Johannes Kopf: Die Leute sind da, wir haben Hunderttausend Beschäftigte mehr als vor der Pandemie. Und wir haben einen noch höheren Bedarf als vor der Pandemie. Was wir durch die Pandemie erlebt haben, war einzigartig: zuerst der massive Einbruch, dann die schnelle Erholung. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit hat uns völlig überrascht. Allein in der AMS-Job-App haben wir 150.000 offene Stellen. Insgesamt sind es mehr als 250.000. Und erstmals seit zehn Jahren sind weniger als 300.000 Menschen ohne Beschäftigung, davon 70.000 in Schulung, die sind also auch nicht verfügbar.
Und die beiden Seiten – offene Stellen und Arbeitslose – gehen nicht zusammen.
Kopf: Nein, das tut es oft nicht. Weil Leute etwas anderes suchen, weil sie kleine Kinder haben, weil sie nur Pflichtschule haben und aus diesen oder anderen Gründen für viele Jobs nicht geeignet sind.
Es passiert so viel gleichzeitig: Die Wirtschaft läuft auf Hochtouren, die Covid-Zeit hat aber zu Veränderungen bei den Mitarbeitern geführt.
Kocher: Viele Menschen haben gemerkt, dass sie nicht mehr unbedingt Vollzeit arbeiten müssen. Viele Junge wollen weniger arbeiten. Es gibt Verschiebungen: Mitarbeiter gehen aus den Branchen raus, die stark von Covid betroffen waren, etwa Pflege oder Gastronomie oder Flugverkehr, und in die Branchen, die weniger betroffen waren.
Und ausländische Arbeitskräfte fehlen.
Kopf: Österreich war als Wirtschaftsstandort verwöhnt. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt pro Jahr 50.000 zusätzliche Arbeitskräfte auf dem Markt gehabt. Aus dem Ausland, Ungarn, Tschechien, Rumänien, Kroaten, viele Deutsche, dann Geflüchtete. Und Österreicher, weil man etwa an den Pensionsschrauben gedreht hat, was mehr Menschen in Beschäftigung gehalten hat. Diese Anstiege hören auf.
Wir gehen in eine Phase, in der sich die Knappheit verfestigt, aufgrund der Demografie.
Kocher: Ja, weil die Jahrgänge, die auf den Arbeitsmarkt kommen, nur halb so groß sind wie jene, die in Pension gehen. Da kommt zwar eine Zuwanderung hinzu, aber insgesamt geht das Arbeitskräftepotenzial zurück.
Das wiederum wird das Wachstum reduzieren.
Kocher: Wir rechnen mit bis zu einem Prozent pro Jahr Wachstumsaussichten weniger bis zum Ende des Jahrzehnts. Allein deshalb. Das Thema ist also entscheidend: volkswirtschaftlich, gesellschaftlich und für jeden einzelnen Betrieb.
Wir haben diesen Arbeitskräftemangel kommen sehen. Haben jahrelang dafür geredet, dass wir darauf zusteuern. Tun konnte man wenig.
Kocher: Es ist immer leicht, im Nachhinein klug zu sein. Ich sage, man hat wenig tun können. Wir wären öffentlich für verrückt erklärt worden, hätten wir vor fünf Jahren oder in der Pandemie, als die Arbeitslosigkeit hoch war, gesagt, wir brauchen Zuwanderung. Es gibt Zeiten, wo man Dinge tun kann und Zeiten, wo man sie nicht tun kann.
Mit welchen Maßnahmen könnte nun Erleichterungen schaffen?
Kopf: Ganz klar mit flächendeckender Ganztageskinderbetreuung. Da ist wahnsinnig viel Potenzial an Arbeitskraft drinnen. Das kann man heben, wenn man will. Es ist aber nicht ganz trivial, weil wir ja am Föderalismus hängen.
