Warum Solo-Selbstständige von der Krise besonders hart getroffen sind
Erwerbsarbeit bedeutet Sicherheit. Mit ihr verdienen Menschen Geld, bezahlen ihren Lebensunterhalt und führen über sie Beitragszahlungen für Gesundheits-, Arbeitslosen- und Pensionsversicherungen ab. Ein Sicherheitsnetz, das besonders in der Krise viele in Österreich lebende Menschen aufgefangen hat. Allerdings nicht immer im selben Ausmaß.
Von allen Erwerbstätigen wurden besonders Selbstständige hart von der Pandemie getroffen – das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung spricht gar von einer „Krise der Selbstständigen“. Auch die Statistik Austria erfasste im vierten Quartal 2020 um 22.500 ( - 4,6 Prozent) weniger selbstständig Beschäftigte als noch im Vergleich zum Vorjahresquartal.
Heterogene Gruppe
Von der Krise getroffen wurden insbesondere Solo-Selbstständige, freie Dienstnehmer und geringfügig Arbeitende – und hier wiederum wieder vor allem Frauen, Junge, Menschen mit niedriger formalen Bildung oder Migrationsbiografie. „Menschen, die aufgrund ihrer unsicheren, unregelmäßigen und niedrigen Einkommen sowie schlechten sozialen Absicherung ohnehin zu einer benachteiligten Gruppe am Arbeitsmarkt gehören“, erklärt Arbeitsmarktexpertin Veronika Bohrn Mena.
Selbstständige sind, wenn man die Vielfalt ihrer Ausprägungen betrachtet, ein bunter Strauß auf dem Arbeitsmarkt. Er besteht u. a. aus LandwirtInnen, Ein-Personen-Unternehmen (EPU), FreiberuflerInnen, 24-Stunden-BetreuerInnen, ZustellerInnen, Kreativen, Kulturschaffenden oder sogenannten Gig-Workern, die ihre Jobs über Onlineplattformen abwickeln.
Keine Interessensvertretung
Sie alle sind selbstständig, aber nicht miteinander vergleichbar. Bohrn Mena: „Es ist eine heterogene Gruppe ohne Interessensvertretung. Dass es mitunter keine treffsicheren Corona-Hilfsgelder gab, hängt auch damit zusammen.“ Umsatzersatz, Härtefallfonds, Zuschüsse – viele der Instrumente seien an der Realität von Solo-Selbstständigen „vorbeigeregelt“ worden, kommentierte die Unternehmensberaterin Sonja Lauterbach in mehreren Medienberichten. Lauterbach gründete im Zuge der Krise die bisher einzige öffentlichkeitswirksame Interessensvertretung für heimische EPU in Form einer Facebook-Gruppe.
Diese unstrukturierte Vielfalt an selbstständigen Arbeitsformen durchkämmten die Soziologin Johanna Hofbauer von der Wirtschaftsuni Wien und Judith Derndorfer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Verteilungsfragen in einer Studie, die am Donnerstag präsentiert wurde. Ihr Untersuchungsgegenstand ist vielschichtig.
Atypische Beschäftigung
„Darunter fallen verschiedene Vertragsverhältnisse: Teilzeit, geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit, freie Dienstverträge, Solo- und Scheinselbstständigkeit“, zählt Hofbauer auf. Die sogenannten „atypisch Beschäftigten“ hätten wenig mit klassisch gewinnorientierten, unternehmerisch denkenden Selbstständigen zu tun, so die Expertin.
„Es sind Menschen, die so eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Lebensinteressen suchen, darunter viele Frauen. Es sind Jüngere, die keinen Nine-to-five-Job haben, ortsungebunden und flexibel arbeiten möchten, aber auch jene, die gezwungen sind, selbstständig zu arbeiten, da der Arbeitsmarkt keine andere Anstellungsmöglichkeit gibt, vieles nur mehr auf Honorarbasis und über freie Dienstverträge möglich ist.“
Datenlücken
Wie viele von den rund 471.000 selbstständig arbeitenden Menschen in Österreich in dieses neue Phänomen fallen, können die Forscherinnen allerdings nicht quantifizieren. Sie stoßen auf gravierende Datenlücken. „Herkömmliche Methoden wie die Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria können atypische Beschäftigung nicht erfassen, sie bleibt vielfach im Dunkeln“, so Derndorfer.
Einer der vielen Gründe: Im Mikrozensus würden lediglich Erst- und Zweitbeschäftigungen abgefragt. „Wer auf Werkvertragsbasis arbeitet, oder viele kleinere, über Plattformen vermittelte Jobs annimmt, weist jedoch mehrere Beschäftigungen auf.“ Zudem bezieht sich die Erhebung der Statistik Austria auf eine „Referenzwoche“, die ebenfalls nicht der Arbeitsrealtität von Selbstständigen gereicht wird.
Homeoffice, Zeitdruck, lange Arbeitswochen
Tätigkeiten sind oft unregelmäßig verteilt, eine Referenzwoche ist daher zu kurz. Da viele Solo-Selbstständige nicht versichert sind, fallen sie auch aus der Arbeitslosenstatistik. Wie viele Menschen in Österreich atypisch arbeiten, lässt sich zwar schwer erfassen, „doch wir finden Hinweise anhand einiger Merkmale in den Daten der Statistik Austria“, so Derndorfer.
Die Arbeit im Homeoffice und in Coworking-Spaces, Zweitbeschäftigungen, entgrenzte Arbeitszeiten mit Sechs- bis Sieben-Tages-Wochen unter hohem Zeitdruck seien Indizien für atypisch Erwerbstätige.
Krise verschärft atypische Beschäftigung
Auch gibt es Spuren von Scheinselbstständigkeit: So geben im Mikrozensus (mit rund 22.500 teilnehmenden Haushalten) zwölf Prozent der Selbstständigen an, fix vorgegebene Arbeitszeiten zu haben. Neun Prozent können Tätigkeiten und Inhalte nicht selbst bestimmen, was auf Abhängigkeiten deutet.
„Die Krise hat die prekäre Lebenssituation vieler Selbstständiger in Österreich verdeutlicht. Für bessere soziale Absicherungen braucht es mehr Daten über Höhe und Regelmäßigkeit der Einkommen und die Arbeitsorganisation neuer Selbstständiger“, fasst Derndorfer zusammen.
„Außerdem benötigt es flexiblere Beitragszahlungen für Arbeitslosenversicherungen, die bisher von Selbstständigen kaum in Anspruch genommen wird“, ergänzt Bohrn Mena. „Die Arbeitswelt hat sich gewandelt, die Arbeitsmarktpolitik ist bisher nicht mitgegangen.“
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