Jubel in Zypern: Rettungspaket abgelehnt
Es brauchte nur eine Sekunde, um aus Ärger Freude zu machen. Was vor der Abstimmung im Parlament in Nikosia noch eine Protestkundgebung war, wurde mit nur einer Nachricht zum Freudenfest: Dass die Abstimmung über den umstrittenen Plan von EU, Währungsfonds und Regierung, die Sparguthaben der Zyprioten anzugreifen, gescheitert war. Immerhin 36 Abgeordnete stimmten gegen die Abgabe, 19 enthielten sich. Selbst die Regierungspartei von Präsident Nikos Anastasiades enthielt sich, obwohl er der Zwangsabgabe zugestimmt hatte. Somit hob kein einziger im Parlament die Hand für die Zwangsabgabe. Das ursprüngliche Vorhaben, Einlagen unter 100.000 Euro mit einer einmaligen Steuer von 6,5 Prozent und über 100.000 Euro mit einer Steuer von 9,9 Prozent zu belegen, wurde zuletzt noch hektisch nachverhandelt. Doch auch die Abschwächung, Kleinsparer mit bis zu 20.000 Euro zu verschonen, konnte keine Zustimmung bringen.
"Ende der EU"
Russische, spanische, portugiesische und italienische Fahnen waren zu sehen. „Aus Solidarität mit den nächsten Opfern“, so eine Demonstrantin. Und selbst ein Polizist, der zur Sicherung einer Seitenstraße abgestellt worden war, sagte nach der parlamentarischen Absage: „Gott sei Dank, dass es vorbei ist – wenn es denn vorbei ist. Wer weiß, was denen noch einfällt.“ Sie, das sind nach einhelliger Ansicht auf den Straßen der Stadt die Deutschen. Oder ganz allgemein die großen Player in der EU. Demonstranten trugen Masken mit dem Gesicht der deutschen Kanzlerin Angela Merkel mit aufgemaltem Hitlerbärtchen. EU-Fahnen waren zu sehen, auf denen die Sterne der Union ein Hakenkreuz bildeten. Und eine Demonstrantin trug ein Transparent mit der Aufschrift: „Die EU gehört den Menschen, nicht den Banken.“ Eine andere trug ein Banner mit einem Kind, das den Mittelfinger zeigt mit dem Wort: „Nein.“ Sie sagt: „Wir wurden wie Kakerlaken behandelt.“
Etappensieg
Nowotny: Zypern "ein Sonderfall"
Dass nun auch andere EU-Länder auf die Idee kommen könnten, auf die Sparkonten ihrer Bürger zuzugreifen, glaubt der Gouverneur der Österreichischen Nationalbank nicht. Zypern sei aufgrund seines aufgeblähten Bankensektors tatsächlich ein Sonderfall, so Ewald Nowotny in der ZiB2. Nun müsse man in den Verhandlungen aber wieder bei Null anfangen.
Die Angst vor der großen Kapitalflucht bleibt weiterhin bestehen. Vor allem Russen und Ukrainer haben Milliarden auf zypriotischen Banken geparkt. Auch die Briten sind stark im Land vertreten: Neben Militärs leben auch Zehntausende Zivilisten auf Zypern. Um diese nun mit Bargeld zu versorgen, flog die britische Royal Airforce gestern noch eine Ladung von einer Million Euro in bar nach Zypern – als Notversorgung, falls die Bankomaten nicht mehr funktionieren. Zyperns Banken bleiben jedenfalls noch mindestens bis Mittwoch geschlossen. Danach wird ein Ansturm auf die Schalter befürchtet.
Für die EU-Finanzminister kam die Ablehnung des Rettungspakets durch das zypriotische Parlament Dienstag Abend nicht unvorbereitet: Bereits bei der Telefonkonferenz am Montag habe man über das weitere Vorgehen in diesem Fall beraten,heißt es. Szenarien seien besprochen, aber nicht beschlossen worden.
Der Tenor: Brüssel hat Zeit – aber kaum Spielraum. „Eines ist klar: Mehr als zehn Milliarden wird Zypern von Euro-Partnern und Internationalem Währungsfonds nicht bekommen“, sagt ein hochrangiger EU-Diplomat zum KURIER. „Die Regierung in Nikosia kann die Abgabe auf Einlagen verändern oder Alternativen vorschlagen – solange sich an der Gesamtsumme nichts ändert.“
Das weitere Vorgehen: Mittwoch oder Donnerstag dürfte der Wirtschafts- und Finanzausschuss tagen, der die Treffen der Eurogruppe vorbereitet. Luxemburgs Finanzminister Frieden forderte am Dienstag auch eine neuerliche Sondersitzung.