Kocher: Wir brauchen beim Thema Teilzeit auch eine gesellschaftliche Diskussion. Es arbeiten mehr Frauen in Teilzeit, die keine Kinderbetreuungspflichten haben, als solche mit Kinderbetreuungspflichten. Es ist also ihre Wahl, Teilzeit zu arbeiten. Aber Kinderbetreuung ist eine große Notwendigkeit und ich werde alles tun, damit es wirklich die volle Wahlfreiheit für Eltern gibt.
Das Thema Teilzeit ist tatsächlich sehr akut. Und nicht mehr nur ein reines Frauenthema.
Kopf: Die Teilzeitarbeit war ursprünglich ein frauenpolitisches Anliegen, dann wurde es ein sozialpolitisches Thema in Bezug auf Pensionen und Frauenarmut – und jetzt ist es plötzlich ein ökonomisches Anliegen. Möglicherweise haben wir jetzt aber genügend Argumente, dass bei der Teilzeit und bei der Kinderbetreuung endlich etwas weiter geht. Und dass die Jungen Teilzeitjobs suchen, sehe ich auch als spannendes Phänomen. Es ist aber ein Luxusproblem und wird in der Bedeutung überschätzt. Die meisten können und wollen sich das nicht leisten.
Welche Maßnahmen sehen Sie noch?
Kocher: Mehr Qualifizierung für jene, die maximal Pflichtschulabschluss haben und Ältere länger gesund in Beschäftigung zu halten. Die Österreicherinnen und Österreicher fühlen sich Ende 50 alt und nicht mehr fit. Das muss sich ändern.
Sehen Sie bei der Lehre Veränderungsbedarf?
Kocher: Da versuchen wir, Modernisierungen vorzunehmen. Ein Projekt ist die duale Akademie, also die Lehre nach der Matura. Die Arbeitslosigkeit unter AMS-Absolventen ist die Zweithöchste nach jenen mit nur Pflichtschulabschluss. Zum anderen wollen wir die höhere, berufliche Bildung. Die Idee ist, auch im beruflichen Bereich mehr Abschlüsse zu ermöglichen. Die Lehre soll attraktiver werden. 40 Prozent eines Jahrgangs gehen übrigens in die Lehre, und dieser Wert ist seit 15 Jahren stabil.
Was kann man auf Unternehmensseite tun?
Kopf: Innerbetrieblich höher qualifizieren, mit dem AMS nach Lösungen suchen, weil wir haben ja noch 300.000 Menschen zum Vermitteln. Man muss miteinander entwickeln. Der Arbeitsmarkt ist ein Markt, ungewöhnlich, aber mit Angebot und Nachfrage. Und jetzt entscheiden die Bewerber, wohin sie wollen. Die Betriebe müssen tanzen und sich etwas überlegen. Zeigen, dass sie besser sind als andere, um Mitarbeiter anzuziehen.
Um attraktiv zu sein, ist für Bewerber auch das Sinnthema sehr wichtig geworden.
Kopf: Die Menschen suchen Sinn in ihrer Beschäftigung. Durch die Arbeitsteilung ist der Sinn für viele nicht mehr erkennbar. Das muss sich wieder ändern. Wir beim AMS oder auch das Rote Kreuz haben kein Mitarbeiterproblem. Weil bei uns der Sinn der Arbeit deutlich ablesbar ist.
Früher hätte ich gefragt, wo sehen Sie das Thema in fünf Jahren. Heute traue ich mich kaum ins nächste Jahr zu fragen...
Kopf: Wenn das Gas weiter fließt – wenn nicht, diskutieren wir etwas ganz anderes – hat es sich im Tourismus ein bisschen beruhigt, wir sind bei der Kinderbetreuung besser und freuen uns über eine Arbeitslosenquote, die mit drei beginnt.
Kocher: Die Lage, was die Knappheit betrifft, wird sich entspannen, weil die Konjunktur nicht mehr so stark sein wird. Das erste Quartal 2022 hatte ein Wachstum von 2,5 Prozent, das würde ein Wachstum von neun Prozent im Jahr bedeuten. Das ist eine unglaubliche Dynamik, die so nicht weitergehen wird.
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