IWF warnt: Alterung lässt Österreichs Schulden explodieren

IWF-Missionschef Nikolay Gueorguiev mit OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny
Kurzfristig gehen die Staatsschulden zwar zurück. Bis 2060 könnten sie über 100 Prozent des BIP steigen.

Gestern erst hatte die österreichischen Nationalbank einen eher erbaulichen Ausblick für Österreichs Staatsschulden geliefert (Story siehe hier): Weil die Abwicklung der Heta (der früheren Hypo-Alpe-Adria-Bank) voranschreitet, wird die Schuldenquote in den kommenden Jahren sinken - vom Höchststand von fast 86 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) auf knapp 78 Prozent im Jahr 2019. Das ist zwar immer noch fernab des EU-Maastricht-Zieles von maximal 60 Prozent, aber immerhin: Die Richtung stimmt.

Nur einen Tag später bestätigte der Internationale Währungsfonds (IWF - Berichte zu Österreich hier) am selben Ort zwar diesen mittelfristig erfreulichen Trend. Langfristig sieht es aber düster aus, falls keine politischen Korrekturen erfolgen. Österreichs Schulden würden dann nach IWF-Berechnung bis zum Jahr 2060 nämlich auf über 100 Prozent (!) des BIP hochschnellen.

Dafür sind zwei Gründe verantwortlich: Das Potenzial der heimischen Wirtschaft ist mit knapp über einem Prozent reales Wachstum pro Jahr erschreckend schwach. Und die sogenannten alterungsbedingten Kosten belasten die öffentliche Hand massiv. Sie würden das Defizit auf mehr als 3 Prozent ausufern lassen. Gemeint sind damit demographisch bedingte höhere Ausgaben für das Gesundheitssystem - mehr ältere Menschen heißt mehr chronisch Kranke -, steigende Pflegekosten und höhere Pensionsausgaben.

Reformbedarf evident

Das alles basiere auf der Annahme, dass Österreich keine Reformen unternimmt, die entweder das Wachstum erhöhen oder die Ausgaben einbremsen. "Die Alterungskosten sind in vielen Ländern ein Problem. Österreich liegt damit nicht ganz unter den schlechtesten, aber auch nicht unter den besten Ländern", erklärte IWF-Missionsleiter Nikolay Gueorguiev am Dienstag in Wien auf KURIER-Nachfrage. In der EU schneide Österreich wohl noch besser als der Durchschnitt ab.

Der IWF empfiehlt der Regierung, wirtschaftspolitische Maßnahmen zu setzen, um das niedrige Potenzial-Wachstum zu heben. Das Start-up-Paket und die erhöhte Forschungsförderung seien schon Schritte in die richtige Richtung, aber noch nicht genug.

Weniger Bürokratie und weniger Zugangsbeschränkungen für Berufe würden mehr Unternehmertum begünstigen. Die Arbeit ist in Österreich auch nach der Steuerreform noch zu hoch besteuert, hier sollte es eine weitere Entlastung geben - dafür könnten vermögens-, umwelt- und konsumbezogene Steuern steigen. Falls das die Ärmsten trifft, sollten diese über Sozialtransfers geschützt werden.

Einsparen und (anders) ausgeben

Bei den Staatsausgaben sieht der IWF ein Einsparpotenzial von 2,5 bis 3 Prozent des BIP (das wären annähernd 10 Mrd. Euro). "Das ist leichter gesagt als getan", räumte Gueorguiev ein. So ließe sich nach Ansicht der IWF-Analysten im Gesundheits- und Bildungsbereich bei den Verwaltungskosten ansetzen, ohne die Qualität zu schmälern. Und auch bei den üppigen Förderungen und Subventionen gebe es Kürzungspotenzial.

Vor allem die Bundesländer und Kommunen könnten nach IWF-Ansicht ihr Geld effizienter einsetzen. Der jüngste Finanzausgleich sei ein erster Schritt, er gebe aber immer noch zu wenig Anreize zur Sparsamkeit.

Wenn genug eingespart wird, könne sich der Staat auch die geforderten und nötigen Investitionen leisten: Die Infrastruktur des Landes sei zwar (noch) von hoher Qualität, Österreich falle hier aber in internationalen Vergleichen zurück, weil die öffentliche Hand zu wenig investitiere. Mehrausgaben würden die schwächelnde Produktivität der privaten Betriebe fördern - und somit auch das Wachstum insgesamt ankurbeln.

Kein Budget-Überschuss mehr gefordert

Im Unterschied zum Vorjahr gab es für Österreich eine signifikante Veränderung: In der Überprüfung 2015 hatte der IWF noch gefordert, dass Österreich mittelfristig einen (strukturellen) Budget-Überschuss von 0,5 Prozent des BIP erreichen solle, damit die Schulden sinken. Jetzt räumt man ein, dass das von Finanzminister Hans-Jörg Schelling angepeilte Defizit von 0,5 Prozent des BIP dazu ausreichen könnte - mittelfristig.

Warum die Änderung? "Wir haben die demographischen Projektionen angepasst, die nun etwas günstiger ausfallen", erklärte Gueorguiev. "Und auch die Ausgangslage der Staatsschulden stellte sich als etwas besser heraus als vor einem Jahr angenommen." Obendrein kenne man nun das Ergebnis des Finanzausgleichs. Großes Aber: "Es wird auch so nicht einfach, die Ziele ab Mitte der 2020er Jahre ohne weitere Maßnahmen zu erreichen", warnte Gueorguiev.

Der ominöse "IWF-Artikel 4"

Der IWF führt seine regelmäßigen Überprüfungen nicht nur in sogenannten Programm-Ländern durch, wo er Hilfskredite vergeben hat - wie etwa in Griechenland, wo das üblicherweise für Tumulte und Aufregung sorgt. Die Stippvisite einer meist vierköpfigen IWF-Abordnung trifft alle Mitgliedsstaaten traditionell ein Mal pro Jahr - das nennt sich im Fachjargon "Artikel 4 Konsultation".

Die IWF-Experten sind dafür etwa zehn Tage im Land und sprechen mit Vertretern der Regierung, der Sozialpartnerschaft, der Arbeiterkammer, mit Organisationen der Zivilgesellschaft und mit den Wirtschaftsforschern, um sich einen Überblick über die wirtschaftliche Lage zu verschaffen. Die "vorläufigen Erkenntnisse und Empfehlungen" werden gleich im Anschluss (für Österreich Mitte Dezember) präsentiert. Der umfassende, rund 50 Seiten lange Bericht muss zunächst vom Führungsgremium, dem IWF-Board, diskutiert und abgesegnet werden. Er wird Anfang Februar 2017 veröffentlicht.

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