In guten wie in schlechten Zeiten: Wie Unternehmen Mitarbeiter binden
Susanne Unteregger fällt sofort auf, wenn sie einen Raum betritt. Rote Haare, Lederjacke und ein fester Händedruck zur Begrüßung. Nichts an ihrem Auftreten deutet darauf hin, dass sie den ganzen Tag in ihrem Büro hinter dem Computer verbringt. Doch ihre Leidenschaft sind die Zahlen.
Sie ist Buchhalterin und Controllerin – und seit 33 Jahren im selben Betrieb tätig: „Ich bin ein Gewohnheitstier, ich mag das Vertraute“, sagt die 58-Jährige augenzwinkernd. Ihr Arbeitgeber ist Fischer’s Harley-Davidson in Wien, zu dem ein Motorrad-Shop, eine Werkstätte und ein Restaurant gehören. Dabei hat sie selbst mit Motorrädern überhaupt nichts am Hut. Ihre Welt ist die der Buchhaltung, und die kann man in jedem Betrieb ausüben: „Ich muss mich nicht unbedingt mit dem Produkt identifizieren“, erklärt Unteregger.
Flexibilität
Für sie zählen andere Werte. Die Flexibilität, die sich viele wünschen, hat ihr Arbeitgeber ihr von Anfang an ermöglicht. Mit zwei kleinen Kindern war das aber auch eine Voraussetzung, um überhaupt im Berufsleben bleiben zu können: „Ich konnte mir die Zeit einteilen, wie ich wollte. Mein Chef hat immer gesagt: ’Die Arbeit muss erledigt sein, wann du das machst, ist dir überlassen’“, erzählt Unteregger.
Verständnis
Das Verständnis ihres Chefs, Johannes Fischer, rührt vielleicht auch daher, dass er selbst Vater ist. In dieser Rolle hat ihn Unteregger kennengelernt: „Der Sohn meines Chefs ist im selben Alter wie mein eigener. Die beiden haben miteinander im Sandkasten gespielt.“ So kam es, dass sich Unteregger anfangs sogar mit ihrem Chef beim Abholen der Kinder abgewechselt hat.
Mittlerweile sind die Söhne 35, Fischers Sohn soll den Betrieb im kommenden Jahr übernehmen. Susanne Unteregger geht in zwei Jahren in Pension. Ob sie je das Gefühl hatte, etwas zu verpassen? „Nein, ich bin ein freiheitsliebender Mensch. Und diese Freiheit hatte ich hier von Anfang an. Es wurden nie Stunden aufgeschrieben, mir wurde vertraut. Und das ist für mich viel wert.“
Vertrauen
Vertrauen ist ein Thema, das in Arbeitsbeziehungen genau so wichtig ist wie in romantischen , weiß Alfred Pritz, Psychoanalytiker und Rektor der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien. Dies entstehe vor allem durch Kommunikation.
Pritz selbst erinnert sich an eine positive Erfahrung, die er bei seinem ersten Arbeitgeber gemacht hat: „Ich habe meinem Chef gesagt, dass ich gerne nach Amerika möchte, um mir anzuschauen, wie es dort abläuft. Mein damaliger Chef hat gesagt: ’Gute Idee, fahr nach Amerika, und komm dann wieder.’ Das habe ich gemacht. Sie haben mir meine Sozialversicherungsbeiträge weitergezahlt, obwohl sie das nicht hätten müssen. Sie haben mich positiv an sich gebunden. Ich bin gerne zurückgekommen und habe meine Erfahrungen, die ich dort gemacht habe, eingebracht.“
Unternehmen profitieren
Es ist also eine Win-win-Situation: Wenn Unternehmen auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen und ihnen Möglichkeiten der Weiterentwicklung anbieten, binden sie die Mitarbeiter nicht nur langfristig, sondern profitieren auch von ihren Fähigkeiten.
