AMS-Chef Kopf: "Wer heute Arbeitskräfte sucht, muss tanzen"
KURIER: 251.036 Menschen in Arbeitslosigkeit, 322.883 inkl. Schulungsteilnehmern: Die Arbeitslosenquote von 6,3 Prozent ist damit niedriger als 2019, dem Jahr vor der Pandemie. Ist das wirklich Grund für Optimismus? Es sind sehr viele Menschen in Arbeitslosigkeit.
Johannes Kopf: Da haben Sie recht. Jetzt kommen aber die Aber, es sind zwei. Corona hat uns im Höchststand fast 600.000 arbeitslose Menschen gebracht und 1,2 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Alle Prognosen sind davon ausgegangen, dass es mehrere Jahre brauchen werden, bis wir wieder Vor-Corona-Niveau erreichen. Das Wifo (Wirtschaftsforschungsinstitut, Anm.) hat im Mai 2021 davon gesprochen, dass es bis 2025 dauern wird, ich war mutiger und habe 2023 gesagt.
Es war schon im Herbst 2021 soweit.
Im September. Mit dieser Geschwindigkeit und dieser Stärke des Aufschwungs hat niemand gerechnet. Das kann man schon sehr positiv erwähnen. Und Minister Kocher hat sich zurecht vor Kurzem darüber gefreut, dass wir auch bei den langzeitarbeitslosen Menschen wieder Vorkrisenniveau erreicht haben. Denn auch im Aufschwung sinkt die Langzeitarbeitslosigkeit normalerweise sehr langsam. Das zweite Aber ist: Ein großer Teil der Arbeitslosigkeit heutzutage ist die friktionelle Arbeitslosigkeit (die Jobwechselarbeitslosigkeit, Anm.). Wir werden niemals die Arbeitslosenzahlen der 1970er Jahre erreichen, denn wir haben jetzt eine Million Beschäftigte mehr als damals und früher haben viele Personen in einer Firma gelernt und sind dort in Pension gegangen. Das gibt es heute nicht mehr. Das durchschnittliche Dienstverhältnis in Österreich dauert zwei Jahre.
Die Unternehmen haben Milliarden erhalten ...
Von uns neuneinhalb Milliarden Euro Kurzarbeit.
Sie haben neuneinhalb Milliarden Euro erhalten, um weiter zahlungsfähig zu bleiben, um Beschäftigte halten zu können, etc. Wie gesund ist unser Arbeitsmarkt also wirklich?
Ohne diese unglaublichen Stützungen durch den Staat hätten wir viele Konkurse gehabt, einen großen Anteil an verfestigter Arbeitslosigkeit und würden heute deutlich schlechter dastehen. Jetzt geht es dem Arbeitsmarkt gut. Die Arbeitslosenzahlen zeigen die tatsächliche Situation, mit Ausnahme von 50.000 Menschen in Kurzarbeit. Hier wäre wohl noch ein Anteil an zusätzlicher Arbeitslosigkeit da. Aber wir haben in vielen Bereichen einen massiven Arbeitskräftemangel. Deshalb meine ich, dass es gescheit wäre, rasch aus der Kurzarbeit rauszukommen.
In diesen volatilen Zeiten: Wie plant man? Was sind die Szenarien?
Niemand hat Corona vorausgesagt und auch niemand diese Geschwindigkeit der Erholung. Die Prognosen für 2022 waren sensationell und auch das zweite und dritte Quartal 2021 war – mir fehlt der Superlativ – fantastisch. Für heuer waren fünf Prozent Wachstum prognostiziert. Jetzt hat der Ukraine-Krieg begonnen, die hohe Inflation, die Verteuerung der Energiepreise, unglaubliche Preise im Baubereich und so weiter. Die Prognosen sind auf drei bis 3,5 Prozent zurückgenommen worden. Ehrlich: Das ist noch immer ein Wachstum, wie wir es vor 2021 lange nicht gesehen haben. Aber es bleibt auch die hohe Unsicherheit.
Was wären dann die Instrumente? Weitere Milliarden?
Wir haben seit 2021 die Situation, dass wir auf Arbeitskräftemangel und unglaubliche Nachfrage planen, aber in der Schublade immer einen Plan vorbereitet haben müssen, dass wieder etwas passiert. Ich will so sagen: Das Fördermodel der Kurzarbeit ist ein großzügiges. Eigentlich hätte man das schon, mit der Weisheit der Rückschau, früher zurückfahren müssen. Nur war eben immer unklar, ob nicht wieder was passiert. Während Covid hatte man den Eindruck, das Geld wurde abgeschafft. Doch in Zeiten des Wirtschaftswachstums ist das nicht argumentierbar. Bei drei Prozent Wirtschaftswachstum sollte ein Staat Überschüsse produzieren und nicht Defizite. Aber das sagend, weiß ich auch, dass möglicherweise wegen des Ukraine-Kriegs schon wieder wirtschaftlich Schlimmes droht.
Für Menschen aus der Ukraine wurden am Dienstag im Verwaltungsrat 20 Millionen Euro zusätzlich für Qualifikationsmaßnahmen beschlossen. Wie realistisch ist es, diese großteils Frauen schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren?
