Aufgeputscht: Was Kältekammer, Höhenluft und Vitamininfusionen bringen
Um privat und im Job Höchstleistungen zu erbringen, setzen manche auf experimentelle Methoden. Welche es gibt, was sie bringen und ab wann es gefährlich wird.
Der eine trinkt Kaffee, die andere setzt auf sportliche Verausgabung. Der eine übt sich zwischendurch in Entspannungsübungen, die andere kann nicht ohne Energy-Drinks. Die Methoden sind vielseitig und auch experimentell, um in einer Leistungsgesellschaft am Puls zu bleiben, um schnell wieder munter und einsatzbereit zu sein. Eines haben die Methoden gemein: Schnell müssen sie sein und hocheffektiv.
„Die große Überschrift der heutigen Arbeitswelt ist, dass alles schnelllebig ist“, sagt Anna Warga-Hosseini. Sie ist Arbeitspsychologin und wird oft zurate gezogen, wenn kreative Lösungen gefragt sind, um belastende Arbeitssituationen zu verbessern. „Derzeit suchen die Menschen verstärkt Wege zur schnellen Entspannung. Hier gibt es Möglichkeiten: Yin Yoga oder Atemtrainings“, so die Arbeitspsychologin.
Nachgeholfen wird in den Momenten der Erschöpfung. „Untertags geht es den Menschen ums Aufputschen, um Leistung zu erbringen. Wenn der Tag zu Ende ist, wollen sie schnell runterkommen, um noch etwas vom Feierabend zu haben“, erklärt sie. Ein Verwirrspiel, das dem Körper viel abverlangt.
"Ein Patentrezept, das allen hilft, gibt es nicht. Aber die Menschen wollen immer Neues ausprobieren – sie sind experimentierfreudig", sagt Anna Warga-Hosseini.
Dreimal die Woche gehe ich Eisbaden. Morgens oder gegen das Nachmittagstief. Zuerst hielt man mich für verrückt, heute sind die Plätze voll.
von Anna Krug, Mentaltrainerin
Sogar Betriebe sind für ihre Mitarbeiter regelmäßig auf der Suche nach effektiven Lösungen gegen die Überforderung, auch hier ist schnelle Abhilfe gefragt.
Hohe Arbeitsbelastung ist ein Fakt
Wie hoch die Belastung aktuell ist, zeigt der Arbeitsklima Index der Arbeiterkammer: Haben vor zehn Jahren nur 3,5 Prozent angegeben, sehr stark unter Arbeitsdruck zu stehen, sind es heute 8,5 Prozent. Auch die Anzahl jener, die einen sehr hohen Zeitstress empfinden, hat sich von 5,7 auf 11,1 Prozent fast verdoppelt. Und das, obwohl die geleisteten Arbeitsstunden laut Statistik Austria zurückgehen.
Wie das möglich ist, erklärt Arbeitsmarktökonom Jakob Sturn: „In den vergangenen acht Jahren ist die durchschnittliche Arbeitszeit um 50 Minuten pro Woche gesunken. Das sind lediglich zwei Prozent.“ Aber die Arbeitsbelastung habe zugenommen. Eine Arbeitszeitreduktion sei aus seiner Sicht überfällig, um dem hohen Druck entgegenzuwirken.
„Schauen wir in die Vergangenheit, haben wir die Arbeitszeit zum letzten Mal 1985, vor fast 40 Jahren, verkürzt. Mit dem technologischen Fortschritt sind wir aber um 70 Prozent produktiver als damals. Die Arbeitszeit ist jedoch dieselbe geblieben“, so der Ökonom.
Arbeitsverdichtung trifft auf Freizeitstress
Digitalisierung hat jedoch nicht nur auf die Produktivität Einfluss genommen, sondern auch auf die Bereitschaft, viel zu arbeiten. Arbeit verlagert sich vermehrt ins eigene Zuhause. Die Ruhephasen werden gestört, die Grenzen verschwimmen. „Je häufiger der Feierabend unterbrochen wird, desto weiter schiebt sich die Entspannung nach hinten und desto länger werden auch die Einschlafphasen“, erklärt Warga-Hosseini.