Das sieht auch Renate Bacher so, sie arbeitet seit 25 Jahren bei CPB Software, einem Unternehmen für IT-Lösungen für Banken, Finanzdienstleister und Behörden. Sie findet Aufstiegschancen und Weiterbildung essenziell, um lange in einer Firma zu bleiben: „Es ist schade, wenn ein beruflicher Aufstieg nur durch einen Unternehmenswechsel möglich ist. Dem Unternehmen gehen oftmals viel Know-how und wertvolle Talente verloren, in die man vorher viel Geld investiert hat.“
Apropos Geld: Es rentiert sich für Unternehmen, in die Mitarbeiterbindung zu investieren – denn Fluktuation ist teuer. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Deloitte liegen die durchschnittlichen Fluktuationskosten bei rund 14.900 Euro pro Stelle. Natürlich variieren die Kosten je nach Unternehmensgröße und Position, beträchtlich sind sie aber in jedem Fall.
Kommunikation
Neben einer gut funktionierenden Kommunikation sieht der Psychoanalytiker Alfred Pritz einen weiteren wesentlichen Faktor, um lange in einem Unternehmen zu bleiben, im Zugehörigkeitsgefühl.
Er bringt ein aktuelles Beispiel: „Wir können das derzeit in der Ukraine beobachten. Wie sich plötzlich alle, die dort leben, ob Ukrainer oder Russen, als Ukrainer fühlen. Weil sie von außen bedroht werden. Bei Unternehmen ist das genauso: Wenn sie von außen bedroht werden, zum Beispiel durch wirtschaftliche Krisen, bekommen sie ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Das Wir-Gefühl ist etwas ganz wesentliches.“
Persönliche Assistentin
Stefanie Bug ist 34 Jahre alt und arbeitet seit elf Jahren bei der WAG Assistenzgenossenschaft. Als persönliche Assistentin hilft sie Menschen mit Behinderung im Beruf, im Alltag und in der Freizeit. Sie fühlt sich ihrem Arbeitgeber zugehörig: „Ich bin stolz, für eine Firma tätig zu sein, die so eine wertvolle Dienstleistung anbietet, und das mit viel Engagement.“
Zusätzlich bietet ihre Firma regelmäßige Schulungen und Mitarbeitertreffen an , erzählt die 34-Jährige, „dadurch fühlt man sich gut aufgehoben.“ Das wichtigste ist ihr aber die Wertschätzung, „denn nur wer sich als Arbeitnehmer wahrgenommen fühlt, wird auch den Arbeitgeber wertschätzen.“ Bleiben Mitarbeiter lange im Unternehmen, machen sie nicht selten mehrere Umgestaltungen und Modernisierungen mit, und kommen auch mit jüngeren Kollegen zusammen.
Alfred Pritz: „Die Kunst ist es, sie in alle Prozesse miteinzubeziehen, sie aber gleichzeitig nicht zu überfordern.“ Im besten Fall lernen junge und ältere Mitarbeitende voneinander.Bei den ÖBB setzt man bereits auf diese Art von Generationenaustausch. Im Rahmen eines Vernetzungstreffens konnten sich junge Angestellte und Lehrlinge mit älteren Mitarbeitenden ausgetauscht.
Job KURIER ÖBB
Mit dabei war auch Christian Jagersberger. Er ist seit 40 Jahren bei den ÖBB als Zugbegleiter tätig. Als er in den 1980ern bei den Bundesbahnen begonnen hat, waren Computer eine Seltenheit.
Interesse an Technik
An die Veränderungen, die die Digitalisierung in seinem Beruf mit sich brachte, konnte er sich dank seiner Technikaffinität gut anpassen: „Wenn man sich dafür interessiert, funktioniert das.“ Dass er dem Unternehmen schon so lange treu geblieben ist, liege vor allem am guten Betriebsklima, erzählt Jagersberger.
Und auch die Entwicklung des Unternehmens selbst sieht er durchwegs positiv. Besonders, „dass Frauen heutzutage viel mehr Berufsmöglichkeiten haben. Und, dass es generell mehr Möglichkeiten für die Weiterentwicklung im Unternehmen gibt.“
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