Clubs. Warum? Weil ihre Routine an vorderster Stelle steht. Für die verzichtet sie auch freiwillig auf soziale Kontakte. Stattdessen nimmt sie sich am Morgen Zeit für zwei Frühstücke, geht mit ihrem Hund Archie spazieren und täglich 60 Minuten joggen. Der Arbeitstag startet dennoch frühestens um halb zehn. Auch wenn sie produktiv ist – Stress will sie keinen um die Uhrzeit.
Tag 5: Die asoziale Komponente des Clubs
Die Ich-Bezogenheit macht mir zu schaffen. Mir fehlen die Sozialkontakte, denn abendliche Treffen sucht man im Fünf-Uhr-Club vergebens. Dennoch freue ich mich auf die zweite Woche. Sogar am Wochenende stelle ich den Wecker, um in der Routine zu bleiben. Und weil es süchtig macht.
Tag 8: Die letzten Meter zum Finale
Die zweite Woche beginnt und verläuft problemlos. Am Dienstag überlege ich zu snoozen, also nach dem ersten Läuten des Weckers zu schlummern. Aber wer nachdenkt, bleibt liegen.
Außerdem ist der Wechsel zwischen Wach- und Schlafzustand schädlich für die Gesundheit, hat mir Bruno Pramsohler erklärt. Also ziehe ich es durch. Bis zum Finaltag, den ich mit einer Sporteinheit im Fitnesscenter eröffne.
Sehen werden mich die Mitarbeiter dort um diese Uhrzeit in Zukunft nicht mehr. Nicht, weil mir der Fünf-Uhr-Club nicht gefallen hat, aber weil man eine „Eule nicht zu einer Lerche machen kann“, so Pramsohler. „Alle Körperzellen ticken nach der inneren Uhr“, erklärt der Schlafexperte. „Kämpft man ständig gegen diesen inneren Rhythmus an, schadet man der Gesundheit. “
Ob ich den Fünf-Uhr-Club vielleicht tageweise weiterführen kann, frage ich den Mediziner und bekomme auch hier eine Absage. Um Schlafstörungen zu vermeiden, sei das Wichtigste, im Takt zu bleiben. Und in diesen finde ich jetzt wieder zurück. Schlafen um Mitternacht, aufstehen um sieben. Zumindest werktags. Gefallen hat es mir trotzdem. Und es stimmt: Beitreten kann jeder, langfristig dabei bleiben, aber nicht.
- Was es war: Eine Möglichkeit, sich selbst und den Tag durch frühes Aufstehen zu optimieren.
- Wie es war: Die ersten Tage durchaus anstrengend, aber dann hoch motivierend. Teil dieses Clubs zu sein, fühlte sich gut an, ich verspürte mehr Energie im Alltag als sonst (vielleicht dem täglichen Sport geschuldet), aber auch mehr Druck, dem Zeitplan zu entsprechen.
- Was es bringt: Für Menschen, die abends ungern produktiv sind, ist der Club eine absolute Empfehlung. Für jene, die aufgrund ihres Biorhythmus eher Nacht-aktiv sind, ist es ein spannendes Selbstexperiment, solange es zeitlich begrenzt ist. Denn Schlafexperten raten, auf den genetisch bedingten Biorhythmus zu hören.
Gesamtbewertung: Daumen hoch
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