Ein Lauf vor der Arbeit gibt mir den absoluten Push und bringt die Endorphine in Wallung. Danach fühle ich mich wie neugeboren.
von Dominik Debriacher, Projektmanager
Zusätzlich würde man der Freizeit immer mehr Bedeutung zumessen, was zu einem weiteren zeitlichen Stressfaktor führt. „Es werden Lösungen gesucht, wie Stunden reduziert und weniger gearbeitet werden muss. Dafür ist die übrige Arbeitszeit durchgetaktet und verdichtet. Die Aufgabenlisten werden aber nicht kürzer, nur weil weniger Zeit gearbeitet wird.“ Um dem Leistungsanspruch auf allen Ebenen gerecht zu werden, lechze man nach Lösungen, um mehr leisten zu können. Doch was taugen diese schnellen Hilfen?
Aufputschen für die Arbeit
„Den Trend, sich für die Arbeit aufzuputschen, gibt es schon lange“, sagt IBG-Arbeitsmediziner Helmut Stadlbauer. Mit Methoden, die gesund, ungesund oder aus ärztlicher Sicht wirkungslos sind. Der Klassiker unter den Aufputschmitteln bleibt das Koffein, dessen (Neben-)Wirkungen bekannt sind.
Etwas kritischer beäugt er etwaige Zusatzpräparate wie Vitamine oder gar Infusionen mit Wirkstoffen wie Taurin. Dabei sei ein tatsächlicher Vitaminmangel in Mitteleuropa durchaus selten, weshalb es auch nicht viel bringen würde, hier nachzuhelfen.Dass sich belebende Wirkstoffe trotzdem größerer Beliebtheit erfreuen, rechnet er der Placebo-Wirkung zu.
Es ist generell so, dass der Placeboeffekt bei der Verabreichung von Substanzen einen ganz wesentlichen Anteil bei der Wirkung hat. Es hängt auch sehr davon ab, wie man ein Medikament zuführt. Als Tablette ist der Placeboeffekt wesentlich geringer als in Form einer Spritze oder Infusion
von Mediziner Helmut Stadlbauer
Auch die Farbe spiele eine Rolle. „Rote Tabletten haben eine gefühlt höhere Wirkung als weiße. Eine rote Infusion wäre insofern das Nonplusultra“, scherzt Stadlbauer.
Was, wenn man zu weit geht?
Körperliche Signale mit Wirkstoffen oder anderen Energiespendern zu übertünchen, hält der Mediziner für keine gute Idee. „Erschöpfung nicht wahrnehmen zu wollen und dennoch volle Leistung zu erbringen, kann nicht die Lösung sein. Sind die Anforderungen besonders hoch, ist es immer eine Abwägung, was einem wichtiger ist: Leistung oder Gesundheit.“
Auch aus psychologischer Sicht, erklärt Anna Warga-Hosseini, sei es über lange Phasen gar nicht möglich, dieses Wechselspiel zwischen schneller Energie und rascher Entspannung nach der Arbeit aufrecht zu halten: „Deshalb greifen die Menschen auch auf ungesunde Gewohnheiten wie das Glas Wein am Abend.“
Schnell aber nicht von Dauer
Warum schnelle Methoden niemals langfristige ersetzen können, erklärt Warga-Hosseini: „Führt man ein Entspannungstraining richtig aus, dauert es ein paar Monate bis es gute Effekte erzielt. Daran scheitert es aber oft, weil die Menschen aufgeben und etwas suchen, das sofort wirkt. Deshalb gab es auch den CBD-Hype (Produkte aus Hanf), der jetzt wieder nachgelassen hat.“
In anstrengenden Phasen trinke ich statt zwei Espressi fünf pro Tag. Viele Gäste im Lokal sind auch eine Art Aufputschmittel.
von Earl Valencia, Gastronom
Wie lange es gut gehen kann, den eigenen Körper auszutricksen, ist personenabhängig. Stadlbauer: „Die Leute gehen immer bis zur Grenze und darüber hinaus. Es ist logisch, dass das irgendwann nicht mehr geht. Wenn man auf Kosten der Reserven lebt, sind sie irgendwann leer.“
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