IV-Chef Georg Knill: "Verstehe diese Doppelmoral nicht"
Die Politik sollte mehr mit Anreizen als mit Regulierungen arbeiten. Und sich mit der Deindustrialisierung Europas auseinandersetzen, die schleichend einzusetzen droht, sagt IV-Chef Knill im Gespräch mit dem KURIER.
KURIER: Welche Probleme können die hohen Energiekosten der österreichischen Industrie bereiten?
Georg Knill: Manche Branchen sind in der EU nicht mehr wettbewerbsfähig. Besonders betroffen sind Aluminium, Stahl, Papier, Glas, Pharma und sogar Lebensmittel. Da sind viele Unternehmen betroffen. Sie müssen notfalls ihre Produktion drosseln, verlagern oder schließen, wenn man hier nicht zu einer nachhaltigen Lösung kommt.
Was wäre eine Lösung?
Das Angebot an Energie muss vergrößert werden. Hier braucht es eine Lösung auf europäischer Ebene, damit man über das nachgefragte Niveau kommt. Bis sich das einpendelt, braucht es kurzfristig Lösungen auf nationaler Ebene. Um die hohen Kosten abzufedern, war es wichtig – im Hinblick auf den „Doppel-Wumms“ in Deutschland – Wettbewerbsfähigkeit herzustellen und den Unternehmen Planbarkeit zu geben. Das hat Österreich nun mit dem Energiekostenzuschuss I und II gemacht. Langfristig brauchen wir aber den Ausbau der erneuerbaren Energie.
Locken die USA Unternehmen aus Europa mit niedrigeren Energiekosten?
Die USA versuchen Krisen durch Anreize zu lösen, Europa versucht es mit Regulierungen. Anreize sind aber besser, der Markt wird aktiv. In Europa gibt es den Ruf nach Wiederverstaatlichung, das hat aber noch nie zu nachhaltigen Erfolgen geführt. Derzeit braucht es temporäre staatliche Unterstützungen, bis der Markt wieder funktioniert.
Sind die USA in der aktuellen Situation in Europa mit den hohen Energiekosten, die durch den Ukraine-Krieg angeheizt werden, eher Nutznießer oder Partner?
Die USA sind ein starker Verbündeter, der gemeinsam mit der Ukraine und uns für die Werte der westlichen Welt gegen den Aggressor Russland eintritt. Wir haben Krieg in Europa. Putin hat damit kalkuliert, dass das Interesse Europas an der Ukraine verloren und die Unterstützung zurück geht. Dem muss man entgegentreten und alles andere unterordnen.
Sie sprechen wegen der hohen Energiekosten von einer drohenden Deindustrialisierung Europas. Wie konkret ist die Gefahr?
Unternehmen transferieren bereits ihre Kapazitäten, vor allem aus energieintensiven Bereichen. Das sehen wir in Europa schon jetzt. Es betrifft auch Investitionsentscheidungen. An jedem Tag, an dem die Kosten nicht planbar sind, wird die Deindustrialisierung stärker.
Sie haben auch davon gesprochen, dass die Industrie Anfang 2023 in eine Rezession rutschen wird. Wie intensiv wird sie?
Es wird einen kurzfristigen Abschwung geben, die Dimension ist schwer abschätzbar. Ich glaube nicht, dass es Effekte auf Arbeitsplätze haben wird, es wird auch nicht zu mehr Insolvenzen kommen. Die Unternehmen haben genug Liquidität und Kapital, ich würde das nicht überbewerten.
Welche Rolle kann Österreich nach dem Ukraine-Krieg spielen?
Der Wiederaufbau in der Ukraine wird ein Megaprogramm. Darauf muss sich Österreich vorbereiten. Dafür braucht es zum Beispiel staatliche Haftungen der Österreichischen Kontrollbank, damit wir an dem Wiederaufbau teilhaben können.
Wie viel Geld wird da bereitstehen?
Der Wiederaufbau kostet laut Schätzungen 1.000 Milliarden Euro. Österreich hat über 200 Unternehmen, die in der Ukraine tätig sind und gute Verbindungen haben.
Wie bewegt Sie persönlich der Krieg?
Das ist eine menschliche Katastrophe, ich habe Geschäftspartner und Freunde in Kiew. Von der Industriellenvereinigung gibt es auch Hilfspakete und viele Eigeninitiativen der Unternehmen. Es gibt eine große Solidarität mit dem ukrainischen Volk. Jeder Tag Krieg ist ein trauriger Tag. Die Kriegsführung zielt längst nicht mehr auf Gebietsgewinne, sondern auf die totale Zerstörung der Zivilbevölkerung und der Infrastruktur ab. Es werden Städte zerbombt, um der Bevölkerung größtmöglichen Schaden zuzufügen, mehr als in vielen anderen Kriegen.
Wie kann man das beenden?
Es wäre naiv zu glauben, dass sich etwas ändert, wenn Putin aus dem Amt ist. Das lässt sich nur am Verhandlungstisch mit Diplomaten lösen. Doch davon sind wir noch weit entfernt. Das wird nicht vor Sommer des nächsten Jahres sein.
Wie weit darf der Westen Geschäfte mit Staaten machen, die sich nicht an die Werte des Westens halten?
Die Diskussion, die da geführt wird, halte ich für eine große Doppelmoral. Etwa, wenn Katar während der Fußball-WM für Menschenrechtsverstöße kritisiert wird und gleichzeitig Politiker hinfahren, um Öl und Gas einzukaufen. Europa braucht Rohstoffe für die Transformation im Energiebereich, für Windräder und Elektroautos. Diese Rohstoffe stammen aus Ländern wie China, Russland oder dem Kongo. Entweder ist alles schlecht oder nichts, aber die Diskussion kann ich nicht nachvollziehen.
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