Eine weitere Runde mit Zyperns Regierung ist nicht ausgeschlossen – wenn es eine Position gibt, die das Parlament mitträgt. Den nächsten Anlauf, ein Hilfspaket zu schnüren, dürfte es nicht vor dem Wochenende geben – wenn Banken und Börsen geschlossen haben.
Während es aus der EU-Kommission am Dienstag Abend zunächst keinen Kommentar gab („Wir warten auf offizielle Infos aus Nikosia“), versuchte die Europäische Zentralbank zu beruhigen: Man werde Zypern weiter „im Rahmen der gültigen Regeln“ mit „Emergency Liquidity Assistance“ flüssig halten. Ohne Notfallshilfe wären die größten beiden Banken sofort zahlungsunfähig – ein Szenario, mit dem vergangenen Freitag Druck auf Zypern gemacht worden war.
Zypern ist eigentlich ein Zwergenstaat und der Finanzierungsbedarf von 18 Milliarden Euro im Vergleich zu den Rettungssummen für andere Euro-Staaten niedrig. Die 18 Milliarden Euro aber sind genau so hoch wie die gesamte Wirtschaftsleistung der Insel. „Damit ist Zypern der Worst Case in der gesamten Eurozone. Die Finanzierungslücke ist im Vergleich zur Wirtschaftsleistung viel höher als in Griechenland“, betonte Harald Waiglein, Direktor beim Euro-Rettungsschirm ESM und Sektionschef im Finanzministerium, bei einem Vortrag in Wien.
Würde der ESM für die Finanzierungslücke aufkommen, würde Zyperns Verschuldung enorm steigen. Das Land bliebe Jahrzehnte lang abhängig von der Finanzierung durch die Eurostaaten. „Daher war es logisch, dass aus Zypern selbst ein wesentlicher Teil der Finanzierung kommen muss. Nur so kann die Verschuldung reduziert werden“, sagte Waiglein. Sparguthaben seien der einzige noch im Land vorhandene Kapitalstock.
Von den Aktionären der zypriotischen Großbanken sei nichts mehr zu holen. Die zwei größten Institute – Bank of Cyprus und Laiki Bank – hätten kein Kapital mehr. Ihr Eigenkapital sei negativ. Auch von den Anleihe-Inhabern könne kein wesentlicher Beitrag erwartet werden. Ein Teil der Anleihen im Volumen von mehr als einer Milliarde Euro sei so wie das Aktienkapital bereits verloren.
Dass zunächst versucht wurde, alle Spareinlagen zu beschneiden, hat laut Waiglein die zypriotische Regierung selbst gewünscht. Werden Kleinsparer verschont, müsse von den Großsparern sehr viel mehr abgezogen werden. Diese hätten bisher das Bankensystem getragen.
Große Bankenkrisen sollen bald nicht mehr möglich sein. Das hat sich die EU vorgenommen. Die EU-Staaten und das Europäische Parlament haben sich auf die gemeinsame Bankenaufsicht für die Eurozone geeinigt. Die Europäische Zentralbank soll ab 2014 die 150 größten Banken des Euroraums überwachen.
Was die griechischen Zyprer im Süden der Hauptstadt Nikosia in Rage bringt, muss die Zyperntürken im Norden wenig kümmern. Durch Nikosia, der letzten geteilten Hauptstadt Europas, läuft eine von UN-Soldaten gesicherte Grenzlinie. Fast nur Touristen wechseln von einer Seite zur anderen.
Nur im Norden der Stadt und der gesamten Insel können die Menschen derzeit ihren Bankgeschäften normal nachgehen. „Die Menschen hier sind von den Maßnahmen der Euro-Gruppe nicht betroffen“, schildert Österreichs Botschafter in Nikosia, Karl Müller dem KURIER. Denn hier, in der außer von der Türkei von keinem Staat der Welt anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“, ticken die politischen und wirtschaftlichen Uhren anders.
Seit der Besetzung durch türkische Truppen vor 38 Jahren ist die Insel geteilt. Versuche, die ethnisch streng getrennten Teile zusammenzuführen, sind bisher stets gescheitert. Auch als die ganze Insel 2004 der EU beitrat, änderte dies wenig: EU-Normen und -Gesetze gelten im Norden nicht, wo weiter primär Ankara das sagen hat.
30.000 türkische Soldaten sind auf Nordzypern stationiert. Ein Drittel des (vom pleitegeplagten Süden unabhängigen) Budgets im Norden kommt aus Ankara, Infrastrukturmaßnahmen finanziert die Türkei. Zahlungsmittel ist nicht der Euro, sondern die türkische Lira. Auch wenn auf ihre Bankkonten niemand zugreift, haben viele der 278.000 Zyperntürken wirtschaftliche Sorgen. Ihr BIP-pro-Kopf beträgt im Schnitt nur die Hälfte von dem eines Zyperngriechen.
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