Der Störungsauftrag von Führung
In den 90er-Jahren dachte Reinhard K. Sprenger bei sich: "Ich will den Dingen auf den Grund gehen." Er schmiss den Managerjob, er macht sich selbstständig, wurde Autor und Unternehmensberater.
Heute lebt der Deutsche in Zürich. Sein neues Buch "Radikal führen" ist vor Kurzem erschienen. Reinhard K. Sprenger über erfolgreiche Führung – denn gute gibt es nicht.
KURIER: Was ist an Ihrem Buch radikal?
Reinhard K. Sprenger: (lacht) Erstens spiele ich mit dem lateinischen Wort Radix, die Wurzel. Ich beschäftige mich mit den fundamentalen Fragen, die Führung beantworten soll. Und ich bin insofern radikal, dass ich im letzten Teil des Buches das Buch wieder durchstreiche.
Was sind nun die Aufgaben einer Führungskraft?
Ein Aspekt von Führung ist, Zusammenarbeit zu organisieren, die sich von alleine nicht ergibt. Der institutionelle Rahmen ist aber häufig so gebaut, dass nicht Zusammenarbeit unterstützt wird, sondern die Addition von Einzelleistung.
Zusammenarbeit ergibt sich nie von selbst?
Wenn eine Gruppe ein gemeinsames Problem zu lösen hat – dieses Problem muss möglichst marktdefiniert sein, also vom Kunden kommen –, dann ergibt sich Zusammenarbeit automatisch. Die Frage ist: Wie organisiert man ein Unternehmen, das aufmerksam genug ist, sich am Kundenauftrag zu orientieren und nicht an dem, was strukturell von der Vergangenheit vordefiniert ist?
Dazu braucht es eine gute Führungskraft.
Ich glaube, es gibt erfolgreiche Führung und nicht erfolgreiche Führung. Wenn man anerkennt, dass es die Zentralaufgabe von Führung ist, einen Beitrag zum Überleben der Organisation zu leisten, kann man sagen, ob man erfolgreich oder weniger erfolgreich ist. Wann Führung gut ist, in einem normativen moralisch aufgeladenen Sinn – da hab’ ich Zweifel.
Die zweite Kernaufgabe von Führung ist laut Buch die Senkung von Transaktionskosten. Haben sie wirklich eine so große Bedeutung?
Es ist kein Bewusstsein dafür da, welche Transaktionskosten mit einem banalen Meeting erzeugt werden. Wir bauen jeden Tag interne Märkte auf – meistens mit hervorragenden Absichten, wie 360 Grad Feedback und Mitarbeiterbefragung – für die uns der Kunde keinen einzigen Euro auf den Tisch legt.
Wie entscheidet man Konflikte?
Der eine sagt rechts herum, der andere links herum und beide haben gute Argumente – das Unternehmen droht in die Paralyse zu kippen. Irgendeine Institution muss jetzt sagen rechts rum. Irgendeiner muss entscheiden. Auf dem Schreibtisch des amerikanischen Präsidenten steht ein kleines Granittäfelchen. Auf dem steht: The buck stops here – übersetzt heißt das: Bis hier kann man den schwarzen Peter schieben, jetzt muss entschieden werden. Wir glauben immer, es gibt eine richtige und eine falsche Entscheidung. Das ist Unfug.
Aber Entscheidungen müssen auf irgendetwas basieren.
Man wird zunächst rechnen. Der ehemalige VW-Vorstand Carl Hahn hat einmal gesagt: "Wenn ich etwas nicht will, lasse ich es rechnen." Ich glaube, es ist immer eine Mischung aus Daten und Bauchgefühl. Werte sollten wir möglichst nicht entscheiden, sondern offen lassen.
In Zeiten der Wertedebatte und Leitlinien ist das radikal.
Bivalentes Schwanken ist viel realistischer. Wenn man für Transparenz ist, kann man trotzdem für Verschwiegenheit sein. Sind Sie für Wettbewerb? Und für Kooperation? Stabilität ist genauso wichtig wie Wandel.
Eine Führungsperson hat auch einen Störungsauftrag?
Ja. Was mache ich, um das Unternehmen nervös und hungrig zu halten? Das ist der Störungsauftrag von Führung. Dafür werde ich als Führungskraft nicht geliebt. Aber vielleicht wird es anerkannt, wenn sie sehen, dass es eine Investition in die gemeinsame Zukunft ist. Dann sind sie dabei.
Woher kriege ich nun eine "gute" Führungsperson?
Im 20. Lebensjahr sind die mentalen Fähigkeiten vorhanden, um die Aufgaben zu erfüllen. Da werden viele skeptisch, weil sie große Hoffnung in Richtung Personalentwicklung haben. Gute Personalentwicklung habe ich nur, wenn die Auswahlverfahren gut gelaufen sind. Es gibt die Führungskraft, aber wie schaffe ich, dass sie zu mir kommt? Es geht um die Qualität des Bewerberpools und die ist abhängig vom Image des Unternehmens.
Was halten Sie von Employer Branding?
Menschen kommen in Unternehmen, aber sie verlassen Vorgesetzte. Ich kann noch so viel in Employer Branding investieren – wenn ich keine Führungskräfte habe, die in der Lage sind, soziale, emotionale Beziehungen aufzubauen und zu halten, kann ich das Geld direkt verbrennen.
Sie schreiben auch: Finde die richtigen Mitarbeiter. Wie finde ich sie?
Es sind die, die zu mir passen, und nicht die besten. Außerdem: Fordere sie heraus. Und kommuniziere. Zahle sie gut und fair. Vertraue ihnen. Und das Wichtigste: Geh ihnen aus dem Weg.
Zur Person: Reinhard K. Sprenger
Reinhard Sprenger wurde in Essen geboren. Er studierte Philosophie, Psychologie, Betriebswirtschaft, Geschichte und Sport. Zudem ist er Rockmusiker und Musikproduzent, hat Alben und mehrere Singles veröffentlicht. 1985 promoviert er zum Doktor der Philosophie und erhält den Carl-Diem-Preis für seine Dissertation.
Seit 1990 ist Sprenger als selbstständiger Unternehmensberater tätig und zählt heute zu den gefragtesten Experten für Managemententwicklung. Zu seinen Kunden gehören viele internationale Konzerne sowie nahezu alle Dax-100-Unternehmen. Das Buch "Radikal führen" ist kürzlich im campus Verlag erschienen.
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