Es gibt Faktoren, die machen die Integration von ukrainischen Frauen leichter als die Integration etwa von Afghanen. Die uns nähere Kultur, das viel höhere Wachstum als 2015 und 2016, die besseren Ausbildungen. Es gibt aber auch Faktoren, die sind erschwerend. Da die Männer nicht hier sind, bleibt die gesamte Familienarbeit jedenfalls an den Frauen hängen. Wir haben viele offene Stellen, auch explizit für Ukrainerinnen, etwa im Tourismus. Aber viele Dienste sind hier an Abenden, an Wochenenden. Das wird es nicht spielen. Auch weiß niemand, wie lange dieser Krieg dauert, und wann sie wieder nachhause können. Aber es ist relevant, was die Menschen glauben. Wenn man glaubt, dass man in ein paar Monaten nachhause geht, beginnt man keine langfristige Ausbildung.
Wie viele aus der Ukraine Geflohene sind aktuell beschäftigt?
Mit Dienstag hatten wir 732 Beschäftigungsbewilligungen. Und 1.763 Menschen, die sich bei uns als arbeitssuchend gemeldet haben, davon 350 Männer, darunter viele Jugendliche. Ich gehe davon aus, dass gut die Hälfte der Geflohenen nicht in den Arbeitsmarkt eintreten wird, weil es viele Kinder sind, Ältere, viele Frauen mit ganz kleinen Kindern, einige haben genug Geld, um nicht sofort arbeiten zu müssen, andere arbeiten remote für ihren bisherigen Arbeitgeber.
In welchen Berufen arbeiten sie?
Ich nenne Ihnen die größeren: 58 Gartenmitarbeiterinnen, 34 Küchengehilfen, 30 Reinigungskräfte, 66 Landarbeiter. Viele davon haben wohl eine unterqualifizierte Beschäftigung aufgenommen, weil sie unsere Sprache noch nicht können.
Welche Lehren wurden aus 2015 gewonnen?
Wir haben viel gelernt. Damals war es noch aufregend einen Geflüchteten zu beschäftigen. Das ist es heute nicht mehr. Zehntausende sind erfolgreich vermittelt worden. Mehr als 50 Prozent der 2015 bis 2017 zum AMS gekommenen Geflüchteten sind in Beschäftigung, ein Viertel ist Out of Labour Force, weil sie zum Beispiel ein Baby bekommen haben und ein Viertel ist bei uns noch gemeldet.
Europa steht vor einem Green Deal – so die Hoffnung. Wie muss man Arbeitsmarktpolitik gestalten, um diesem Wandel gut zu begegnen?
Ich habe mich sehr gefreut, über die gemeinsame Pressekonferenz von Ministerin Gewessler, Minister Kocher und mir zur Umweltstiftung, wo wir 1.000 arbeitslose Menschen für grüne Jobs ausbilden. Ich glaube, dass die Verbindung von Klimaschutz und Arbeitsmarktpolitik aber generell noch zu wenig erkannt wird. Haben wir genug Fachkräfte, wenn wir all das tun, was notwendig ist, um die Erderwärmung zu stoppen?
Nein.
Nein. Die Erreichung der Klimaziele kann also nicht nur am politischen Willen scheitern oder an den Kosten, sondern auch an der Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Und: Veränderungen der Wirtschaft, durch die Menschen ihren Job verloren haben, hat es immer gegeben. Diese Veränderungen geschahen aber durch Innovation und die geänderte Nachfrage der Konsumenten. Aber jetzt soll sich auch etwas ändern durch Gesetzgebung. Weil die Politik etwas verbietet oder verteuern muss, werden Menschen Jobs verlieren. Politik ist bei Arbeitsplätzen erpressbar. Um Entscheidungen zu treffen, die unser Klima retten können, jedoch Arbeitsplatzverlust zur Folge haben, braucht man daher vorher die richtigen arbeitsmarktpolitischen Antworten.
Wie lauten diese?
Die Antwort kann nicht nur sein: Arbeitslosengeld. Es braucht Pakete für Branchen und Menschen, die besonders betroffen sind. Jeder muss sagen können: „Das halte ich gut aus, das ist vertretbar.“ Da muss die Arbeitsmarktpolitik in eine Vorleistung gehen, sonst fehlt der politische Mut und die parlamentarische Mehrheit.
Dann sollte man damit bald anfangen?
Die Umweltstiftung war ein erster Schritt. Nein, warten Sie. Meine Antwort ist: Ja, stimmt.
Immer wieder höre ich die Erzählung, dass die neue Generation auf dem Arbeitsmarkt, die Gen Z, hohe Ansprüche stellt. 2050 wird die Zahl der Erwerbstätigen aufgrund des demografischen Wandels um zehn Prozent sinken. Kann die Gen Z darauf zählen, immer Arbeit zu finden?
Die Kombination aus Demografie und diesem hohen Wirtschaftswachstum macht es gut ausgebildeten Jungen tatsächlich möglich, in der Wahrnehmung der Boomer unverschämt zu sein. Eigentlich ist es aber ein gutes Zeichen, wenn der Markt zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichberechtigter wird. Früher war es oft so, dass der einzelne Arbeitnehmer einem unglaublichen Wettbewerb unterlegen ist und tanzen musste, um den Job zu bekommen. Jetzt ist es eben umgekehrt, es müssen die mehr tanzen, die jemanden suchen. Wir haben unsere gesamte Unternehmensberatungspolitik geändert in Richtung Arbeitgeberattraktivität.
Was sind die Themen?
Wir beraten Firmen zum Beispiel beim Thema Onboarding. Oder, wie man in der Industrie Schichtdienste gestalten kann, damit man auch Teilzeit anbieten kann.
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